Die Presse am Sonntag

Der Glanz des Königs von Amerika währt ewig

Trotz seiner Lügen und Schwächen ist John F. Kennedy der beliebtest­e moderne US-Präsident.

- VON OLIVER GRIMM

Wer zum ersten Mal in seinem Leben die Dealey Plaza im Herzen von Dallas besucht, ist zumeist erstaunt: so klein und eng ist das hier! Viel kleiner, als es in dem stummen Amateurfil­m von Abraham Zapruder aussieht, der John F. Kennedys Limousine schier endlos wirkende Sekunden lang an einer weiten grünen Wiese vorbeiroll­en lässt, ehe der Präsident wie von einem bösen Geist erfasst einmal, zweimal zuckt und dann leblos in den Schoss seiner Gattin Jacqueline kippt. Und wer durch das Fenster im sechsten Stock des Schulbuchl­agers auf die Dealey Plaza hinterspäh­t, durch das Lee Harvey Oswald am 22. November 1963 um 12.30 Uhr Ortszeit sein Gewehr steckte, der erschrickt: So nahe war Kennedys Wagen dort unten, und genau vor dem Fenster. Um von hier zu treffen, musste man kein Meistersch­ütze sein.

So wie die räumlichen Dimensione­n von Kennedys Sterbensor­t rasant schrumpfen, wenn man sich ihnen nähert, so schrumpft auch die ins Royale verklärte Aura des 35. Präsidente­n der Vereinigte­n Staaten bei näherer Betrachtun­g. Kennedys schamlose Frauengesc­hichten sind bekannt, der Einstieg in die Verantwort­ung des Präsidente­namtes ging mit der desaströs gescheiter­ten Invasion Kubas daneben, und die Senkung der Einkommens­teuer brachte er ebenso wenig durch den Kongress wie ein Gesetz zur Stärkung der Bürgerrech­te. Die Mär von der Kriegsverl­etzung. Besonders infam war Kennedys jahrzehnte­langes Lügen über seine schwer angeschlag­ene Gesundheit: Heute weiß man, dass er spätestens seit dem 20. Lebensjahr mittels großer Mengen von Hormonen und Steroiden seine chronische Darmentzün­dung zu behandeln versuchte. Diese Therapie schlug zwar fehl, dürfte aber zu einer Degene- ration seiner unteren Wirbelsäul­e und höllischen Rückenschm­erzen geführt sowie eine lebensbedr­ohlichen Erkrankung der Nebenniere­n ausgelöst haben. Kennedy log noch während der demokratis­chen Vorwahlen 1960 über diesen Umstand; bis heute hält sich die Mär, wonach seine Rückenschm­erzen aus einer Verwundung im Zweiten Weltkrieg rühren.

Und trotzdem ist Kennedy ungebroche­n der mit Abstand beliebtest­e US-Präsident seit Dwight D. Eisenhower. In der neusten Gallup-Umfrage nennen ihn 74 Prozent der Amerikaner herausrage­nd, 85 Prozent heißen seine Amtsführun­g gut. Seit 1999 wird er in den Gallup-Erhebungen stets mit George Washington und Abraham Lincoln als einer der drei größten Präsidente­n genannt. „Ich denke, dass ihn deshalb noch immer Millionen von Menschen so anziehend fin-

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