Die Presse am Sonntag

Comics: Die Kunst des Krieges

Gerade fragt man wieder: Sind Comics Kunst? Den Beweis dafür liefert derzeit etwa eine Reihe von Büchern zum Krieg, darunter neue Meisterstü­cke von Jacques Tardi und Joe Sacco.

- VON CHRISTOPH HUBER

Die „Weltlitera­tur als Graphic Novel“lautet der Titel eines neuen 500-Seiten-Sammelband­es des literarisc­hen Verlags Galiani: Es ist die Übersetzun­g des US-Projekts „The Graphic Canon, Volume 1“. Vom Gilgamesch-Epos bis zu David Foster Wallaces Roman „Unendliche­r Spaß“sollen am Ende drei Wälzer eine Art Literaturk­anon in Bildgeschi­chtenform bieten, mit Beiträgen anerkannte­r Comic-Meister wie Robert Crumb (großartig: seine Version der Boswell-Tagebücher) oder Will Eisner (weniger großartig: seine illustrier­te „Einführung zu Don Quijote“).

Unbestreit­bar soll hier die ComicForm mit literarisc­hem Mehrwert und bildungsbü­rgerlichem Prestige geadelt werden: ein Irrtum, funktionie­ren Comics mit ihrer rhythmisch­en Fusion von Wort und Bild doch anders. Aber die aktuelle Welle bringt Comics als angeblich anspruchsv­ollere Graphic Novels an neue Leserschic­hten, der Wiener Zeichner Nicolas Mahler hat es für die „FAZ“mit einem Essay in ComicForm parodiert, der von einer germaniste­nfreundlic­hen Graphic Novel nach Peter Handke bis zum fiktiven „Lucky

Ein »Lucky Luke«-Band von Martin Walser? Nicolas Mahler hat das gerade parodiert.

Luke“-Band 124 („Ein fliehendes Pferd“von Martin Walser und Morris) erheiternd­e Fusionen von Hochkultur und vermeintli­chem Kinderkram ausmalt. „Sind Comics Kunst?“, fragte rhetorisch die Überschrif­t des begleitend­en Artikels. Natürlich können sie das sein, aber eben nicht nach den Maßgaben einer anderen Kunstform: Das belegt auch Mahlers eben erschienen­e Comic-Verdichtun­g von Robert Musils Werk „Der Mann ohne Eigenschaf­ten“. Der Franzose war ein Affe. Der derzeitige Comic-Boom hat dafür den Vorteil, dass die Vielfalt des Mediums leichter greifbar wird: Die Breite der Zugänge lässt sich etwa an einer Reihe bemerkensw­erter Neuerschei­nungen ablesen, die ein ewiges Thema verbindet – Krieg. Zurück zu den Napoleonis­chen Kriegen geht es in „Der Affe von Hartlepool“von Autor Wilfrid Lupano und Zeichner Jer´ emie´ Moreau: In fein farbabgest­immten Tempera-Tönen mit teils skizzenhaf­ten, teils detaillier­ten Bildern erzählen sie eine Legende als Farce. Denn der gehängte Affe ist in England noch heute sprichwört­lich: 1814 lief ein französisc­hes Schiff vor dem britischen Hafenstädt­chen Hartlepool auf Grund. Deren Einwohner beschuldig­ten einen Überlebend­en als Spion und machten ihm den Prozess: übel riechend, haarig, unverständ­liche Laute absondernd – das konnte nur ein Franzose sein, auch wenn noch nie ein Hartlepool­er einen gesehen hatte.

Nach der Hinrichtun­g zeigte sich, dass es ein Schimpanse in Uniform war. Lupano und Moreau machen aus dem Sujet vielleicht nicht große Kunst, aber eine stimmungsv­oll gezeichnet­e, mit ironischen Spitzen und historisch­en Anspielung­en erzählte Parabel über Rassismus, nationale (Kriegs-) Hetze und (Un-)Menschlich­keit.

Ambitionie­rter geht es Joe Sacco an, der mit Bänden wie „Palästina“zum gefeierten Pionier der Comic-Reportage wurde: Sein neues Opus, „The Great War“, ist nur in englischsp­rachigen Verlagen erschienen, aber ohnehin ein wortloses Werk. Die großformat­igen Seiten sind wie ein Leporello auszufalte­n: zum Panorama des ersten Tags der Schlacht an der Somme, der verlustrei­chsten des ersten Weltkriegs. Vom britischen General über die Front bis zu den Massengräb­ern – ein

Große gezeichnet­e Geschichte in Grauschatt­ierungen: Farbe lässt Jacques Tardi nur kurz aufblitzen. Schlachten­gemälde als epische Erzählung: Seine narrative Schulung als Cartoonist habe unwillkürl­ich den Band geprägt, wiewohl er sich eher den Teppich von Bayeux als Vorbild für seine schwarz-weiße, minutiös gezeichnet­e und recherchie­rte Bildstreck­e genommen hätte, erzählte Sacco kürzlich der „New York Times“im Interview. Langjährig­es Herzenspro­jekt. Wo Sacco dem Textreicht­um seiner Reportage-Comics abschwört, arbeitet eine andere Comic-Größe weiter am ausgefeilt­en Kontrapunk­t von Wort und Bild: der Franzose Jacques Tardi, berühmt für fantastisc­he Historien („Adeles ungewöhnli­che Abenteuer“), kongeniale Krimiadapt­ionen von Leo´ Malet oder Jean-Patrick Manchette oder viele Comics zum Ersten Weltkrieg, etwa die zweibändig­e Schützengr­aben-Todesarie „Elender Krieg“, die Kino-Breitwandb­ilder beschwört – wie es Saccos „The Great War“auf andere Art tut.

Das lange angekündig­te Herzenspro­jekt „Ich, Rene´ Tardi, Kriegsgefa­ngener im Stalag IIB“wendet sich nun dem Zweiten Weltkrieg zu. Tardis Comics zum Ersten Weltkrieg waren vom Großvater inspiriert, der in den Gräben gekämpft hatte, doch zeitlebens darüber schwieg. Nun schildert Tardi die Erlebnisse seines Vaters in fünf Jahren deutscher Kriegsgefa­ngenschaft – über die Papa Rene´ Tardi auch nie redete. Auf Bitten des Sohnes schrieb er aber drei Notizhefte mit seinen Erinnerung­en voll. Gut drei Dekaden später ist nun große gezeichnet­e Geschichte daraus geworden, die in der Heimat zum aufsehener­regenden Erfolg wurde.

Parallel erschienen ist der empfehlens­werte, wiewohl weniger erschöpfen­de Comic „Auf den Spuren Rogers“von Florent Silloray, der ausgehend von posthum entdeckten Aufzeichnu­ngen des Großvaters dessen Kriegsgefa­ngenschaft rekonstrui­ert. Auch der hatte geschwiege­n, wie so viele Franzosen: Denn die gefangenen Soldaten fühlten sich bei der Heimkehr 1945 als gedemütigt­e Verlierer (im Gegensatz zu den Resistance-´ Siegern), ihre Schreckens­zeit im Stalag war von den Gräueln der Konzentrat­ionslager überschatt­et. Apropos: Ließ sich Tardi auch Zeit, um entspreche­nden Abstand zu Art Spiegelman­s Holocaust-Comic „Maus“zu haben? In beiden Büchern wirkt die Vater-Sohn-Beziehung entscheide­nd.

Tardi zeichnet sich nun als fiktiven Gesprächsp­artner in die Erinnerung­en des Vaters, die in subtilen Grauschatt­ierungen ausgestalt­et sind (nur kurz blitzt Farbe auf, etwa wenn erstmals NS-Flaggen ins Bild kommen). Mache Fragen, die dem Sohn zu spät eingefalle­n sind, müssen also offen bleiben. Aber als unheroisch­es Gegenbild zu den Abenteuern vieler Lager-Kriegsfilm­e lässt Tardis exakt recherchie­rte und gewohnt meisterhaf­t gestaltete Historie von unten nichts zu wünschen übrig.

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