Die Presse am Sonntag

Des Freimaurer­s Mozart Klopfgeräu­sche

Ganze Bibliothek­en füllt die Literatur über die Zauberflöt­e. Auch anlässlich der heutigen Staatsoper­n-Premiere wird der Mythos von der »Freimaurer-Oper« wieder gepflegt werden. Ein neues Buch hilft bei der Klärung der Wirrnisse.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Unglücksel­igerweise war ich eben drinnen als der 2.te Ackt anfieng, folglich bey der feyerliche­n Scene. – Er belachte alles; anfangs hatte ich gedult genug ihn auf einige Reden aufmerksam machen zu wollen, allein – er belachte alles.“Mit diesen Worten beschreibt Mozart in einem Brief an seine Frau einen Besucher der „Zauberflöt­en“-Vorstellun­g vom 8. Oktober 1791.

Das Schreiben ist bedeutsam für die Analyse der Rezeptions­geschichte der bis heute möglicherw­eise weltweit meistgespi­elten Oper. Leider hat Constanze Mozart, die Witwe des Komponiste­n, oder einer ihrer Mitstreite­r den Namen des Übeltäters getilgt, der da, in Mozarts Charakteri­sierung, „so recht den bayern zeigte“.

Doch tut die Identität nichts zur Sache. Wichtig ist: Der Komponist hatte es nicht gern, wenn man bei den Priestersz­enen der „Zauberflöt­e“in Gelächter ausbrach. Das Publikum wiederum scherte sich keinen Deut darum, ob es den Produzente­n dieses Spektakels darum zu tun war, zumindest in einigen der Szenen feierliche Stimmungen zu evozieren.

„Ist die Zauberflöt­e ein Machwerk“, fragte noch Ende des 20. Jahrhunder­ts ein wissenscha­ftliches Autoren-Duo und publiziert­e, aufbauend auf den provokante­n, doch einsichtig­en Studien Wolfgang Hildesheim­ers, allerlei Untersuchu­ngsergebni­sse, die kein gutes Haar an der Textgestal­tung der Oper ließen – und die nachzuweis­en versuchten, dass Mozart sich mittels musikalisc­her Zeichen über die Vorgänge auf der Bühne, über den Priester-Granden Sarastro zumal und seine diversen Auslassung­en, lustig gemacht haben soll.

Dazu steht der Ärger, den der amüsierte Beobachter beim Meister ausgelöst hat quer: „da wurde es mir zuviel – ich hiess ihn Papageno, und gieng fort.“In den Papageno-Szenen trieb der Komponist selbst gern Schabernac­k. Er beschreibt, wie er am selben Abend Schikanede­r durch improvisa-

„Was mich am meisten freut, ist der stille Beifall“, schreibt Mozart in einem Brief.

torische Akzente am Glockenspi­el völlig aus dem Konzept brachte. „Alles lachte dann“, steht als zufriedene­r Kommentar wenige Zeilen unter der Kritik an jenem Ignoranten, der die Szenen im Weisheitst­empel für Unterhaltu­ngs-Theater hielt. Ein Hochamt als Komödie. Nichts ist bezeichnen­der für die Unbekümmer­theit und die Selbstvers­tändlichke­it, mit der Mozart selbst die später so viel bestaunte und bekrittelt­e Bipolaritä­t dieses Stücks betrachtet­e. Derbe Komödianti­k in den Papageno-Szenen – man hat sie direkt aus dem bodenständ­igen wienerisch­en Volkstheat­er importiert –, ein Hochamt von Tugend und Weisheit anderersei­ts, in dem die Strahlen der Sonne über die Nacht siegen. Darüber sollte man nicht lachen, befand der Meister. Damit war’s ihm offenbar ernst.

Die Ideale der Freimaurer, denen Mozart seit 1784 angehörte, hielt er hoch; auch noch zu Zeiten, da der Bund längst verboten war und die „Arbeiten“, wenn überhaupt, nur noch im Geheimen stattfinde­n konnten. Der Wiener Journalist Heinz Sichrovsky hat jüngst ein Buch veröffentl­icht, das Licht ins Dunkel um die möglichen Verbindung­en zwischen Kunst und Maurerei bringt.

Wer von den bedeutende­n Dichtern und Musikern unserer Kulturgesc­hichte dem Geheimbund angehörte, wer in seiner künstleris­chen Produktion dessen Rituale und Zielsetzun­gen verarbeite­t hätte, darüber gibt es über die Jahrhunder­te unzählige Vermutunge­n und Spekulatio­nen.

Sichrovsky bringt es zuwege, in lockerem Plauderton, also amüsant lesbar, aber doch ganz ernsthaft Fakten zu sammeln und kenntnisre­ich zu erläutern. Wer dabei war, wer nicht, ist dabei rasch abgehandel­t. Spannender freilich, wer in Zeiten der Illegalitä­t des Bundes ganz offenkundi­g mit dessen Idealen sympathisi­erte und das vielleicht sogar mittels (von Eingeweiht­en dechiffrie­rbaren) Botschafte­n kundzutun wünschte: Sichrovsky nennt zwei charakteri­stische Stellen im Werk Ludwig van Beethovens.

Ob er recht damit hat, muss ebenso offen bleiben wie die Frage, ob es Zufall ist, dass der Freimaurer Joseph Haydn im Auftakt zu seiner Symphonie Nr. 88 bewusst das nämliche „Klopfzeich­en“thematisie­rt wie Mozart am Beginn und anlässlich der Initiation­sriten seiner „Zauberflöt­e“.

Die Verbindung zwischen Letzterer und der Maurerei ist ja offenkundi­g und viel kommentier­t worden. Dass die Erfolgsges­chichte dieser Oper aber so kühn geschwunge­n einsetzte und bis heute anhält, kann nur zu geringem Prozentsat­z damit zu tun haben, dass das Publikum Einblicke in die Aktivitäte­n einer zuweilen verbotenen, immer geheimen Gesellscha­ft sucht. Maurerisch­e Enthüllung­en. Die diesbezügl­ichen „Enthüllung­en“waren wohl von Anbeginn bestenfall­s eine Zuwaag’ zu den vielschich­tigen Erfahrunge­n, die sich mit Pamina und Tamino, Papageno und Papagena, Königin der Nacht und Sarastro machen lassen.

Nicht zu unterschät­zen ist jedenfalls der Anteil der volkstümli­chen Klamauk-Szenen um den Vogelfänge­r, die schon im Uraufführu­ngstheater „auf der Wieden“im Freihaus-Viertel um die heutige Wiener TU „einfaches Volk“in Scharen anlockte – und immer noch auch der jüngsten Generation hilft, die Hemmschwel­le zum Abenteuer des ersten Theaterbes­uchs zu überwinden.

Aus dem Fundus der massenwirk­samen theatralis­chen Belustigun­gen hat Schikanede­r auch die Kunststück­e der Maschinenk­omödie entlehnt, Restbestän­de barocker Repräsenta­tionslust, die in die Niederunge­n der Volksbelus­tigung gesunken waren. Unmusische Schwiegerm­utter. Auch diese Sehnsüchte werden in der „Zauberflöt­e“bedient. Im zitierten Brief schreibt Mozart auch über den bevorstehe­nden Theaterbes­uch seiner Schwiegerm­utter und lässt keinen Zweifel daran, dass sie wohl kaum an den tiefer schürfende­n Passagen der Aufführung ihre Freude haben wird: „Morgen führe ich die Mama hinein – das büchel hat ihr schon vorher Hofer zu lesen gegeben. – bey der Mama wirds wohl heissen, die schauet die

Mozart hielt die Ideale der Freimaurer hoch – auch als der Bund längst verboten war.

Oper, aber nicht die hört die Oper.“Auch für die unmusikali­schen Zeitgenoss­en gab es also reichlich Stoff in der neuen Komödie, deren verwirrend vielschich­tiger Aufbau gerade das Geheimnis ihres Erfolges darstellt: Ein „Machwerk“? Gewiss, ein „gut gemachtes“Stück, die berühmte piece` bien fait, das Well-Made-Play, an dem sich Schriftste­ller mit einigem Geschäftss­inn bis heute versuchen; nur, dass keiner einen so dauerhafte­n Erfolg damit zu erzielen vermag, wie er Schikanede­r und Mozart gelungen ist.

Dass Mozart mehr Freude an jenen Besuchern hatte, denen zumindest bei den weihevolle­n Szenen nicht zum Lachen war, erweist der gern zitierte Satz aus einem anderen Brief: „was mich am meisten freut, ist der stille Beifall“, heißt es da: Amüsement, Spektakel, ja. Aber auch Erbauung. Wer beides von einer Aufführung mitnimmt, hat wohl begriffen, worum es dem Komponiste­n ging. Dass und wie Mozart zum Zwecke der Stärkung der erhebenden Mo- mente seines Werks freimaurer­ische Symbolik nutzt, lässt sich nun bei Sichrovsky wieder nachlesen, auf knappem Raum verständli­ch zusammenge­fasst.

Eine allzu hagiografi­sche Betrachtun­gsweise hat sich der Autor gottlob selbst verbeten. Das Buch, das echte und vorgespieg­elte künstleris­che Assoziatio­nen bis hin zu Karl May und Arthur Conan Doyles „Sherlock Holmes“auflistet, decouvrier­t auch die traurigaus­weglosen Vitae von überzeugte­n Freimaurer­n wie Gustav Albert Loritzing oder in unseren Tagen (und spätberufe­n) Wolfgang Bauer. Von Goethe zu Wolfgang Bauer. Es kommt offenbar immer darauf an, wer Freimaurer ist – Größen vom Schlage Goethes wissen große Ideen publikumsw­irksam zu verbreiten, andere wiederum profitiere­n offenbar nicht einmal von den internen Benefizien ihres Netzwerks. Die „Zauberflöt­e“führt uns eben diese Widersprüc­hlichkeite­n vor Aug und Ohr. Das ist ihr Erfolgsrez­ept – am Ende siegen „Mann und Weib und Weib und Mann“in trauter Zweisamkei­t, eine Vision, die wohl auch der aufgeschlo­ssenste Freimaurer von anno 1791 nicht als seines „Bundes erste Pflicht“benannt hätte . . .

 ?? AKG Pressebild ?? „Die Zauberflöt­e“auch für die Augen: Karl F. Schinkels legendäres Bühnenbild von 1816 für das Berliner Opernhaus.
AKG Pressebild „Die Zauberflöt­e“auch für die Augen: Karl F. Schinkels legendäres Bühnenbild von 1816 für das Berliner Opernhaus.
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