Operation Gurlitt: Eine Posse mit »Glücksgefühlen«
Die deutschen Behörden beugten sich am 12. November willig dem Ruf der Öffentlichkeit nach Transparenz und präsentierten 25 der 1406 in der Münchner Wohnung des Herrn Cornelius Gurlitt beschlagnahmten Kunstwerke. Dass der Server der für diesen Schritt auserkorenen Institution Lost-Art-Datenbank wenige Minuten nach der Bekanntgabe zusammenbrach, ist geradezu symptomatisch für die Behandlung des Falles Gurlitt und dessen Aufklärung.
Cornelius Gurlitt stammt aus einer der bedeutendsten Kunsthändlerfamilien Deutschlands. Sein Vater Hildebrand und dessen Cousin Wolfgang kollaborierten mit den Nationalsozialisten, genauso wie sie zahlreichen Künstlern aus Notlagen verhalfen, wenn auch mit einer gehörigen Portion Eigennützigkeit. Eine Hand wäscht die andere – das war die Devise. Während man sich derzeit mit dem berühmteren und bedeutend tiefer in NS-Machenschaften verstrickten Wolfgang Gurlitt wenig beschäftigt, ist die Aufmerksamkeit auf Cornelius und das schwere Erbe gerichtet, das ihm sein Vater Hildebrand hinterlassen hat.
Meine vor 15 Jahren postalisch an ihn gerichtete Anfrage, ob sich Zeichnungen und Aquarelle Oskar Kokoschkas im Nachlass seines Vaters befänden, beantwortete er damals umgehend und
Eine überforderte Kunsthistorikerin berichtete von einem »Glücksgefühl«.
sehr höflich. Ebenso verständnisvoll zeigte er sich bei einem Vergleich mit den Erben eines von ihm dem Auktionshaus Lempertz übergebenen Pastells von Max Beckmann. Cornelius Gurlitt war genauso wenig ein Sammler wie sein Vater. Was ihm Letzterer überließ, war ein weitgehend ausverkauftes Lager: einige wenige gute Gemälde, der Rest Zeichnungen und Druckgrafiken mittlerer Qualität.
Auf Basis welcher „Expertise“die Staatsanwaltschaft und zahlreiche Medien den kolportierten abenteuerlichen Schätzwert der „Sammlung“mit einer
Alfred Weidinger
ist Vizedirektor und Prokurist des Belvedere und leitet sämtliche Sanierungsund Bauvorhaben. Seine Forschungsschwerpunkte sind bildende und angewandte Kunst sowie die Fotografie des 19. und 20. Jahrhunderts. Seit 1980 bereist er außerdem als Dokumentarfotograf Afrika und nimmt Porträtserien auf. Sein aktuellstes Projekt ist eine Dokumentation der letzten Könige Afrikas („The Last Kings of Africa“). Milliarde Euro (!) bezifferten, entzieht sich meiner Kenntnis, aber auch meinem Verständnis. Cornelius Gurlitt bestreitet seinen bescheidenen Lebensunterhalt überwiegend mit einzelnen Verkäufen aus seinem Lager. Er bedient sich dabei vornehmlich des leicht nachvollziehbaren Netzwerkes seines Vaters mit Verzweigungen nach Österreich, in die Schweiz und nach Frankreich. An den Enden der jeweiligen Verästelungen sitzen meist ehrenwerte Familien, die in der Regel nur sich selbst den Blick in die Firmenarchive erlauben. Aber vor welchem Hintergrund sollten sie den Forschern ihre Unterlagen zur Verfügung stellen? Genauso, nur aus einer anderen Perspektive heraus, verfuhr Cornelius Gurlitt, der legitime Eigentümer des ehemaligen Lagerbestandes seines Vaters. Überforderte Behörde. Mit der Erfassung jener Werke, die am 28. Februar 2012 von der deutschen Zollfahndung in der Wohnung des Herrn Gurlitt beschlagnahmt worden waren, betraute die Behörde eine damit offenbar hoffnungslos überforderte Kunsthistorikerin. Diese berichtete, ausgehend von einer mehr als einjährigen Beschäftigung mit den Werken, von einem rationell nicht nachvollziehbaren „unheimlichen Glücksgefühl für die Kunstwelt“und lobte die „außerordentliche Qualität“der aufgefundenen Werke.
An die beschränkten und gesetzlich nicht geregelten Möglichkeiten der Restitution aus Privatbesitz hat sie dabei wohl nicht gedacht. Ganz im Gegenteil ließ sie dem illustren Treiben der Behörden und der Medien den Raum, sich unkontrolliert zu entfalten. Cornelius Gurlitt wurde medial innerhalb weniger Stunden als Verbrecher stigmatisiert. Die Staatsanwaltschaft und die angeblich mit einer Geheimhaltungsklausel an den Stuhl gebundene Berliner Kunsthistorikerin saßen dabei in der ersten Reihe fußfrei.
Eine Ohrfeige für jeden einzelnen aufrichtig an der Restitution interessierten Forscher! Wer wird nun die nötigen sensiblen Verhandlungen mit Cornelius Gurlitt führen und ihn in vertraulichen Gesprächen dazu bewegen, das eine oder andere Werk aus moralischen Gründen zu restituieren? Denn nahezu sämtliche Ansprüche der Erben werden an den gesetzlichen Bestimmungen scheitern. Mit der teilweisen Veröffentlichung der Liste der beschlagnahmten Kunstwerke, die vermutlich ohne Zustimmung des Eigentümers (es gilt die Unschuldsvermutung) geschah, haben sich die Behörden und die Restitutionsforscher von einer vernünftigen Lösung des Problems meilenweit entfernt. Im Rechtsstaat Deutschland reicht offenbar die Auffälligkeit bei einer RoutineZollkontrolle aus, um die Existenz eines bis dahin unbescholtenen Bürgers zu vernichten.
Die von Bundesregierung und bayerischer Landesregierung eingesetzte Task Force ist die rezenteste Antwort auf das Versagen der Behörde und per se das wohl letzte Mittel, das in einem Katastrophenfall zum Einsatz kommt. Ach ja, und eine plötzlich aus dem Hut gezauberte Einsatzgruppe von sechs Restitutionsforschern werde nun ihre Arbeit aufnehmen, um die Unbequemlichkeit, so wie es sich für eine Joint Task Force gehört, ehest möglich und durchaus im Bewusstsein eintretender Lateralschäden zu beenden.
Und plötzlich meldet sich auch die sonst ziemlich müde Jewish Claims Conference zu Wort, die nicht nur die Erforschung des sogenannten Münchner Kunstschatzes fordert, sondern gleich selbst einen Platz in der Task Force einnehmen möchte. Befremdlich mutet das vor allem deshalb an, weil sich eben diese 1951 gegründete Organisation damit rühmt, „seit mehr als sechs Jahrzehnten die Interessen der jüdischen NS-Verfolgten in allen Fragen der Entschädigung und Restitution“zu vertreten. Eine nicht unwesentliche Voraussetzung dafür, nämlich ein Kunstrückgabegesetz zu erwirken, ist der zahnlosen Institution in den sechs Jahrzehnten ihres Existierens allerdings nicht gelungen. Durch Hartnäckigkeit, strategisches Kalkül und perfektes Lobbying ist es hingegen der Israelitischen Kultusgemeinde in Österreich bereits vor mittlerweile 15 Jahren (!) geglückt, die hiesige Bundesregierung zum Abschluss eines richtungsweisenden Kunstrückgabegesetzes zu bewegen.
Erst mit dem Inkrafttreten eines Kunstrückgabege-