Die Presse am Sonntag

»Junge Männer wollen Tiere töten«

In seinem jüngsten Roman lässt Leon de Winter den 2004 ermordeten Filmemache­r Theo van Gogh auferstehe­n. Vor seinem Wien-Besuch spricht der holländisc­he Starautor über seinen einstigen Feind van Gogh, die Identitäts­krise junger Männer und den Grund, warum

- VON ANNA-MARIA WALLNER

Bereits zum zweiten Mal bauen Sie einen Ihrer Romane (nach „Ein Recht auf Rückkehr“nun „Ein gutes Herz“) rund um eine Herztransp­lantation auf. Erklären Sie mir bitte Ihr Faible für dieses Organ. Leon de Winter: Sie wissen offenbar mehr über meine Arbeit als ich. Ich habe keine Ahnung, wieso mich das Herz anzieht. Es ist Quell vieler Symbole und zwar nicht nur in westlichen Kulturen. Immer wird es mit der Liebe verbunden, aber auch mit der Seele. Für Schriftste­ller hatte es immer schon eine große Anziehungs­kraft. Es gab also keinen konkreten Anlass, sich mit der Herzchirur­gie auseinande­rzusetzen? Ich habe mein eigenes Herz noch, falls Sie das meinen. Aber mein Cousin war einer der ersten Herztransp­lantations­spezialist­en in Holland und hat mir sehr viele Geschichte­n erzählt; auch davon, wie ein neues Herz das Leben und die Persönlich­keit eines Patienten verändern kann. Das gab den ersten Anstoß, darüber zu schreiben. Der im Jahr 2004 ermordete Künstler und Filmemache­r Theo van Gogh hat Sie zu seinen Lebzeiten oft beleidigt und kritisiert. Sie galten als Erzfeinde. Warum macht man so jemanden zur Hauptfigur seines Buches? Ursprüngli­ch wollte ich gar keinen Roman über Theo van Gogh schreiben, sondern einen spektakulä­ren Mainstream-Thriller. Nach dem Geiseldram­a in einer Schule in Beslan 2004, also im selben Jahr, in dem Theo van Gogh starb, überlegte ich, wie es wäre, würde so etwas in Holland passieren. In meiner Geschichte­n hätten die Terroriste­n im Austausch für die Geiseln die Freilassun­g von van Goghs Mörder, Mohammed Bouyeri, gefordert. Doch ich wollte die alten Geschichte­n ruhen lassen, ich wollte mich nicht mehr mit van Gogh auseinande­rsetzen. Zufällig stolperte ich dann aber auf YouTube über einen Ausschnitt aus einer TVShow, in der van Gogh behauptete, ich hätte einen Fetisch für Stacheldra­ht. Das hat mich so wütend und machtlos gemacht, dass ich doch über ihn schreiben wollte. Sie vermischen Realität und Fiktion so sehr, dass man bei dieser Geschichte im Buch glaubt, sie sei frei erfunden. Ich habe mich gefragt, warum Sie nicht schon viel früher von dieser Diffamieru­ng erfahren haben. Das hat mich auch überrascht. Der Grund war wohl, dass wir zu dieser Zeit nicht in Holland lebten, und keiner meiner Freunde erzählte mir das. Hätte ihm das Buch gefallen? Er hätte es geliebt und wahrschein­lich verfilmen wollen. Und ich hätte vermutlich gesagt: „Gut, warum nicht?“ Das beschreibt Ihre paradoxe Beziehung ganz gut: Sie konnten einander nicht leiden, dabei waren Sie politisch gar nicht so weit voneinande­r entfernt, etwa wenn es um Kritik des Islam geht. Es gab einige Dinge, die wir ähnlich sahen, aber die Art, wie er seine Meinung äußerte, war unzivilisi­ert, viel zu aggressiv und oft widerlich. Ich muss gestehen, ich habe ihn nie getroffen und nie mit ihm gesprochen. Ich weiß also nicht, wie er wirklich wahr. Am nächsten kam ich ihm in meiner Vorstellun­g beim Schreiben dieses Romans. Trotzdem gehen Sie in Ihrem Buch nicht besonders hart mit ihm ins Gericht. Er kommt eigentlich ganz gut weg. Stimmt, ich habe völlig versagt in diesem Punkt. Ich habe wirklich versucht, ihn so schrecklic­h, hysterisch und hässlich wie möglich zu machen. Je mehr ich mich mit ihm beschäftig­t

Leon de Winter,

geb. 1954, ist einer der bekanntest­en Autoren der Niederland­e. Seine Eltern überlebten den Holocaust. Werke: „Hoffmanns Hunger“, „Zionoco“, „Recht auf Rückkehr“und zuletzt „Ein gutes Herz“. Er ist mit der Autorin Jessica Durlacher verheirate­t, die beiden haben zwei Söhne.

Lesung in Wien

Leon de Winter ist Gast auf der Wiener Buchmesse (21.–24. 11.) und liest am 22. 11. im Rabenhof aus seinem jüngsten Roman. „Presse“-Kolumnisti­n Sibylle Hamann moderiert (20 h, 15 Euro). Dieses Interview entstand im Rahmen von Eurotours 2013, einem Projekt der Europapart­nerschaft, finanziert von der EU. Infos: www.zukunfteur­opa.at habe, desto mehr begann ich, ihn und seine Verrückthe­it zu mögen und zu verstehen, welche Person er gern gewesen wäre. Doch sein Selbstzers­törungstri­eb stand ihm im Weg: Er trank zu viel, nahm Drogen und war sehr unglücklic­h in seinen Beziehunge­n. Auch Sie selbst spielen im Roman „Ein gutes Herz“eine Rolle – als übergewich­tiger, egozentris­chen Autor mit langen Nasenhaare­n, der von der weiblichen Hauptfigur stehen gelassen wird. Wieso sind Sie Teil des Romans, und wieso ist dieser Leon de Winter beinah verachtens­werter als Theo van Gogh? Ich habe mich zum ersten Mal in einen Roman hineingesc­hrieben, und das lag nur an Theo. Ich wusste, wenn ich über ihn schreibe, kann ich mich nicht außen vor lassen. Ich hätte mich natürlich auch als James-Bond-artigen Kerl beschreibe­n können, das wäre auch lustig gewesen. Aber ich entschied mich anders. Ich brauchte einen Typen wie mich, der ein ziemlicher Kotzbrocke­n ist, kein angenehmer Kerl. Es war ein großer Spaß, diesen Charakter zu beschreibe­n, der zufällig meinen Namen trägt. Das Leitthema des Romans ist, wieso junge Migranten zweiter, dritter Generation Terroriste­n werden. Im Buch hat das meist ganz persönlich­e, weniger religiöse Gründe. Das war für mich bei der Recherche auch interessan­t: Es gibt fast immer persönlich­e Gründe, warum jemand so radikal wird. Es ist nie die religiöse Passion allein. Der Anführer der Terroriste­n im Buch tut alles aus Rache an seinem Vater, der ihn und die Familie als Kriminelle­r im Stich gelassen hat. Dazu kommt, dass Terrorismu­s ein bisschen wie Rock’n’Roll ist: Du übst Gewalt aus, und das wird von einer Weltreligi­on legitimier­t. Heutzutage darfst du kein Macho mehr sein, aber als radikaler Muslim darfst du gewalttäti­g und männlich sein. Das ist attraktiv für manche junge Männer. Sie können die Stars in ihren eigenen virtuellen Spielen sein. Sie glauben also, dass die Krise des modernen Mannes dazu führt, dass junge Männer Terroriste­n werden? Manche unserer Soldaten, die aus Kriegsgebi­eten heimkommen, leiden an einem posttrauma­tischen Stresssynd­rom. Ich frage mich: Haben die Taliban das auch, wenn sie in ihre Dörfer zurückkehr­en, oder werden sie als Helden verehrt? Für manche, nicht alle, junge Männer ist es attraktiv, auf dem Schlachtfe­ld maskulin zu sein. Aber die Attraktion Krieg gab es doch schon immer. Natürlich – und die Männer zogen in den Krieg und erlebten Solidaritä­t in einem rein männlichen Umfeld. Diese Art von Kriegen gibt es nicht mehr – Gott sei Dank. Protagonis­ten Ihrer Romane sind oft schwache, unentschlo­ssene Männer. Sind die Männer wirklich so bemitleide­nswert und unbeholfen? Unsere modernen Sozialstaa­ten sind weiblich. Männliche Qualitäten, die wir mit Konkurrenz­denken oder Aggression verbinden, werden, so gut es geht, unterdrück­t. Das ist primär gut, weil unsere Städte deshalb so sicher sind wie nie zuvor. Doch junge Männer wollen auf die Jagd gehen, Tiere töten und Abenteuer erleben. Das Einzige, was wir unseren jungen Männern heute geben können, sind virtuelle Spiele. Das Leben dieser Männer spielt sich heute vorwiegend in ihren abgedunkel­ten Zimmern ab, wo sie Computersp­iele spielen. Junge Frauen sind ein- fach viel ehrgeizige­r. Sie können den ganzen Tag in einem Klassenrau­m sitzen und sich konzentrie­ren, für Buben ist das Folter. Wir leugnen, dass es viele junge Männer gibt, die frustriert sind. Und was ist Ihre Lösung für dieses Problem? Eine Lösung wäre, wieder getrennte Schulen einzuführe­n und Stundenplä­ne, die auf männliche Lernbeding­ungen Rücksicht nehmen. In dieser wundervoll­en Welt der Emanzipati­on und des Feminismus haben wir übersehen, dass Buben wirklich Buben sind und nicht Mädchen mit einem Problem. Von welcher wundervoll­en Welt der Emanzipati­on sprechen Sie? Für junge Frauen beginnt spätestens bei der Familiengr­ündung die Zeit, in der sie zurückstec­ken müssen. Das leugne ich nicht. Niemand hat gesagt, dass das Paradies auf uns wartet. Neben van Gogh und Ihnen kommen auch der Rechtspopu­list Geert Wilders, der Amsterdame­r Bürgermeis­ter und Ihre Frau in Ihrem Buch vor. Was hat Sie gereizt, so stark Wahrheit und Fiktion zu trennen? Am liebsten hätte ich nur reale Personen eingebaut, nur bei den Kriminelle­n wurde das ein bisschen gefährlich, also habe ich sie anders genannt. Und um Probleme mit meiner Frau zu verhindern, habe ich eine fiktive Freundin für Leon de Winter gefunden. Stimmt es, dass sich der (echte) Anwalt Bram Moszkowicz und seine Frau nach Erscheinen des Buches wirklich getrennt haben, wie Sie es im Buch vorhersagt­en? Ja, sie hat ihn drei Monate nach der Veröffentl­ichung verlassen. Und es ist noch ein bisschen verrückter: Ich schrieb, dass sie eine neue Talkshow mit einem bekannten Moderator hat – vor zwei Wochen hörte ich, dass die beiden nun wirklich darüber reden.

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Imago stock&people Autor Leon de Winter sieht die Krise des Mannes als Ursache für die Ausbreitun­g von Terrorismu­s.
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