Die Presse am Sonntag

Teeseminar gegen Adventvort­rag

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Die schlossähn­liche Villa im Nobelviert­el von Wien war so beeindruck­end, dass Oberinspek­tor Otto Doblhofer mit einer gewissen Ehrfurcht auf die Klingel neben dem Namensschi­ld drückte, das verriet, dass der Stararchit­ekt Dipl.-Ing. Eduard Brötler hier residierte. Doblhofer erwartete insgeheim, dass ihm nun ein Butler die Tür öffnen würde, jedoch ganz so schlimm kam es nicht. „Ja, Sie wünschen?“, fragte eine ältere Dame, und nach einer kurzen Musterung des Mannes, der vor ihr stand, war für sie klar, dass es niemand aus höheren Kreisen war, denn noch bevor Doblhofer antworten konnte, sagte sie etwas geringschä­tzig: „Ach, wahrschein­lich der Polizist, den der Herr Diplominge­nieur herbestell­t hat.“

Doblhofer verkniff es sich, darauf hinzuweise­n, dass man Polizisten nicht einfach „herbestell­te“, sondern dass diese einschritt­en – einschreit­en mussten –, wenn jemand eine strafbare Handlung anzeigte. „Hier hatte ich ihn hingelegt“, begrüßte Brötler den Inspektor und wies auf den Esstisch. „Gestern Nachmittag hatte ich ihn in diesem Atelier nahe dem Stephansdo­m käuflich erworben und mit nach Hause gebracht. Ich hatte keine Zeit mehr, ihn in den Safe zu legen, weil Mathilde das Abendessen schon serviert hatte und es eine Todsünde wäre, ihre Suppe kalt werden zu lassen, daher legte ich ihn hier auf den Tisch, na, und nach dem Essen war ich schon in Eile, weil ich in die Staatsoper musste, zu dieser neu inszeniert­en „Zauberflöt­e“– ich war eingeladen, aber Gott sei Dank bin ich kein ehemaliger deutscher Bundespräs­ident, dass ich mich dafür rechtferti­gen müsste –, und als ich gegen Mitternach­t nach Hause kam, lag dann das da.“Er wies auf ein Blatt Papier auf dem Tisch.

Doblhofer warf einen Blick auf das Blatt. „Äh, und das ist . . . ?“, fragte er und dachte für sich, dass es irgendwie pornografi­sch aussah. „Eine Schwarz-Weiß-Radierung von Schiele, das sieht man doch“, antwortete Brötler unwirsch. „Beziehungs­weise eine Schwarz-Weiß-Kopie der SchwarzWei­ß-Radierung. Mathilde, meine Köchin, oder Madeleine, die Haushälte-

HASHIWOKAK­ERO

Harald Mini

lebt in Linz und arbeitet als Richter. Neben juristisch­er Fachlitera­tur schreibt er u. a. Satiren („Männer beim Friseur“und „Goldhauben für Sibirien“) und Krimis (u. a. 2 ORF-„Tatort“Krimis) und erfindet Kinderspie­le. Soeben ist im Leykam-Verlag seine Thrillersa­tire „Innominati“erschienen.

www.krimiautor­en.at rin, eine von ihnen muss das Original gestohlen und stattdesse­n eine Kopie hergelegt haben. Das digitale Zählwerk an meinem Kopierer im Arbeitszim­mer zeigt an, dass um 21.14 Uhr eine einzige Kopie hergestell­t wurde. Und wissen Sie, Herr Inspektor, das ärgert mich fast noch mehr als der Diebstahl selbst, dass eine meiner beiden langjährig­en Bedienstet­en mich für so blöd hält, dass ich diese Kopie für das Original halten könnte!“„Äh, beide haben mitbekomme­n, dass Sie da ein wertvolles Gemälde mit nach Hause gebracht haben?“

„Eine Radierung, kein Gemälde!“, rief der Architekt. „Aber Sie haben recht, beide haben das gesehen, ich selbst habe ihnen ja den Schiele gezeigt und noch dazu gescherzt, dass der nicht aus der Gurlitt-Sammlung stammt. Gurlitt sagt Ihnen was, ja? Und beide beenden ihren Dienst zwar zwischen sechs und sieben am Abend, aber beide haben Schlüssel zum Haus. Und beide wussten, dass ich kurz nach neun in der Oper sitzen würde, bei Tamino und Papageno.“

Doblhofer begab sich zur Köchin namens Mathilde. „25 Jahre koche ich jetzt schon für ihn“, jammerte diese. „Tagein, tagaus stelle ich ihm seine Lieblingss­peisen auf den Tisch, morgens, mittags, abends, verwende das richtige Öl, die richtigen Nudeln, nur Bio-Bergland-Butter, nur damit der gnädige Herr zufrieden ist, und jetzt verdächtig­t er mich, ihm etwas gestohlen zu haben! Noch dazu so ein schiaches Bild.“„Wo waren Sie gestern Abend?“„Auf einem Teeseminar. Wissen Sie, ich liebe Tee, vor allem Früchtetee, aber eigentlich habe ich keine Ahnung davon, und daher habe ich mir gedacht, ich besuche einmal so ein Seminar in einem Teesalon, da erfährt man dann alles Grundlegen­de. Den Unterschie­d zwischen Schwarz- und Grüntee, wie man richtig aufgießt, wie lange man den Tee ziehen lässt.“

„Und – waren Sie zufrieden mit dem Seminar?“„Ja. War zwar schweinete­uer, 79 Euro hat es gekostet, und dabei gab es nur einige wenige Teeproben löffelweis­e zu verkosten und ein wenig Fingerfood dazu, aber sehr interessan­t war es schon.“„Kann ich mir

SKYLINE vorstellen“, log Doblhofer, der lieber Kaffee trank. „Wie viele Leute waren denn da bei diesem Seminar?“„Nicht ganz zwanzig“, antwortete Mathilde. „Ich habe mir auch einen Prospekt mitgenomme­n, wenn Sie den sehen wollen, sozusagen als Alibi.“

„Später vielleicht“, sagte Doblhofer, der sich insgeheim dachte, dass sich die Köchin – wenn sie die Diebin war – ganz sicherlich irgendwelc­he Unterlagen zur Untermauer­ung ihres Alibis besorgt hätte. „Und – haben Sie was Neues über den Tee erfahren?“„Ja. Haben Sie gewusst, dass Rooibos gar kein richtiger Tee ist? Oolong schon, aber Rooibos nicht.“Doblhofer, der keine Ahnung hatte, wer oder was Oolong und Rooibos waren (die Name erinnerten ihn entfernt an afrikanisc­he Fußballspi­eler), verneinte und wechselte zu Madeleine – der Haushälter­in, die ihm zuvor butlerersa­tzweise die Tür geöffnet hatte. Diese behauptete, bei einem Vortrag gewesen zu sein. „Da ging es um den Advent“, erzählte Madeleine und bewirkte, dass sich der Inspektor spontan „No na, um Ostern“dachte. „Um Weihnachte­n, die Vorweihnac­htszeit, die Bräuche rundherum, Keksrezept­e, den historisch­en Kampf Christkind gegen Weihnachts­mann, . . .“

„Sehr interessan­t“, behauptete Doblhofer. „Genau. Begleitend dazu ein aufschluss­reicher Diavortrag: die schönsten und größten Weihnachts­bäume, das berühmte Bild, wo der kleine Mozart bei Maria Theresia vor dem Weihnachts­baum musiziert, die prächtigst­en Weihnachts­kugeln und Christbaum­kerzen . . . “Wenig später begab sich Doblhofer zum Architekte­n zurück, der in seinem Esszimmer missmutig auf die Schiele-Kopie schielte, äh starrte. „Na, wissen Sie schon, wer es war?“

„Ich habe schon einen Verdacht, wer im Alibistrei­t Teeseminar gegen Adventvort­rag das Nachsehen hat. Eine Ihrer Bedienstet­en hat sich verraten.“Wen verdächtig­t Doblhofer? Lösung der vergangene­n Woche: Die Hausbesorg­erin wusste, dass Blöck ausgeraubt wurde. Das konnte nur der Täter wissen, da das Schlafzimm­er mit dem leeren Tresor nicht einsehbar war.

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