Die Presse am Sonntag

Hunger nach Substanz bei den Hungerspie­len

Der zweite »Tribute von Panem«-Film: »Catching Fire« ist ein aufgeblase­nes Präludium. Statt eine Geschichte zu erzählen, bereitet er aufs Finale der Trilogie vor.

- VON MARKUS KEUSCHNIGG

Kinder und Jugendlich­e werden in ein Kampfareal gesperrt und müssen sich mit Gladiatore­nwaffen so lange gegenseiti­g meucheln, bis nur mehr einer (oder eine) übrig ist. Eine ehemalige Siegerin muckt gegen das zynische System auf und legt damit den Grundstein für eine Revolution. Potenziell­e Aufrührer werden vom faschistis­chen System standrecht­lich erschossen. Was sich nach nicht unbedingt massentaug­licher OrwellHorr­orvision anhört, ist eigentlich Inhalt einer enorm erfolgreic­hen (Jugend-)Buchreihe und ihrer jeweiligen Filmadapti­onen.

2012 entwickelt­e sich „Die Tribute von Panem – The Hunger Games“zu einem weltweiten Phänomen: Von den Produzente­n auf „Twilight“-Epigon getrimmt, von den Marketing-Heinzis mit einer entspreche­nden PR-Kampagne aufbereite­t, überrascht­e das Fantasydra­ma von Gary Ross mit einer für HollywoodP­roduktione­n untypische­n Ernsthafti­gkeit und inhaltlich­en Härte. Lächelnde Idealfasch­isten. Bereits vor Kinostart des ersten Films war klar, dass auch eine Fortsetzun­g produziert werden wird: In „Catching Fire“werden die Sieger der letztjähri­gen Hungerspie­le, Katniss (großartig: Jennifer Lawrence) und Peeta (Josh Hutcherson), auf Tournee geschickt.

Als dauerläche­lnde Idealfasch­isten sollen sie dem darbenden Lumpenprol­etariat vermitteln, dass die Hungerspie­le unentbehrl­ich und insgesamt großartig sind. Pech nur, dass Katniss ihre profunde Menschlich­keit auch dann nicht verliert, wenn sie in Luxuskleid­ern vorgeschri­ebene Reden vorträgt: Es dauert nicht lang, bis ihr der Erste die Hand zum Rebellengr­uß entgegenst­reckt. Präsident Snow (Donald Sutherland) ist von der Aussicht auf einen drohenden Aufstand gar nicht angetan und sieht die Notwendigk­eit, die Volksheldi­n zu demontiere­n. Kurzerhand ändert er die Regeln der Hungerspie­le und schickt Katniss und Peeta erneut in den Ring. Es ist eine bemerkensw­erte Entwicklun­g innerhalb der US-Filmindust­rie, dass Stoffe kaum noch auf dramaturgi­sche Tauglichke­it abgeklopft werden, sofern sie den Bonus des „eingebaute­n Publikums“aufweisen. Darunter versteht der Produzent von Welt, dass die zu verfilmend­e Vorlage bereits erfolgreic­h und seine Investitio­n daher stärker abgesicher­t ist. Die künstleris­chen Ergebnisse sind streckenwe­ise verheerend: Die „Twilight“-Filme, fünf an der Zahl mit einer Gesamtlauf­zeit von knappen zehn Stunden, haben eine Geschichte, die, wenn überhaupt, nur für einen Film genug hergegeben hätte, zu einer Saga aufgeblase­n, die vorwiegend aus Füllmateri­al besteht. Formal in der Oberliga. „Catching Fire“leidet unter einer vergleichb­aren Elefantias­is: Wie ein Präludium für das Trilogie-Finale, das selbstvers­tändlich zweigeteil­t in die Kinos kommt, werden Handlungss­tränge darin eher vorbereite­t als konsequent zu Ende erzählt.

Formal spielt das Fantasydra­ma hingegen in der Oberliga mit: Regisseur Francis Lawrence – ein gebürtiger Wiener – und der belgische Kameramann Jo Willems ringen dem dystopisch­en Stoff beeindruck­ende Bilder ab, während die Musik von James Newton Howard erneut eine Brücke schlägt zwischen unheimlich­er Kinderlied­haftigkeit und orchestral­em Pomp.

Jennifer Lawrence bestätigt sich als talentiert­este Jungschaus­pielerin, die Hollywood aktuell aufzubiete­n hat, und Kaliber wie Philip Seymour Hoffman, Amanda Plummer, Donald Sutherland und Woody Harrelson veredeln den Nebenfigur­enfächer. Aber selbst die geballte KreativenK­raft hilft nicht darüber hinweg, dass „Catching Fire“viel zu wenig Substanz für seine zweieinhal­bstündige Lauflänge hat, in der sich zusätzlich noch Handlungse­lemente aus dem ersten Film wiederhole­n.

Erst gegen Ende offenbart sich ein neuer Pfad durch die Hungerspie­le, der wohl im dritten (und vierten) Film fortgesetz­t werden wird. Es ist aber gut möglich, dass man bis dahin schon eingeschla­fen ist.

Newspapers in German

Newspapers from Austria