Hunger nach Substanz bei den Hungerspielen
Der zweite »Tribute von Panem«-Film: »Catching Fire« ist ein aufgeblasenes Präludium. Statt eine Geschichte zu erzählen, bereitet er aufs Finale der Trilogie vor.
Kinder und Jugendliche werden in ein Kampfareal gesperrt und müssen sich mit Gladiatorenwaffen so lange gegenseitig meucheln, bis nur mehr einer (oder eine) übrig ist. Eine ehemalige Siegerin muckt gegen das zynische System auf und legt damit den Grundstein für eine Revolution. Potenzielle Aufrührer werden vom faschistischen System standrechtlich erschossen. Was sich nach nicht unbedingt massentauglicher OrwellHorrorvision anhört, ist eigentlich Inhalt einer enorm erfolgreichen (Jugend-)Buchreihe und ihrer jeweiligen Filmadaptionen.
2012 entwickelte sich „Die Tribute von Panem – The Hunger Games“zu einem weltweiten Phänomen: Von den Produzenten auf „Twilight“-Epigon getrimmt, von den Marketing-Heinzis mit einer entsprechenden PR-Kampagne aufbereitet, überraschte das Fantasydrama von Gary Ross mit einer für HollywoodProduktionen untypischen Ernsthaftigkeit und inhaltlichen Härte. Lächelnde Idealfaschisten. Bereits vor Kinostart des ersten Films war klar, dass auch eine Fortsetzung produziert werden wird: In „Catching Fire“werden die Sieger der letztjährigen Hungerspiele, Katniss (großartig: Jennifer Lawrence) und Peeta (Josh Hutcherson), auf Tournee geschickt.
Als dauerlächelnde Idealfaschisten sollen sie dem darbenden Lumpenproletariat vermitteln, dass die Hungerspiele unentbehrlich und insgesamt großartig sind. Pech nur, dass Katniss ihre profunde Menschlichkeit auch dann nicht verliert, wenn sie in Luxuskleidern vorgeschriebene Reden vorträgt: Es dauert nicht lang, bis ihr der Erste die Hand zum Rebellengruß entgegenstreckt. Präsident Snow (Donald Sutherland) ist von der Aussicht auf einen drohenden Aufstand gar nicht angetan und sieht die Notwendigkeit, die Volksheldin zu demontieren. Kurzerhand ändert er die Regeln der Hungerspiele und schickt Katniss und Peeta erneut in den Ring. Es ist eine bemerkenswerte Entwicklung innerhalb der US-Filmindustrie, dass Stoffe kaum noch auf dramaturgische Tauglichkeit abgeklopft werden, sofern sie den Bonus des „eingebauten Publikums“aufweisen. Darunter versteht der Produzent von Welt, dass die zu verfilmende Vorlage bereits erfolgreich und seine Investition daher stärker abgesichert ist. Die künstlerischen Ergebnisse sind streckenweise verheerend: Die „Twilight“-Filme, fünf an der Zahl mit einer Gesamtlaufzeit von knappen zehn Stunden, haben eine Geschichte, die, wenn überhaupt, nur für einen Film genug hergegeben hätte, zu einer Saga aufgeblasen, die vorwiegend aus Füllmaterial besteht. Formal in der Oberliga. „Catching Fire“leidet unter einer vergleichbaren Elefantiasis: Wie ein Präludium für das Trilogie-Finale, das selbstverständlich zweigeteilt in die Kinos kommt, werden Handlungsstränge darin eher vorbereitet als konsequent zu Ende erzählt.
Formal spielt das Fantasydrama hingegen in der Oberliga mit: Regisseur Francis Lawrence – ein gebürtiger Wiener – und der belgische Kameramann Jo Willems ringen dem dystopischen Stoff beeindruckende Bilder ab, während die Musik von James Newton Howard erneut eine Brücke schlägt zwischen unheimlicher Kinderliedhaftigkeit und orchestralem Pomp.
Jennifer Lawrence bestätigt sich als talentierteste Jungschauspielerin, die Hollywood aktuell aufzubieten hat, und Kaliber wie Philip Seymour Hoffman, Amanda Plummer, Donald Sutherland und Woody Harrelson veredeln den Nebenfigurenfächer. Aber selbst die geballte KreativenKraft hilft nicht darüber hinweg, dass „Catching Fire“viel zu wenig Substanz für seine zweieinhalbstündige Lauflänge hat, in der sich zusätzlich noch Handlungselemente aus dem ersten Film wiederholen.
Erst gegen Ende offenbart sich ein neuer Pfad durch die Hungerspiele, der wohl im dritten (und vierten) Film fortgesetzt werden wird. Es ist aber gut möglich, dass man bis dahin schon eingeschlafen ist.