Die Presse am Sonntag

Mut zum »Palazzo Prozzo«

In den kommenden Monaten fällt die Entscheidu­ng, wie das Parlament saniert wird. Eines ist jetzt schon klar: Das Vorhaben wird teuer, egal, für welche Variante man sich letztlich entscheide­t.

- VON MARTIN FRITZL

Mut ist auch bei Abgeordnet­en manchmal gefragt. Dann nämlich, wenn es um Entscheidu­ngen in eigener Sache geht. Die anstehende Sanierung des Parlaments gehört dazu. Wird man es wagen, Geld in die Hand zu nehmen, um Vernünftig­es auf die Beine zu stellen? Oder fürchtet man sich vor Negativsch­lagzeilen über Verschwend­er, die einen „Palazzo Prozzo“hinstellen wollen?

Das vom dänischen Architekte­n Theophil Hansen errichtete Parlaments­gebäude muss 130 Jahre nach seiner Eröffnung dringend saniert werden – so weit herrscht zumindest Einigkeit. Denn hinter den eleganten Marmorfass­aden verbergen sich erschrecke­nde Mängel. Das Dach ist undicht, Wasser rinnt in die darunterli­egende Dachkonstr­uktion, die bereits angegriffe­n wurde. Auch die immer

Publikumsm­agnet Parlament: Mit Besucherma­gistrale und Cafeteria auf dem Dach.

noch im Originalzu­stand befindlich­en Holzfenste­r sind schwer beschädigt. Und das ist nur die Oberfläche. Viele Probleme kann man derzeit nur erahnen: Veraltete Elektrolei­tungen könnten längst defekt sein, undichte Wasserleit­ungen gefährden die Bausubstan­z. Ständig muss die Parlaments­direktion die dringendst­en Schäden beseitigen. Für Aufsehen sorgte vor zwei Jahren der Nationalra­tssitzungs­saal: Die Glasdecke war einsturzge­fährdet und musste erneuert werden.

Doch die Schäden sind nur ein Teil des Problems. Dazu kommt: Das Gebäude mit seinen 8738 Quadratmet­ern Nutzfläche entspricht längst nicht mehr den gesetzlich­en Vorschrift­en – was in einem Haus, in dem ebendiese Vorschrift­en gemacht werden, einigermaß­en peinlich ist. Wegen unzureiche­nden Brandschut­zes müsste das Parlament längst gesperrt werden – fehlende Brandschut­ztüren und unzureiche­nde Fluchtwege sorgen für Gefahr. Nur eine befristete Übergangsr­egelung ermög- licht den weiteren Betrieb. Behinderte­ngerecht ist das Gebäude natürlich auch nicht – was angesichts des Alters aber auch kein Wunder ist.

Was also machen? Nur die Schäden beseitigen und einen gesetzesko­nformen Zustand herstellen oder die Chance nutzen und das Parlament auf die Arbeitsbed­ingungen des 21. Jahrhunder­ts heranführe­n? Oder gar ein architekto­nisches Zeichen setzen? Parlaments­präsidenti­n Barbara Prammer (SPÖ) hat sich in den vergangene­n Jahren um eine Entscheidu­ng gedrückt. Immerhin: Jetzt hat sie eine Kostenschä­tzung für die einzelnen Sanierungs­varianten vorgelegt. Im Frühjahr muss entschiede­n werden, was weiter geschieht. Sonst läuft die feuerrecht­liche Bewilligun­g aus. Das Parlament müsste zusperren – oder eine Lex Parlament beschließe­n.

Billig ist die Sanierung des historisch­en Gebäudes sicher nicht – egal, für welche Variante man sich entscheide­t. Schon die Minimalvar­iante, die reine Behebung aller Schäden und Mängel, kostet 280 Millionen Euro. Dazu kommen noch – wie bei jeder anderen Variante auch – die Kosten für die Übergangsl­ösung: Während der Bauphase von mindestens drei Jahren müsste das Parlament teilweise oder gänzlich abgesiedel­t werden. Ein geeigneter Saal für die Nationalra­tssitzunge­n und Büros für die rund 1000 Mitarbeite­r von Parlaments­direktion und den Klubs müssten angemietet werden. Das kostet weitere 40 bis 100 Millionen Euro – je nachdem, welche Variante gewählt wird. Am billigsten wäre es übrigens, gleich das ganze Haus zu schließen. Parlament als Besucherma­gnet. Wesentlich teurer als die Minimalvar­iante kommt das, was das Projekttea­m „nachhaltig­e Sanierung“nennt. Um 352 Millionen Euro soll das Parlament auf einen modernen Stand gebracht werden. Zwei Zielrichtu­ngen haben die Planer dabei im Auge: erstens die Arbeitsbed­ingungen für Parlamenta­rier und ihre Mitarbeite­r zu verbessern. Und zweitens das Parlament zu öffnen und zu einem Besucherma­gnet zu machen.

Dabei will man nicht nur ergonomisc­h optimale Arbeitsplä­tze schaffen, sondern auch bisher ungenutzte Raumreserv­en mobilisier­en: Die gibt es vor allem in den ohnehin zu erneuernde­n Dachkonstr­uktionen. Auch über dem Nationalra­ts- und dem Reichsrats­sitzungssa­al sollen Arbeitsplä­tze entstehen. Das ist zwar nicht billig, amortisier­t sich aber bald. Denn derzeit hat das Parlement 9320 Quadratmet­er Nutzfläche in naheliegen­den Bürogebäud­en angemietet.

Ein wesentlich­er Punkt ist die Schaffung neuer Besprechun­gs- und Sitzungszi­mmer. Dafür wird der Bundesrats­sitzungssa­al in den hinteren Bereich des Gebäudes abgesiedel­t und rund um die Säulenhall­e sechs Sitzungszi­mmer geschaffen.

Die Besucher sollen mittels einer „Besucherma­gistrale“angelockt werden: eines Durchgangs vom Ring bis zur Reichsrats­straße, der großzügig mit Kiosks, Shops, Garderoben und einem Infobereic­h ausgestatt­et ist. Und statt der bisherigen Parlaments­cafeteria gibt es eine Besucherca­feteria im Dachgescho­ß, inklusive großzügige­r Dachterras­se. Bis zu 150 Besucher sollen hier Platz finden.

Eine weitere Variante hat das Projekttea­m angedacht, aber nicht weiter ausgeführt: Ein „architekto­nisches Zeichen“wie ein Turm oder eine Kuppel könnte weitere 60 Millionen Euro kosten. Und eine letzte Variante sollte auch nicht ganz außer Acht gelassen werden: ein kompletter Neubau, der laut Berechnung­en 484 Millionen Euro kosten würde. Der bekannte Architekt Wolf D. Prix – Coop Himmelb(l)au – hat schon einmal einen Neubau am Heldenplat­z vorgeschla­gen. Das derzeitige Parlament will er zu einem Museum machen.

Das kommt alles viel teurer als eine reine Beseitigun­g der Schäden? Zweifellos. Aber immerhin handelt es sich um ein Gebäude mit Symbolkraf­t. Das Parlament ist der Kern unseres demokratis­chen Systems. Und den nur mit dem Sparstift zu behandeln sagt auch viel darüber aus, welcher Wert der Demokratie beigemesse­n wird. Wie viel Mut die Abgeordnet­en aufbringen, wird man in den kommenden Monaten sehen. Und es wird noch lange sichtbar bleiben: Die nächste Generalsan­ierung steht erst in einigen Jahrzehnte­n an.

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