Kurz vor dem Karrieresprung
Staatssekretär Sebastian Kurz könnte Außenminister werden. Aber kann er das auch? In Diplomatenkreisen sind die Meinungen gespalten.
Die Türken waren erstaunt – Regierungs- ebenso wie Medienvertreter: „So jung? Und schon Staatssekretär?“Vor einem Jahr absolvierte Sebastian Kurz, damals 26, seinen ersten „Staatsbesuch“in der Türkei, Herkunftsland der 280.000 Austrotürken. Er traf unter anderem den Stellvertreter von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan,˘ Bekir Bozdag,˘ und Europaminister Egemen Bagi˘ s.¸ In der ihm eigenen Höflichkeit, wiewohl bestimmt in der Sache – die türkischen Zuwanderer müssten sich in Österreich besser integrieren –, machte der Integrationsstaatssekretär aus Wien beste Figur.
Möglicherweise kann Kurz die Türkei bald wieder besuchen – diesmal als Außenminister. Galt der Staatssekretär bisher als Kandidat für ein nicht näher definiertes „Zukunftsministerium“, so soll er nun Michael Spindelegger als Außenminister nachfolgen, sollte dieser Finanz- oder Wirtschaftsminister werden. So ist es zumindest in und außerhalb der ÖVP immer öfter zu hören.
Aber kann Kurz das auch? Seit über einem Monat stellt er sich diese Frage selbst. Noch vor dem Nationalfeiertag lotete Spindelegger bei ihm zum ersten Mal aus, ob er sich den Job zutraue. Kurz reagierte zögerlich bis abwehrend. Er dachte zunächst selbst, er sei noch zu jung für den Posten, erinnerte sich an all die Häme, als er mit nur 25 Jahren zum Staatssekretär aufstieg. Doch hatte er diese Feuerprobe nicht schon hinter sich? Würde die Medienmeute wirklich ein zweites Mal allein wegen seines Alters über ihn herfallen?
Kurz blieb im Gespräch. Er sagte nicht ab, freundete sich langsam mit der Karriereaussicht an, erkundigte sich, was denn so zu tun wäre als Außenminister. Unverbindlich, versteht sich. Denn entschieden ist noch nichts. Hahn, Karas oder Amon? Kurz ist nicht der einzige Kandidat. Neulich fühlte EU-Kommissar Johannes Hahn in Wien vor, wie es mit seiner Laufbahn weitergehen könnte. Im Sommer formiert sich die Kommission neu. Hahns Amtsperiode könnte verlängert werden – oder auch nicht, wenn ÖVP und SPÖ, im Junktim mit einer Neubesetzung im ORF vielleicht, die Karten neu mischen. Da muss man rechtzeitig darauf schauen, was man hat.
Zu Höherem berufen dünkt sich auch Othmar Karas. Er sah sich schon 2008 an der Spitze des Außenamts.
Würde die Medienmeute wirklich ein zweites Mal wegen des Alters über ihn herfallen?
Doch dann griff Spindelegger zu. Kommt der Vizepräsident des EU-Parlaments diesmal zum Zug? Seine Chancen schätzt man in Spindeleggers Umfeld als gering ein. Karas wird wahrscheinlich Spitzenkandidat bei der EU-Wahl. Und Reinhold Lopatka? Der Staatssekretär galt als logischer Favorit für einen hausinternen Aufstieg am Minoritenplatz. Inzwischen heißt es, Lopatka habe andere Pläne.
Deshalb könnten sich der komplizierten Machtarithmetik der ÖVP zufolge für einen anderen Steirer die weißen Flügeltüren in das Ministerzimmer öffnen: An der Gerüchtebörse notiert nun auch Werner Amon. Doch ins Spiel gebracht, so hört man, hat sich der außenpolitischer Sprecher selbst.
Wird also doch Sebastian Kurz Außenminister? Von allen Anwärtern hat er derzeit die besten Chancen. Außer Michael Spindelegger bleibt doch selbst im Amt.
Auf dem diplomatischen Parkett in Wien kreist der Small Talk derzeit jedenfalls vor allem um Kurz. Die Meinungen gehen auseinander. „Können Sie sich vorstellen, dass er einem Sergej Lawrow oder einem John Kerry gegenübersitzt?“, fragte ein ausländischer Botschaftsangehöriger neulich verschmitzt in die Runde. Andere preisen das Kommunikationstalent des Jungpolitikers. Kurz werde sich international sicherlich schnell vernetzen. Guter Zuhörer. Im Außenamt selbst ätzt der eine oder andere Altdiplomat über den krawattenlosen Jungspund. Doch alle, auch die mürrischen Beamten, wissen, dass sie letztlich jeden Minister akzeptieren müssen. Und Kurz, so meinen seine Fürsprecher, könnte die Stimmung sogar heben und neue Dynamik ins Haus bringen. Denn ihm wird nachgesagt, dass er gut zuhört. Und das haben Sektionschefs und Referatsleiter besonders gern.
Sebastian Kurz käme jedenfalls sein bisher schon als Integrationsstaatssekretär zur Schau gestelltes diplomatisches Geschick zugute. Es gibt keine unüberlegte Äußerung von ihm, schon gar keine, die die Parteiführung verärgern könnte. In Interviews ist er dementsprechend vorsichtig, konzentriert sich vorrangig auf seine Sachmaterie. Wiewohl er im Wahlkampf, nicht zuletzt in seiner Zweitfunktion als Chef der Jungen ÖVP, als eine Art Wunderwaffe eingesetzt wurde
Aber auch da galt und gilt: Kurz ist höflich, smart und unverbindlich. Ecken und Kanten sucht man bei ihm vergeblich. Sein Trumpf ist seine jugendliche Frische und Unbekümmertheit. Allerdings ist solches im Anforderungsprofil für einen Außenminister nicht wirklich vorgesehen.