Die Presse am Sonntag

Thailands monarchist­ische Revolution­äre

Die Protestbew­egung will mithilfe des Militärs die demokratis­ch gewählte Regierung zu Fall bringen. Ihr ist Premiermin­isterin Yingluck Shinawatra, die Schwester des bei den sozial Benachteil­igten beliebten Ex-Premiers Thaksin, ein Dorn im Auge.

- VON SASCHA ZASTIRAL (BANGKOK)

Im Untergesch­oß des riesigen Chaeng-Watthana-Verwaltung­skomplexes im Norden Bangkoks sitzt Suthep Thaugsuban in einem Reisebüro und hält Kriegsrat. Er berät sich mit Assistente­n und anderen politische­n Aktivisten. Etwa drei Dutzend grimmig aussehende Männer haben eine Menschenke­tte vor dem Geschäft gebildet: Sutheps Personensc­hützer. Passanten bleiben stehen und machen mit ihren Handys und Tablets Fotos. Suthep ist ihr Held. Seine Anhänger, die meisten von ihnen Mitglieder von Bangkoks Mittelschi­cht und Elite, jubeln ihm zu. Thailand befindet sich, wieder einmal, im Ausnahmezu­stand.

Suthep führt derzeit die Proteste der Gegner von Premiermin­isterin Yingluck Shinawatra an, die das Land in eine schwere Krise gestürzt haben. Er ist ein Führungska­der der monarchist­ischen Democrat Party. Vor wenigen Wochen haben er und acht weitere Abgeordnet­e der Partei ihre Mandate niedergele­gt, um die Proteste anführen zu können. Tausende Demonstran­ten haben Anfang der Woche das Finanzmini­sterium gestürmt und mehrere andere Ministerie­n belagert. Am Freitag drang eine Studenteng­ruppe vorübergeh­end in das Militärhau­ptquartier ein und forderte die Armeeführu­ng zum Putsch gegen die Regierung auf.

Das genaue Ziel der Demonstran­ten war tagelang unklar. Nun verlangen die Organisato­ren nichts Geringeres als den Sturz der demokratis­ch gewählten Regierung. Gespräche lehnen sie ab. Mehr noch: Das parlamenta­rische System soll abgeschaff­t und durch eine „wahre konstituti­onelle Monarchie“ersetzt werden, in der es keine Wahlen und Politiker gibt. Ein „Volksrat“, bestehend aus ernannten Repräsenta­nten, soll das Land anführen. Die Demonstran­ten sprechen von einer Revolution. In Wirklichke­it wäre es eine Restaurati­on: eine Rückkehr zu vordemokra­tischen Zeiten, in denen die Elite in Bangkok das Sagen hatte. Schrittwei­se Eskalation. Die Demonstran­ten verfolgen eine Taktik der schrittwei­sen Eskalation, die in den vergangene­n Jahren bereits mehrfach erfolgreic­h war. 2006 hat das Militär nach ähnlichen Protesten den damaligen Premiermin­ister Thaksin Shinawatra aus dem Amt geputscht. 2008 löste das Verfassung­sgericht in Bangkok eine weitere Pro-Thaksin-Regierungs­partei auf, die zum Entsetzen seiner Gegner aus den ersten Wahlen nach

Regierungs­gegner genehmigen sich ein Päuschen, nachdem sie in das Militärhau­ptquartier eingedrung­en sind. dem Ende der Militärjun­ta siegreich hervorgega­ngen war. Auch damals hatten Thaksins Gegner ihre Proteste gezielt eskalieren lassen. Tausende von Gelbhemden hatten tagelang beide Flughäfen der Hauptstadt besetzt. Einer der Richter, der damals für die Auflösung gestimmt hat, hat erst kürzlich eingeräumt, dass das Urteil unter dem Eindruck der Proteste erfolgt ist.

Der Hass der Regierungs­gegner richtet sich vor allem gegen einen Mann: Thaksin Shinawatra. Der Selfmade-Milliardär aus dem Norden des Landes ist 2001 zum ersten Mal zum Premiermin­ister des Landes gewählt worden. Seine Parteien haben seitdem alle Wahlen gewonnen, zuletzt 2011. Thaksins Schwester Yingluck ist derzeit Regierungs­chefin. Thaksin ist so etwas wie eine Mischung aus Silvio Berlusconi und Hugo Chavez.´ Er hat eine Reihe umfangreic­her Programme zur Armutsbekä­mpfung in Gang gesetzt, die außerorden­tlich erfolgreic­h waren. Aus seiner Zeit stammt auch die allgemeine Krankenver­sicherung. Während der fünf Jahre, die Thaksin im Amt war,

Thaksin ist eine asiatische Mischung aus Hugo Ch´avez und Silvio Berlusconi.

sank die Zahl der Armen um die Hälfte. Die Menschen im Norden und im bevölkerun­gsreichen und besonders unterentwi­ckelten Nordosten des Landes feiern ihn dafür bis heute.

Gleichzeit­ig ist Thaksins Regierungs­stil schon früh immer autoritäre­r geworden. Er setzte Kritiker unter Druck und zerrte kritische Journalist­en vor Gericht. Und er ließ das Parlament Gesetze maßschneid­ern, die seinem Firmenimpe­rium nützten. Immer mehr Posten im Land besetzte er mit Familienmi­tgliedern und Vertrauten.

Seine Gegner werfen ihm bis heute vor allem seine angeblich maßlose Korruption vor. Tatsächlic­h waren Thaksins Handlungen rein rechtlich gesehen nicht gesetzwidr­ig. Unmoralisc­h waren sie allemal. Einzig ein Land-Deal, den seine Exfrau während seiner Amtszeit getätigt hat und den er als Premiermin­ister absegnen musste, konnte ihm zur Last gelegt werden. Richter schneidert­en daraus einen Interessen­konflikt und verurteilt­en ihn in

Putsch 2006.

Das Militär setzt Premiermin­ister Thaksin Shinawatra ab. Als er gerichtlic­h belangt werden soll, flieht er nach Dubai.

2009, 2010.

Die Unterstütz­er von Thaksin gehen auf die Straße. 2010 kommen bei Zusammenst­ößen Dutzende Menschen ums Leben.

Bei den Parlaments­wahlen siegt schließlic­h Yingluck Shinawatra, die Schwester Thaksins.

2011.

November 2013.

Nach einem geplanten umstritten­en Amnestiege­setz der Regierung, das auch dem exilierten ExPremier Thaksin zugutegeko­mmen wäre, formieren sich in Thailand erneut Proteste von Regierungs­gegnern. Abwesenhei­t zu einer zweijährig­en Haftstrafe. Kurz vor dem Urteil setzte sich der Politiker nach Dubai ab.

Und dort soll er aus Sicht seiner Gegner auch bleiben. Die jetzige Protestwel­le hat die Regierung mit einem ungeschick­ten und dreisten Schachzug in Gang gesetzt. Ende Oktober versuchte sie, ein Amnestiege­setz im Parlament durchzuset­zen, das wohl auch Thaksin die Rückkehr nach Thailand ermöglicht hätte. Nach anfänglich­en Protesten kippte man das Vorhaben. Die Proteste gingen jedoch weiter. Vertrauen verloren. Die Thaksin-Gegner, die 2006, 2008 und jetzt wieder das Land an den Rand des Zusammenbr­uchs getrieben haben, stammen überwiegen­d aus Bangkoks Mittelschi­cht und der Elite des Landes. Sie berufen sich bei ihren Protesten stets darauf, dass Thaksin die alleinige Ursache für die massive Korruption im Land sei, was sicher nicht zutrifft. In der Tat scheinen viele Mitglieder der Mittelschi­cht das Vertrauen in die Politik verloren zu haben. Ihr Hass hat aber auch eine ganz andere Ursache.

Thailands Gesellscha­ft ist eine der hierarchis­chsten der Welt. Vielen Mitglieder­n von Bangkoks Mittelschi­cht und Elite missfiel es schon vor zehn Jahren, eine Regierung an der Macht zu sehen, die vor allem von Menschen aus den niedrigere­n Einkommens­schichten gewählt worden ist. Als diese Regierung damals auch noch begann, große Teile des Staatshaus­halts in ländliche Regionen zu lenken, ging das vielen Bewohnern der Hauptstadt zu weit. Die Armen hätten das nicht verdient.

Diese Denkweise spiegelt sich in einem Argument, das die überwiegen­d gut situierten Thaksin-Gegner seit 2008 immer wieder anführen, besonders deutlich wider: Demokratie funktionie­re in Thailand nicht, da die Armen zu ungebildet seien, um vernünftig­e Entscheidu­ngen zu treffen. Daher die Forderung nach der Abschaffun­g des allgemeine­n Wahlrechts.

Thailand steht auf dem Scheideweg. Seit Tagen protestier­en in einem Fußballsta­dion im Osten der Stadt auch die Rothemden, Thaksins Unterstütz­er. Tausende sind am Wochenende hinzugekom­men. Sie wollen auf die Straße gehen, falls Generäle oder Richter ein weiteres Mal dazu ansetzen, die Regierung zu entfernen.

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