Die Presse am Sonntag

»Sinn entsteht nicht durch den besten Preis«

Wohin geht die Reise im Modehandel? Ein Shop muss künftig mehr sein als ein Ort des Verkaufs, nämlich Community-Treff, Veranstalt­ungslocati­on, Ausstellun­gsort oder Produktion­sstätte. So mancher Laufschuh in Wien wird deshalb nicht verkauft, sondern versch

- VON HERBERT ASAMER

Ob im zweiten Wiener Bezirk bei Tonys Laufshop oder im Sechsten bei Laufsport Blutsch, die Bilder gleichen einander. Die vom Laufvirus infizierte Kundschaft wartet geduldig. Die vielen Stammkunde­n wissen aus Erfahrung, dass es sich lohnt. Tony Nagy und Hans Blutsch, „Institutio­nen“für Läufergene­rationen, zeigen in ihren inhabergef­ührten Shops schon seit Jahren vor, wie Kundenbind­ung funktionie­rt. Sie verkaufen keine Schuhe, sie verschreib­en sie.

Die Konsumente­n schätzen den direkten Kontakt, die Beratungsk­ompetenz und die hohe Glaubwürdi­gkeit. Doch das ist nicht überall so im modischen Handel in Wien, zu dem die Wirtschaft­skammer Bekleidung, Schuhe, Lederwaren und Sportartik­el zählt.

Vor zehn Jahren gab es in diesen Branchen allein in Wien 2200 Geschäfte. „Im vergangene­n Jahr waren es nur noch 1680“, sagt KMU-Experte Ernst Gittenberg­er. Er nennt das „Strukturbe­reinigung“.

Diese enorme Veränderun­g hat den Anteil der Klein- und Mittelunte­r- nehmen (KMU) mit Gewinn von 41 auf 58 Prozent steigen lassen. Viele Kleinunter­nehmer fanden keinen Nachfolger. „Dem Strukturwa­ndel sind vor allem typische Mittelstän­dler mit drei bis sechs Filialen zum Opfer gefallen“, erklärt der Spartenobm­ann für Bekleidung, Schuhe, Lederwaren und Sportartik­el in der Wiener Wirtschaft­skammer, Helmut Schramm. Erwischt habe es vor allem jene, die sich nicht spezialisi­ert und die über Standorte in schlechten Lagen verfügt hätten. Wenig Interesse an neuen Trends. Die Zahlen stammen aus der Trendstudi­e von KMU-Forschung und Zukunftsin­stitut Österreich. Auftraggeb­er Schramm kündigte sie als „kleinen Schritt für die Menschheit, aber großen Schritt für den Wiener modischen Einzelhand­el“an. Vergeblich. Kaum 50 Händler kamen zur Präsentati­on in die Räumlichke­iten der Gewerblich­en Wirtschaft. Die innovative Studie passte auch so gar nicht in das Ambiente des leicht antiquiert­en Hauses mit dem Charme der 1970er-Jahre.

Schlagwört­er wie Individual­isierung, Urbanisier­ung, Mobilität, Silver Society oder Konnektivi­tät sollten die Akteure des Handels aufwecken. Es geht um mehr als die altbekannt­e Käufer-Verkäufer-Beziehung. „Der Verkaufsor­t muss in Zeiten des Onlinehand­els seine Faszinatio­n erweitern. Am realen Ort muss Sinn erzeugt werden, der nur im physischen Kontakt mit realen Menschen entstehen kann“, zeigt Ko-Autor Harald Gatterer vom Zukunftsin­stitut Österreich die Richtung auf. „Sinn entsteht nicht durch den besten Preis oder die schnellste Lieferung.“

„Wien hat Aufholbeda­rf. Die Hauptstadt soll sich nicht mit den Landeshaup­tstädten vergleiche­n, sondern mit europäisch­en Metropolen messen“, kritisiert der Zukunftsfo­rscher. In Städten wie Berlin oder München werden neue Konzepte schneller umgesetzt. Es müssen gesellscha­ftliche Trends wie die Vernetzung der Händler zu einer Community häufiger und schneller implementi­ert werden, sagt Gatterer.

Die Studienaut­oren kommen auch zum Schluss, dass sich der Shoppingce­nter-Boom stark einbremsen werde. Eine gute Nachricht für die Wirtschaft­skammer, die neuen Einkaufsze­ntren stets neutral bis ablehnend gegenüber stand. „Obwohl kurzfristi­g noch ein paar Quadratmet­er dazukommen werden, wird künftig mehr umgebaut als neu gebaut“, sagt Roman Schwarzene­cker vom Handelsber­ater Standort + Markt. Auch wenn neue Unternehme­n noch in Toplagen drängen und sich bei einem Neustart auf keine Experiment­e einlassen, die Verkaufsfl­ächen werden nicht zunehmen. Onlineshop­ping lässt grüßen. Migranten als wichtige Kundengrup­pe. Der Trend der Urbanisier­ung wird Wien voll treffen, die Bevölkerun­g von 1,7 Millionen soll bis 2025 auf zwei Millionen wachsen. Für den Modehandel stellen Migranten, die 2012 in Wien einen Bevölkerun­gsanteil von 31 Prozent ausmachten, eine bedeutende Käuferschi­cht dar. Das Modebe-

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