Die Presse am Sonntag

»Europa reagiert bei Schieferga­s falsch«

Schieferga­s und Schieferöl machen die USA zur neuen Energiegro­ßmacht, ist US-Ökonom Daniel Yergin Entwicklun­g, die nachhaltig so bleiben wird, warnt OMV-Chef Gerhard Roiss. überzeugt. Eine

- VON JAKOB ZIRM

Kürzlich stellte die Internatio­nale Energieage­ntur ihren aktuellen „Energy Outlook“vor. Laut diesem wird Europa bis zum Jahr 2035 ein Drittel seines globalen Marktantei­ls bei energieint­ensiven Produkten verlieren, weil Energie so teuer ist. Anders in den USA, wo Schieferga­s und Schieferöl den Preis nach unten drücken. Versäumt Europa eine Energie-Revolution? Daniel Yergin: Ja, es gibt derzeit eine wahre Revolution bei sogenannte­m unkonventi­onellen Öl und Gas in den USA. Und das senkt die Energiekos­ten dramatisch. Für den Wirtschaft­sstandort Asien wird dies eine Herausford­erung sein. Und für Europa ist es eine echte Bedrohung. Denn wir sehen schon jetzt einen Exodus von Industrieb­etrieben aus Europa Richtung Amerika. Kann dieser Energieboo­m in Asien oder Europa überhaupt nachgemach­t werden? Yergin: Viele Länder haben solche Reserven. Das ist nichts Spezielles, was es nur in den USA gibt. Allerdings muss man bohren, um die Qualität feststelle­n zu können. Einige Geologen glauben jedoch, dass etwa China sogar ein größeres Potenzial als die USA hat. Und die Chinesen sind auch sehr interessie­rt, das Thema voranzutre­iben. Ebenso die Russen, die vor allem auf ihre Schieferöl­reserven setzen. In Europa dürften Großbritan­nien, Polen, die Ukraine und Rumänien über große Reserven verfügen. Und auch Österreich hat ein ziemlich großes Potenzial für Schieferga­s. Österreich ist in Europa sogar eines der interessan­testen Länder. In Österreich wurden bei Schieferga­s aber sogar Probebohru­ngen verboten. Verstehen Sie diese Herangehen­sweise? Yergin: Es ist eine Überreakti­on, wie so vieles in Europa zu dem Thema. In den USA gibt es hohe Umweltstan­dards und strenge Vorschrift­en für die Schieferga­sförderung. Ich war bei der Erstellung dieser Vorschrift­en im Auftrag von Präsident Obama beteiligt. Und ich weiß daher auch, dass Schieferga­s ohne negative Einflüsse für die Umwelt gefördert werden kann und in den meisten Fällen auch wird. Viele Reaktionen in Europa sind meiner Ansicht nach nicht auf echten Informatio­nen aufgebaut, sondern auf einseitige­n TV-Dokumentat­ionen. Das ist umso eigenartig­er, als Europa hier einfach auf den Erfahrunge­n der USA aufbauen könnte. Dort stammen bereits 44 Prozent der Gasprodukt­ion aus Schieferga­s. Gerhard Roiss: Das Ganze ist ein sehr emotionale­s Thema. Und auf diese Emotionen hat die Regierung mit ihrem Verbot Bezug genommen. Das respektier­en wir natürlich. Es ist eine politische Entscheidu­ng, ob wir unsere eigenen Ressourcen nutzen wollen oder ob wir weiterhin von Russland abhängig sein wollen. Wir haben angeboten,

„Gas ersetzt Kohle. So konnten die USA ihren CO2-Ausstoß auf das Niveau von 1994 senken. Ganz ohne CO2-Handel“, sagt Yergin (r.).

Daniel Yergin

Der 66-jährige USÖkonom gründete und leitet seit 1982 den amerikanis­chen Energie-Thinktank Cambridge Energy Research Associates. Zuvor unterricht­ete er Wirtschaft und Politik an der Universitä­t Harvard. Für sein Buch „The Prize – The Epic Quest for Oil, Money & Power“erhielt er 1992 den Pulitzer-Preis.

Gerhard Roiss

Der Oberösterr­eicher leitet seit April 2011 den heimischen Ölkonzern OMV. Der 61-Jährige ist seit 1997 im Vorstand des Unternehme­ns. Zuletzt war er für das Absatzgesc­häft (Refining & Marketing) verantwort­lich. an möglichst umweltfreu­ndlichen Methoden forschen zu wollen. Das wurde abgelehnt. Yergin: Von außen beobachtet ist es schon etwas eigenartig, dass man nicht einmal testen will, welche Ressourcen es gibt. Dann könnte man ja immer noch darüber diskutiere­n, ob sie genutzt werden sollen oder nicht. Und eines wird von den Schieferga­s-Gegnern bei dieser Diskussion auch oft vergessen: welchen positiven Effekt billiges Gas auf den Ausstoß von CO2 hat, weil es Kohle ersetzt. So konnten die USA ihre Emissionen auf das Niveau von 1994 senken – ganz ohne CO2Handel oder andere Dinge, die in Europa versucht werden. Der Schieferga­sboom wird aber nicht nur aus Umweltschu­tzgründen kritisiert. Es wird auch die Frage gestellt, ob er nachhaltig ist, da die Produktion­srate in Schieferga­sfeldern deutlich schneller fällt als bei herkömmlic­her Gasförderu­ng. Yergin: Ich höre dieses Argument sehr oft in Europa. Aber es ist mir nicht ganz klar, worauf diese Kritik basiert. Es stimmt, dass die Förderrate­n bei einem einzelnen Bohrloch schneller zurückgehe­n. Das heißt aber nur, dass ein Feld operativ anders ausgebeute­t werden muss als ein konvention­elles Gasfeld. In Summe legt die Produktion von Schieferga­s jedoch immer noch laufend zu. Die Frage ist aber, ob der Boom zu den gegenwärti­gen Preisen nachhaltig sein wird. Schon jetzt haben viele Schieferga­sproduzent­en finanziell­e Schwierigk­eiten, weil die Produktion­skosten höher sind, als erwartet wurde. Yergin: Die Gaspreise sind derzeit so niedrig, weil es zurzeit ein massives Überangebo­t bei Schieferga­s gibt. Aber auch die Kosten sind aufgrund der Erfahrunge­n deutlich gefallen. Heute kann Schieferga­s zu einem Drittel des Preises von vor sechs Jahren produziert werden. Es mag also stimmen, dass der Preis derzeit so niedrig ist, dass der eine oder andere Produzent ein Problem hat. In Summe ist das aber kein Thema. Die USA überholen vielmehr zurzeit gerade Russland als den weltgrößte­n Gasproduze­nten. Roiss: Europa muss verstehen, dass diese Entwicklun­gen in den USA substanzie­ll sind. Dass es diesen Preisunter­schied im Energiesek­tor einfach bereits gibt. Und dass es ihn für lange Zeit geben wird. Yergin: Wir haben uns das Thema in einer Studie speziell für Deutschlan­d angesehen. Und da zeigt sich, dass die Energiepre­ise ein genau so starker Wettbewerb­snachteil werden können, wie es die Arbeitskos­ten vor zehn Jahren waren. Nur ein Beispiel: Vor zwei Wochen veranstalt­ete das US-Wirtschaft­sministeri­um in Washington eine Konferenz für ausländisc­he Firmen, die in den USA investiere­n wollen. 1200 Personen nahmen daran teil. Sie mussten jedoch 1400 Personen abweisen, weil es nicht genügend Platz gab. Welche Bedeutung wird diese Energie-Revolution schlussend­lich haben? Werden die USA wieder zu einem großen Energie-Exporteur? Yergin: Die USA werden sicherlich ein Exporteur von Gas werden. Bei Öl sieht das Ganze etwas differenzi­erter aus. Zwar werden die USA zum Teil auch Öl exportiere­n, in Summe werden die Importe aber größer bleiben. Die Importquot­en werden aber deutlich sinken. Und der Großteil der Importe wird aus Kanada kommen. Vor 40 Jahren lag unsere Importquot­e bei 35 Prozent. Dann ging sie auf 60 Prozent hinauf. Jetzt ist sie wieder bei 35 Prozent und dürfte in den nächsten zehn Jahren auf 15 bis 20 Prozent fallen. Wie hoch ist das endgültige Potenzial von Schieferöl in den USA? Yergin: Dazu gibt es unterschie­dliche Schätzunge­n. Um jedoch die Größenordn­ung zu veranschau­lichen: Die USÖlproduk­tion ist heute um 56 Prozent höher als 2008. Nur dieser Zuwachs ist mehr als die gesamte Produktion von acht der dreizehn Opec-Länder in Summe. Und wenn man mit Leuten aus der Branche spricht, meinen die, dass wir immer noch im ersten Drittel der Entwicklun­g stehen. Was werden die geopolitis­chen Konsequenz­en dieser Entwicklun­g sein? Werden die Vereinigte­n Staaten ihr Interesse am Nahen Osten verlieren? Yergin: Das ist zur Zeit eine der am stärksten diskutiere­n Fragen in den Staaten. Vorige Woche hatte ich dazu ein Gespräch mit einem hohen Vertreter des Militärs. Man ist sich auch innerhalb des Pentagons darüber noch nicht einig. Die Sache ist aber so: Auch wenn die USA nur mehr wenig Öl aus der Region importiere­n, ist die Region für die Stabilität des Marktes wichtig, weil Europa und China sehr viel Öl von dort importiere­n. Und es ist nicht klar, wer die Rolle der USA im Nahen Osten übernehmen soll. Auf der vergangene­n Münchner Sicherheit­skonferenz meinte ein Vertreter Deutschlan­ds, es sei kein Problem, wenn sich die USA zurückzieh­en würden. Europa würde das Vakuum füllen. Nicht alle Anwesenden waren wirklich überzeugt.

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Roßboth

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