Blümchensex: Die Suche nach der
Beim Züchten von Pflanzen mit pharmazeutischer Wirkung wie etwa Kamille oder Baldrian ist entscheidend, wie viele Kopien der Chromosomen es gibt.
Will man Pflanzen erfolgreich züchten, muss man zuerst wissen, wie sie es miteinander tun.“Bettina Fähnrich, Agrarwissenschaftlerin an der Veterinärmedizinischen Uni Wien, untersucht das seit Jahren an der Kamille, Matricaria recutita, einer Heilpflanze, die häufig gegen Magen- und Darmerkrankungen eingesetzt wird, und zwar nicht nur beim Menschen, sondern auch in der Tiermedizin.
In Österreich wird Kamille derzeit nur selten angebaut, der Großteil wird aus Südamerika, Ägypten sowie Osteuropa importiert. Fähnrich will das ändern. In der Praxis ist ein Hindernis, dass die Kamille – so wie fast alle Pflanzen – Samen bildet, die im nächsten Jahr aufgehen, und wenn auf einem Feld eine andere Pflanzenart angebaut wird, muss die Kamille als „Unkraut“entfernt werden. Fähnrich ist daher auf
Pflanzensorten mit drei Chromosomensätzen haben oft die besten Eigenschaften.
der Suche nach Pflanzen, die weniger fertil sind. Konkret: die länger blühen (was auch den Erntezeitraum verlängert), weniger fruchtbare Samen bilden – und überhaupt blühwilliger sind.
Bei der Suche nach solchen „optimalen“Pflanzen kommt ihr ein Phänomen namens Polyploidie zugute. Bei vielen Pflanzenarten kann die Zahl der Chromosomensätze variieren: Im Normalfall haben Pflanzen – so wie alle Tiere und wir Menschen – zwei Kopien der Chromosomen im Zellkern (diploid); unsere Keimzellen sind haploid – sie haben nur einen Chromosomensatz. Bei Pflanzen können es hingegen drei, vier oder noch mehr Chromosomensätze sein.
Polyploidie kann in Pflanzen auf mehrere Arten natürlich entstehen. Sie kann aber auch gezielt erzeugt werden – etwa durch das Gift der Herbstzeitlose (Colchicin). In der Landwirtschaft nutzt man das schon seit Langem, um kräftigere, robustere und ertragreichere Sorten zu züchten. Saatweizen z. B. hat sechs Chromosomensätze, Erdbeeren sogar zehn. Solche Manipulationen wurden auch schon bei der Kamille durchgeführt: Vielerorts werden Pflanzen mit einem vierfachen Chromosomensatz angebaut (tetraploid). Gezielte Suche. Fähnrich ist indes auf der Suche nach triploiden Sorten – denn diese haben die von ihr gewünschten Blüh- und Fortpflanzungseigenschaften. Ähnlich ist das bei manchen Obstarten oder bei Zierpflanzen (Tagetes oder Begonien), bei denen ebenfalls Sorten mit drei Chromosomensätzen die günstigsten Eigenschaften haben.
Die Genetikerin machte sich auf die Suche nach triploiden Kamillearten, die natürlicherweise vorkommen. Leider ohne Ergebnis. Dann versuchte sie, bei den künstlich gezüchteten tetraploiden Sorten welche mit drei Chromsomensätzen zu finden – hier besteht theoretisch eine hohe Chance, denn Polyploidie ist evolutionär gesehen kein dauerhaftes Merkmal, das Genom ist instabil. Doch auch hier: Fehlanzeige. Fähnrich fand neben den tetraploiden Formen nur diploide bzw. Pflanzen mit deutlich mehr Chromosomensätzen.
Daher verlegte sie sich auf eine andere Methode: Sie kreuzt nun gezielt verschiedene Sorten und beobachtet, bei welchen Paarungen die Fruchtbarkeit der Pollen in der nächsten Generation abnimmt. Jene mit den „unfruchtbarsten“Nachkommen sind dann die Pflanzen, die in der Folge gezielt von anderen Sorten befruchtet werden. Das ist noch komplizierter, als es auf den ersten Blick aussieht, denn für diese Art des gezielten „Blümchensex“sind nur jene Pflanzen geeignet, die sich nicht selbst befruchten – bei der Kamille gibt es Selbst- und Fremdbestäuber.
Am Ziel ist Fähnrich noch nicht, aber auf dem Weg dorthin kooperiert sie international mit vielen anderen Forschergrup- pen, und dabei fallen viele wissenschaftliche Erkenntnisse an; allein im heurigen Herbst hat sie bisher zwei Arbeiten veröffentlicht.
Die Polyploidie bei Pflanzen steht auch bei Forschern an der Universität Wien im Zentrum – wenn auch aus einem anderen Grund: Johannes Saukel und Christoph Dobesˇ vom Department für Pharmakognosie suchen Baldrian-Arten, Valeriana officinalis, mit besonders hohem Gehalt an Wirkstoffen. Baldriantabletten, -kapseln oder -tee sind für viele Menschen, die unter Schlafstörungen oder nervöser Unruhe leiden und nicht sofort mit Kanonen auf Spatzen schießen wollen, ein gewohnter Begleiter in ihrem Leben. (Auch viele Katzenhalter schätzen dieses Gewächs übrigens.)