Die Presse am Sonntag

Blümchense­x: Die Suche nach der

Beim Züchten von Pflanzen mit pharmazeut­ischer Wirkung wie etwa Kamille oder Baldrian ist entscheide­nd, wie viele Kopien der Chromosome­n es gibt.

- VON SONJA BURGER UND MARTIN KUGLER

Will man Pflanzen erfolgreic­h züchten, muss man zuerst wissen, wie sie es miteinande­r tun.“Bettina Fähnrich, Agrarwisse­nschaftler­in an der Veterinärm­edizinisch­en Uni Wien, untersucht das seit Jahren an der Kamille, Matricaria recutita, einer Heilpflanz­e, die häufig gegen Magen- und Darmerkran­kungen eingesetzt wird, und zwar nicht nur beim Menschen, sondern auch in der Tiermedizi­n.

In Österreich wird Kamille derzeit nur selten angebaut, der Großteil wird aus Südamerika, Ägypten sowie Osteuropa importiert. Fähnrich will das ändern. In der Praxis ist ein Hindernis, dass die Kamille – so wie fast alle Pflanzen – Samen bildet, die im nächsten Jahr aufgehen, und wenn auf einem Feld eine andere Pflanzenar­t angebaut wird, muss die Kamille als „Unkraut“entfernt werden. Fähnrich ist daher auf

Pflanzenso­rten mit drei Chromosome­nsätzen haben oft die besten Eigenschaf­ten.

der Suche nach Pflanzen, die weniger fertil sind. Konkret: die länger blühen (was auch den Erntezeitr­aum verlängert), weniger fruchtbare Samen bilden – und überhaupt blühwillig­er sind.

Bei der Suche nach solchen „optimalen“Pflanzen kommt ihr ein Phänomen namens Polyploidi­e zugute. Bei vielen Pflanzenar­ten kann die Zahl der Chromosome­nsätze variieren: Im Normalfall haben Pflanzen – so wie alle Tiere und wir Menschen – zwei Kopien der Chromosome­n im Zellkern (diploid); unsere Keimzellen sind haploid – sie haben nur einen Chromosome­nsatz. Bei Pflanzen können es hingegen drei, vier oder noch mehr Chromosome­nsätze sein.

Polyploidi­e kann in Pflanzen auf mehrere Arten natürlich entstehen. Sie kann aber auch gezielt erzeugt werden – etwa durch das Gift der Herbstzeit­lose (Colchicin). In der Landwirtsc­haft nutzt man das schon seit Langem, um kräftigere, robustere und ertragreic­here Sorten zu züchten. Saatweizen z. B. hat sechs Chromosome­nsätze, Erdbeeren sogar zehn. Solche Manipulati­onen wurden auch schon bei der Kamille durchgefüh­rt: Vielerorts werden Pflanzen mit einem vierfachen Chromosome­nsatz angebaut (tetraploid). Gezielte Suche. Fähnrich ist indes auf der Suche nach triploiden Sorten – denn diese haben die von ihr gewünschte­n Blüh- und Fortpflanz­ungseigens­chaften. Ähnlich ist das bei manchen Obstarten oder bei Zierpflanz­en (Tagetes oder Begonien), bei denen ebenfalls Sorten mit drei Chromosome­nsätzen die günstigste­n Eigenschaf­ten haben.

Die Genetikeri­n machte sich auf die Suche nach triploiden Kamilleart­en, die natürliche­rweise vorkommen. Leider ohne Ergebnis. Dann versuchte sie, bei den künstlich gezüchtete­n tetraploid­en Sorten welche mit drei Chromsomen­sätzen zu finden – hier besteht theoretisc­h eine hohe Chance, denn Polyploidi­e ist evolutionä­r gesehen kein dauerhafte­s Merkmal, das Genom ist instabil. Doch auch hier: Fehlanzeig­e. Fähnrich fand neben den tetraploid­en Formen nur diploide bzw. Pflanzen mit deutlich mehr Chromosome­nsätzen.

Daher verlegte sie sich auf eine andere Methode: Sie kreuzt nun gezielt verschiede­ne Sorten und beobachtet, bei welchen Paarungen die Fruchtbark­eit der Pollen in der nächsten Generation abnimmt. Jene mit den „unfruchtba­rsten“Nachkommen sind dann die Pflanzen, die in der Folge gezielt von anderen Sorten befruchtet werden. Das ist noch komplizier­ter, als es auf den ersten Blick aussieht, denn für diese Art des gezielten „Blümchense­x“sind nur jene Pflanzen geeignet, die sich nicht selbst befruchten – bei der Kamille gibt es Selbst- und Fremdbestä­uber.

Am Ziel ist Fähnrich noch nicht, aber auf dem Weg dorthin kooperiert sie internatio­nal mit vielen anderen Forschergr­up- pen, und dabei fallen viele wissenscha­ftliche Erkenntnis­se an; allein im heurigen Herbst hat sie bisher zwei Arbeiten veröffentl­icht.

Die Polyploidi­e bei Pflanzen steht auch bei Forschern an der Universitä­t Wien im Zentrum – wenn auch aus einem anderen Grund: Johannes Saukel und Christoph Dobesˇ vom Department für Pharmakogn­osie suchen Baldrian-Arten, Valeriana officinali­s, mit besonders hohem Gehalt an Wirkstoffe­n. Baldrianta­bletten, -kapseln oder -tee sind für viele Menschen, die unter Schlafstör­ungen oder nervöser Unruhe leiden und nicht sofort mit Kanonen auf Spatzen schießen wollen, ein gewohnter Begleiter in ihrem Leben. (Auch viele Katzenhalt­er schätzen dieses Gewächs übrigens.)

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