Die Presse am Sonntag

Optimalen Arzneipfla­nze

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Welchen Anteil die einzelnen Bestandtei­le, etwa Valerensäu­re oder ätherische Öle, an der Wirkung tatsächlic­h haben, wird nach wie vor erforscht. Zuletzt fanden Wissenscha­ftler, dass die Valerensäu­re einen bestimmten Typ von Rezeptoren auf Nervenzell­en stimuliert und dadurch schlafanst­oßend und angstlösen­d wirkt. Viele Arten nicht genutzt. Unbestritt­en ist jedenfalls, dass Arznei-Baldrian pharmazeut­isch relevant ist – sowohl in der Volks- als auch in der Schulmediz­in. Umso erstaunlic­her findet es Saukel, dass ein Großteil der Hunderten von Arten in der Gattung der Baldriane bisher nicht arzneilich verwendet wird – diese könnten aber mögliche Quellen für neue Therapeuti­ka sein.

Eine der Erklärunge­n dafür ist, dass die Eignung als Arzneimitt­ellieferan­t nur mit großem Aufwand zu klären ist. „Valeriana officinali­s ist eine Arzneipfla­nze, die unter völlig unterschie­dlichen Standortbe­dingungen, von trocken bis feucht, gedeiht und damit ökologisch sehr divers ist“, erklärt Dobes.ˇ Unterschei­det sich ein Arzneibald­rian des Standorts A von einem Exemplar am Standort B, kann das mehrere Ursachen haben: klimatisch­e Bedingunge­n, Bodenbesch­affenheit oder die Genetik.

Um herauszufi­nden, welcher Faktor wirklich ausschlagg­ebend ist, werden alle Baldrianpf­lanzen unter den gleichen Standortbe­dingungen kultiviert. Können Klima und Boden als Einflussfa­ktoren ausgeschlo­ssen wer- den, dann muss die Erklärung bei der Genetik gesucht werden. Und hier kommt wieder die Polyploidi­e ins Spiel: Arzneibald­rian kann nicht nur zwei, sondern auch vier oder sogar acht komplette Chromosome­nsätze aufweisen. Unterstütz­t von einem mehrköpfig­en Team erforschte­n Saukel und Dobesˇ in den vergangene­n Jahren in einem von der Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW) finanziert­en Projekt Taxonomie und Polyploidi­e von Arzneibald­rian. Mehr Valerensäu­ren. „Wir haben mehr als tausend Arzneibald­rian-Individuen von fünf Kleinarten – das sind ähnliche, voneinande­r nur schwer unterschei­dbare Arten – in Vorarlberg und Tirol gesammelt“, erzählt Dobes.ˇ Diese Pflanzen wurden dann im Versuchsga­rten Augarten der Uni Wien sowie im Arzneimitt­elgarten am Uni-Standort Althanstra­ße unter gleichen Bedingunge­n kultiviert.

Nebenbei bemerkt: Für die Pharmakogn­osie (Drogenkund­e), bei der es darum geht, biogene Arzneimitt­el anhand ihrer chemischen Zusammense­tzung, ihres Aussehens, ihres Geruchs und Geschmacks zu erkennen, ist ein großes Repertoire an lebenden Pflan-

Der Großteil der Hunderten von Baldrianar­ten wird derzeit nicht genutzt.

zen notwendig. Von den Versuchsgä­rten profitiere­n daher Studierend­e und Forscher gleicherma­ßen.

Neben taxonomisc­hen und ökologisch­en Untersuchu­ngen wurden die Baldrianpf­lanzen auch auf ihren Gehalt an Valerensäu­ren hin analysiert. Beim Vergleich der Ergebnisse mit der Anzahl an Chromosome­nsätzen wurden die Forscher fündig: Es gelang der Nachweis, dass es eine Korrelatio­n zwischen den genetische­n Eigenschaf­ten und dem Wirkstoffg­ehalt gibt.

„Diese Ergebnisse sind eine Chance, um jene Pflanzen mit den besseren pharmazeut­ischen Eigenschaf­ten zu selektiere­n“, freut sich Dobes.ˇ Ausgewählt­e Individuen werden nun an der bayerische­n Hochschule für angewandte Wissenscha­ften Weihenstep­han-Triesdorf in Kulturform­en eingebrach­t – und nach Möglichkei­t durch Kreuzung oder Zucht neuer Linien verbessert. Auch bei den Baldrianpf­lanzen kann also nun das fröhliche (gesteuerte) Fortpflanz­en beginnen.

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