Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Das sogenannte Hirndoping greift immer weiter um sich. Ein großes europäisch­es Projekt sucht nun nach Leitlinien im Umgang mit »Neuro-Enhancemen­t«.

Die USA sind – wieder einmal – Vorreiter: In manchen Universitä­tsstädten lässt sich in der Prüfungsze­it bereits die Chemikalie Methylphen­idat – Handelsnam­e: Ritalin – im Abwasser nachweisen. Dieses Medikament, das ausschließ­lich für die Behandlung von ADHS (Zappelphil­ipp-Syndrom) zugelassen ist, wird von Heerschare­n von Studenten eingenomme­n, die die Leistungsf­ähigkeit ihres Gehirns steigern wollen.

Von Zuständen wie in den USA sei man in Österreich zwar noch weit entfernt, meint Helge Torgersen, Forscher am Institut für Technikfol­gen-Abschätzun­g (ITA) der Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW). Allerdings: „Zahlen über den Ritalin-Gebrauch zu Enhancemen­t-Zwecken sind nicht verfügbar“, schreibt er im jüngsten Newsletter des Ludwig Boltzmann Instituts Health Technology Assessment. Fragt man an Universitä­ten nach, dann zeige sich, dass bei hoher Dunkelziff­er etwa fünf bis zehn Prozent der Studenten dem Prüfungsst­ress nicht nur mit Energy Drinks chemisch ein Schnippche­n schlagen dürften. „Wie hoch die Zahl im Management­bereich ist, darüber lässt sich nur spekuliere­n.“Praktische­n Ärzten zufolge würden auch manche gesunde Erwachsene nach einer RitalinVer­schreibung verlangen, so Torgersen. Ergo: „Es scheint eine reelle Nachfrage zu geben.“

Wie man mit diesem Thema umgehen soll, weiß derzeit niemand. Die italienisc­he Bioethikko­mmission z. B. hat kürzlich einen Bericht herausgege­ben, laut dem derzeit nicht einmal eine seriöse Risikoabsc­hätzung möglich ist, weil die Forschunge­n zur Wirkung dieser Chemikalie­n noch in einem sehr frühen Stadium seien. Ritalin & Co. sind freilich nur die Spitze des Eisberges: Denn neben den chemischen Substanzen werden, wie berichtet, auch immer mehr elektrophy­siologisch­e Verfahren zur Hirnstimul­ation entwickelt.

Was not tut, sei eine „informiert­e Debatte“, so Torgersen. Genau das ist das Ziel des neuen EUProjekts NERRI (Neuro-Enhancemen­t and Responsibl­e Research and Innovation), in dem mit einem Budget von knapp vier Mio. Euro in den nächsten drei Jahren Forscher aus elf EU-Staaten (aus Medizin, Natur-, Sozial- und Geisteswis­senschafte­n) kooperiere­n. Aus Österreich ist neben dem ITA auch eine Gruppe um die Sozial- und Wirtschaft­spsycholog­in Nicole Kronberger an der Johannes Kepler Universitä­t (JKU) Linz beteiligt.

Ziel des Projektes ist ein normativer Rahmen für den Einsatz von „Hirndoping“. Auf dem Weg dorthin will man neben Analysen auch einen breiten gesellscha­ftlichen Dialog mit allen Stakeholde­rn initiieren. Lasst uns also diskutiere­n!

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