Von Moosen und Menschen
Die Bestsellerautorin Elizabeth Gilbert legt mit »Das Wesen der Dinge und der Liebe« wunderbaren Roman über eine außergewöhnliche Frau vor. einen
Größers wolltest auch du, aber die Liebe zwingt/all uns nieder . . .“, heißt es bei Hölderlin. Das tut sie auch in Elizabeth Gilberts neuem, 700 Seiten starken Schmöker. Aber sie ist auch Antrieb und Motor für herausragende geistige Leistungen und Unternehmen, wie etwa eine Reise um die halbe Welt.
Frauen, die in den vergangenen Jahrhunderten zu Forschungszwecken allein durch die Lande zogen – wie etwa Ida Pfeiffer oder später die TibetReisende Alexandra David-Neel´ – waren etwas Besonderes und nahmen zusätzlich zu den sonstigen Strapazen eines solchen Unterfangens Gefahren auf sich, denen die Männer nicht ausgesetzt waren. Eine derart couragierte Frau – Alma Whittaker – hat Gilbert in ihrem Buch porträtiert. Das Reisen zählt zu Gilberts Kardinalthemen, wie sich schon in ihrem autobiografischen Bestseller „Eat, Pray, Love“zeigt, in dem Elizabeth alles hinter sich lässt und durch Europa und Asien tingelt. Diesmal geht es um eine Frau, die dieses Wagnis im 19. Jahrhundert eingeht. Sie wächst in Philadelphia als einzige Tochter eines englischen Selfmademans auf, der mit einer gebildeten Holländerin verheiratet ist. Als Alma zehn Jahre alt ist, adoptieren Henry und Beatrix Whittaker ein Mädchen, das so alt ist wie Alma und durch eine Familientragödie seine Eltern verloren hat.
Diese Prudence ist – ganz im Gegensatz zu Alma – eine wahre Schönheit. Sie ist musikalisch und künstlerisch begabt, aber in der Wissenschaft bleibt sie hinter Alma zurück. Schon meint man, hier das Klischee der intelligenten Hässlichen im Gegensatz zur dummen Schönheit zu finden, als eine Szene offenbart, dass dem nicht so ist. An einem Abend bietet die ebenmäßige Prudence, die sich sonst an den Diskussionsrunden mit Wissenschaftlern nicht beteiligt, einem rassistischen Anthropologen Paroli. Dieser behauptet, er habe die Schädel von „Negern“mit jener der Weißen verglichen und festgestellt, dass die Köpfe der Weißen mehr Wasser fassten als jene der Schwarzen. Prudence stellt die Frage, zu welchem Ergebnis er wohl gekommen wäre, wenn er statt des Wassers in die toten Köpfe Wissen in die lebenden eingefüllt hätte. beginnt, die verschiedenen Arten von Moos zu untersuchen.
In der Zeit und dem Sujet entsprechender wohltuender Gemächlichkeit rollt dieser Text dahin und schildert dabei mit erstaunlichem botanischen Fachwissen das Leben und schließlich die Reise einer ungewöhnlichen Frau, die erkennen muss, dass sich nicht alles mit wissenschaftlicher Methodik lösen lässt und dass es für die Natur des Menschen keine Formel gibt, diese zu berechnen. Man kann das Buch aber auch als einen Beitrag zum feministischen Diskurs über Frauen in der Wissenschaft sehen: Die Figur der Alma Whittaker ist erfunden. Aber Forscherinnen, die sich ihrem Gebiet mit Hingabe gewidmet haben, hat es gegeben, und sie waren mutig und klug.