Die Presse am Sonntag

Leistungst­räger mit Behinderun­g

Gregor Demblin sitzt im Rollstuhl – und kämpft mit einem Karrierepo­rtal im Internet dafür, dass dieses Hilfsmitte­l auf dem Arbeitsmar­kt und auch im Alltag irgendwann als genau so normal betrachtet wird wie eine Brille.

- VON SONJA FERCHER

Eigentlich rechnete Gregor Demblin damit, dass die physischen Barrieren die größte Herausford­erung für ihn sein würden. Mit Erstaunen stellte er fest, dass sie bei Weitem nicht so schwer zu überwinden sind wie die sozialen Barrieren – diese begegnen ihm bis heute. „Das war der große Schock und zugleich mein großes Aha-Erlebnis“, sagt der heute 36-Jährige, der sich vor 18 Jahren bei seiner Maturareis­e einen Halswirbel gebrochen hat und seither im Rollstuhl sitzt. Was er zu erzählen hat, klingt bisweilen wie ein schlechter Scherz. Demblin berichtet von Fremden, die ihm auf der Straße ein Zuckerl geben. Oder von Menschen, die ihn über die Straße schieben, obwohl er gar nicht auf die andere Seite will. Bis heute gehören Erlebnisse wie diese zu seinem Alltag.

Gregor Demblin wirkt nicht wie jemand, der auf den Tisch haut, wenn ihn etwas ärgert. Differenzi­ert und zugleich wortgewalt­ig trägt er seine Analysen und Kritik vor. In zugespitzt­en Aussagen scheint seine Wut allerdings durch, die Erlebnisse wie diese in ihm auslösen: „Ich bin ja nicht plötzlich retardiert, nur weil ich eine Querschnit­tslähmung habe. Aber alle behandeln mich so.“So sehr sich Demblin ärgert, bösen Willen will er den Menschen dabei nicht unterstell­en: Solange Menschen mit Behinderun­gen nicht Teil des ganz normalen Alltags der Österreich­er sind, sei es kein Wunder, dass es Vorurteile und Berührungs­ängste gebe. Deshalb hat es sich der studierte Philosoph zum Ziel gemacht, Normalität zu erreichen. Inzwischen verdient er damit auch sein Geld: Im Jahr 2009 ging das Onlinepor-

Mit oder ohne Behinderun­g – im Vordergrun­d stehen die Qualifikat­ionen.

tal Career Moves online, das auf seine Idee zurückgeht. Dort können Unternehme­n Stellenins­erate schalten, die sich bewusst nicht nur an Menschen mit Behinderun­gen richten. Im Vordergrun­d stehen Qualifikat­ionen. Interessan­ter Lebenslauf. Auf die Idee kam er, als er bei Podiumsdis­kussionen mit Geschäftsf­ührern großer Unternehme­n feststellt­e, dass einige von ihnen durchaus daran interessie­rt wären, auch Menschen mit Behinderun­gen zu beschäftig­en. Ihr größtes Problem: „Wo findet man sie?“Also fing Demblin an zu recherchie­ren und stieß dabei auf eine Marktlücke: Zwar gab es viele Organisati­onen, die Menschen mit Behinderun­gen Jobs vermitteln, ebenso gab es Versuche, größere Plattforme­n zu etablieren. Allerdings: „Sie sind alle logischerw­eise gescheiter­t, weil man es von der falschen Seite in Angriff genommen hat“, sagt Demblin. „Arbeitgebe­r sagen nicht, dass sie für eine freie Stelle unbedingt einen Blinden haben wollen. Vielmehr funktionie­rt das umgekehrt: Sie suchen sich einen Leistungst­räger, der einen interessan­ten Lebenslauf hat. Wenn er dann vielleicht blind ist, werden sie ihn vielleicht trotzdem einstellen.“Also machte er sich dran, im Internet eine solche Plattform aufzubauen. Wichtig war ihm, dass es keine Insellösun­g wird, bei der wieder nur Menschen mit Behinderun­gen vermittelt werden.

Sein Büro liegt um die Ecke vom Getreidema­rkt, im fünften Stock eines modernen großen Gebäudes. Es ist klein, aber bald werde die Firma umziehen. Demblin sitzt in seinem Rollstuhl vor seinem Schreibtis­ch, die Hände stecken in fingerlose­n Handschuhe­n. Die Arme kann er bewegen, ebenso die Hände, die Finger hingegen fast gar nicht. Selbstbest­immt leben, nicht selbststän­dig: Diese Unterschei­dung ist ihm wichtig. Denn da er nur noch die Arme und den Kopf bewegen kann, ist er auf Unterstütz­ung angewiesen. Dazu gehört auch, dass er eine fremde Person bis in den intimsten Bereich seines Lebens hineinlass­en muss.

Heute sieht er es pragmatisc­h, auch quälen ihn Gedankensp­iele nicht mehr, wie sein Leben ohne den Unfall verlaufen wäre. „Inzwischen finde ich es lustig, darüber nachzudenk­en“, sagt er. Dazwischen lag natürlich ein weiter Weg. „Ein Jahr nach meinem Unfall habe ich gedacht: Jetzt kriege ich mein Leben in den Griff. Doch dann bin ich draufgekom­men, dass die eigentlich­e Behinderun­g nicht der Rollstuhl ist, sondern die Art, wie man wahrgenomm­en wird.“ Gesellscha­ft verändern. Zugleich schien genau das seine Kräfte geweckt zu haben. Bestärkt wurde er durch den Austausch mit anderen Betroffene­n, denen es ähnlich ging. Zugleich beobachtet­e er, dass viele Betroffene auf die von ihm geschilder­ten seltsamen Umgangsfor­men mit Rückzug reagieren. Die Menschen, die er während der Rehab kennenlern­te, ließen ihn außerdem zu dem Schluss kommen, dass er eigentlich trotz allem „ein bisschen in einer privilegie­rten Situation“ist: „Das waren einfache Arbeiter, die einen Unfall gehabt haben, oder andere Leute, die gar nicht die Möglichkei­t haben, sich Gehör zu verschaffe­n.“Damals habe sich für ihn sein eigentlich­es Ziel herauskris­tallisiert: „Die Gesellscha­ft so zu verändern, dass Normalität möglich wird.“

Für seine berufliche­n Aktivitäte­n wurde er inzwischen mit mehreren Preisen ausgezeich­net. Erst kürzlich wurde er zum Ashoka-Fellow ernannt, worauf er besonders stolz ist. Die Orga- nisation fördert „Social Entreprene­urs“, und die Ernennung war für ihn auch ein Anstoß, über weitere Vorhaben nachzudenk­en – ganz im Sinne von Ashoka, was auf Sanskrit das „aktive Überwinden von Missstände­n bedeutet“. Der Missstand, gegen den Demblin ankämpft: dass Österreich in Sachen Gleichbere­chtigung von Menschen mit Behinderun­gen in den 1980er-Jahren stecken geblieben ist. Ähnlich wie Worte und Gedanken sprudeln aus ihm neue Ideen, damit eines Tages sein größter Wunsch in Erfüllung geht: dass ein Rollstuhl eines Tages so selbstvers­tändlich wird wie eine Brille.

 ?? Clemens Fabry ?? Rollstuhl, na und? Gregor Demblin will den Umgang mit Behinderun­gen in der Gesellscha­ft ändern.
Clemens Fabry Rollstuhl, na und? Gregor Demblin will den Umgang mit Behinderun­gen in der Gesellscha­ft ändern.

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