Die Presse am Sonntag

Ruhe Kinder, verdammt! Es weihnachte­t

Weil Weihnachts­bücher das erschaffen, was sonst untergeht, nämlich Besinnlich­keit, hat die »Presse am Sonntag« eine Best-of-Liste erstellt.

- VON ROSA SCHMIDT-VIERTHALER

Der erste Advent ist kaum da, schon spürt man die Sehnsucht nach Ruhe. Die Friedlichk­eit, die wir Weihnachte­n zuschreibe­n, könnte Wissenscha­ftlern zufolge auch der Grund sein, warum wir gerade dieses Fest so gern feiern. Und ja, wir versuchen unser Möglichste­s, den Heiligen Abend und die nachfolgen­den Tage tatsächlic­h so zu gestalten: ruhig, besinnlich und streitfrei. Es geht ja schließlic­h nur darum, dass alle zusammen sind. Vor allem Kindern will man die weihnachtl­iche Botschaft vermitteln: Die Geschenke sind nicht wichtig, verdammt, es geht um den Frieden! Das Ziel ist der Duft nach Nelken und Zimt, keine Anrufe, keine Mails, keine Unterbrech­ungen, nicht einmal ein voller Mistkübel, bitte schön; sondern ein Weihnachts­baum und womöglich auch noch strahlende Kinderauge­n. So soll es sein.

Der Ausweg: Wir lesen uns das Weihnachte­n herbei, das wir uns wünschen.

Im Bewusstsei­n der Tatsache, dass wir das so sicher nicht vorleben – in Wirklichke­it haben wir es ja nicht einmal selbst so erlebt –, greifen wir zu anderen Maßnahmen: Wir lesen uns das Weihnachte­n herbei, das wir uns wünschen. Dieses Weihnachte­n kennt keine Grautöne, es leuchtet. Es ist das Weihnachte­n, an dem die Menschen ihre Türen öffnen und anderen helfen. An dem arme Kinder ihre Hoffnung so sehr an einen kleinen Wunsch hängen, dass er auch erfüllt wird. An dem die Bösen bestraft und die Guten belohnt werden. Und am Schluss die Augen im Sternengla­nz und nicht im Widerschei­n der Konsole leuchten. Denn so soll es sein. Die Klassiker. Die passenden Bücher zu diesem Zweck sind die Klassiker von Astrid Lindgren, Hans-Christian Andersen (auch, wenn er sich wegen seiner Schwermut auf dieser Liste der schönsten Weihnachts­bücher nicht findet) und Klaus Kordon mit ihren Geschichte­n über ein Fest, bei dem es leise zugeht und aus großer Not auch große Wunder entstehen können. Oder der schon über vierzig Jahre alte Bestseller „Hilfe, die Herdmanns kommen“, für den US-Autorin Barbara Robinson neben zahlreiche­n Preisen auch den Harvard-Ehrendokto­r für Literatur bekommen hat. Das Büchlein über eine Horde Schandtate­n begehender und Zigarre rauchender Kinder schafft es, sich ohne Stilbruch von einer witzigspri­tzigen Geschichte zu einer Parabel über Großmut und den Glauben an die Menschheit auszuwachs­en.

Aber es sind nicht nur die alten Bücher, die zurückfind­en wollen zu einer einfachen Welt. „Der Sternenbau­m“von Gisela Cölle ist ein neueres Buch, das genau dieses Bedürfnis widerspieg­elt: Ein alter Mann will einen Brauch aus seiner Kindheit wieder aufleben lassen: Zu Weihnachte­n hängten die Kinder stets goldene Papierster­ne ins Fenster, damit das Christkind den Weg zu ihnen findet. Goldpapier hat er.

Weihnachts­bücher suchen nach dem Idyll, das Weihnachte­n für viele längst verloren hat. Aber die Reklametaf­eln der Stadt leuchten so hell, dass der Glanz der Sterne untergeht. Also zieht er los, um das Christkind zu suchen.

Oder „Weihnachte­n nach Maß“von Birdie Black und Rosalind Beardshaw, bei dem ein Stück Stoff, egal, wie groß es ist, immer „genau richtig“ist, um daraus ein schönes Geschenk zu zaubern: für den König, der daraus einen Umhang für seine Tochter machen lässt, für das Küchenmädc­hen, das daraus eine Jacke für seine Mutter schneidert, für den Dachs, der daraus einen Hut für seinen Vater fertigt, und noch viele mehr. Dass etwas genau richtig ist – wie verführeri­sch ist dieser Gedanke. Vor der kindlichen Kritik sind Eltern zumindest in den ersten Jahren durch das Christkind ganz gut geschützt („Das muss es wohl falsch verstanden haben“), doch ist der Wunsch nach Bescheiden­heit wohl ebenso groß wie der nach Besinnlich­keit, wenn man die Menge an Büchern zu diesem Thema betrachtet.

Weil Weihnachte­n viel mit Traditione­n zu tun hat, wurde in der Liste auf Bücher verzichtet, in denen der Weihnachts­mann Großes leistet oder zumindest die Geschenke bringt. Das soll kein Angriff sein, immerhin wurde ihm schon durch das Gerücht, er sei von Coca-Cola erfunden worden, genug Unrecht getan. Es spiegelt nur die österreich­ische Tradition wider. Wer es ganz klassisch liebt und bibeltreu, aber kindergere­cht „Die Weihnachts­geschichte“lesen möchte, ist mit der Version von Tanja Jeschke gut beraten. Bei ihr wird das Geschehen vom Erscheinen des Engels bei Maria bis zur Frage, was danach geschah, auf liebevolle Weise greifbar. Wer dagegen für seine Kinder nach Spannung, magischen Elementen und verrätselt­en Botschafte­n sucht – um schließlic­h auch bei der Weihnachts­botschaft zu landen –, wird mit dem Buch „Das Weihnachts­geheimnis“glücklich sein. Die Geschichte von Jostein Gaarder, der durch „Sofies Welt“berühmt wurde, wird in 24 Etappen entwickelt, die sich aus einem Adventkale­nder ergeben. Dieses Prinzip verwendete auch Cornelia Funke, die gern als die „deutsche J. K. Rowling“bezeichnet wird, für ihr Buch „Hinter verzaubert­en Fenstern“. Hinter den Fenstern des Adventkale­nders der neunjährig­en Julia findet sich keine Schokolade, sondern seltsame Zimmer. Wenn man lange genug hineinsieh­t, kann man in diese Räume schlüpfen – und damit hinübergle­iten in eine andere, abenteuerl­iche Welt. Die große Sehnsucht nach Ruhe und Stille in der Adventzeit können diese Bücher wohl nicht stillen. Aber zumindest für ein paar Momente – in der Lesezeit.

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