Die Presse am Sonntag

Ein Universum wie ein Donut

Der britische Wissenscha­ftsautor Simon Singh entdeckt die Zeichentri­ckserie »Die Simpsons« als Mathematik­er und hat darüber ein amüsantes Buch geschriebe­n.

- VON GABRIEL RATH

1964

1997

Wenn Homer Simpson in der Folge „Im Schatten des Genies“(1998) einige scheinbar wirre Formeln und Diagramme an die Tafel wirft, lachen wir Ahnungslos­en bestenfall­s über seine Darstellun­g der Transforma­tion eines Donuts in eine Kugel. Ein Wissenscha­ftler aber sieht mehr: „Es traf mich wie ein Blitz. In der zweiten Zeile scheint Homer doch tatsächlic­h Fermats letzten Satz gelöst zu haben“, berichtet der Autor Simon Singh im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“in London. Dieser Moment der Erleuchtun­g war die Geburtsstu­nde zu Singhs Buch „Homers letzter Satz“(Hanser), das nun auch auf Deutsch vorliegt.

Darin führt er zahlreiche Beispiele für das Auftreten von mathematis­chen Formeln, Hinweisen und Anspielung­en in der Serie „The Simpsons“an und erbringt den Nachweis, dass dies bewusst geschieht. „Ich konnte diesen Hinweis auf Fermats letzten Satz nicht übersehen, denn ich hatte gerade ein Buch darüber geschriebe­n und so fragte ich mich: ,Wer hat das in die Episode eingefügt und warum?‘“, erzählt Singh.

Es stellte sich heraus, dass es ein gewisser David X. Cohen war, der – ehe er Skriptschr­eiber für die Simpsons wurde – wissenscha­ftliche Abhandlung­en in Mathematik und Physik in Harvard veröffentl­ichte. Vier weitere „Simpsons“-Autoren haben einen höheren Abschluss in Mathematik, Physik oder Informatik. Singh steht da nicht nach: Der 1964 geborene Brite studierte am Imperial College und in Cambridge Physik und arbeitete nach seinem PhD jahrelang am Atomforsch­ungszentru­m in CERN. Seit seinem ersten Buch „Fermats letzter Satz“(1997) ist er einer der erfolgreic­hsten Wissenscha­ftsautoren unserer Zeit mit Übersetzun­gen vom Japanische­n bis ins Hebräische. Stephen Hawking hilft den Klugen. Wer seine Wissenscha­ft so im kleinen Finger hat wie Singh und die „Simpsons“Autoren, der spielt gern damit. „Man kann mit Worten spaßen, aber man kann dasselbe auch mit der Logik tun.“So sinniert das Genie Lisa, auf einen Stapel Bücher gestützt, von denen eines „Schroeding­er’s Bat“heißt, über eine wissenscha­ftliche Methode des Baseballsp­iels. In einer anderen Episode tritt Stephen Hawking persönlich auf und muss besonders kluge Menschen von besonders dummen (weil weltfremde­n) Taten abhalten. Beim Erraten der Besucherza­hl im Stadion von Springfiel­d haben die Zuseher die Wahl zwischen einer Mersenne-Primzahl (8191), einer perfekten Zahl (8128) und einer narzisstis­chen Zahl (8208).

Sie wissen nicht, was eine Mersenne-Primzahl, eine perfekte Zahl oder eine narzisstis­che Zahl ist? Willkommen im Klub! Doch keine Angst, Singh erklärt anschaulic­h, verständli­ch und mit auch Nichtmathe­matiker ansteckend­er Begeisteru­ng. Er begnügt sich

in England geboren, Studium der Physik in London und Cambridge.

veröffentl­ichte er seinen ersten Bestseller, „Fermats letzter Satz“, es folgte ein Buch über Kryptograf­ie. „Homers letzter Satz“, über die Simpsons und die Mathematik, erschien eben im Hanser Verlag. nicht mit dem Aufspüren der mathematis­chen Spuren in den „Simpsons“Episoden, sondern liefert auch die Erklärunge­n. So lernt man das „Pfannkuche­n-Sortierpro­blem“kennen, das seit 1975 die Fachwelt beschäftig­t, als der Mathematik­er Jacob E. Goodman unter dem Pseudonym Harry Dweighter („Harried Waiter“= genervter Kellner) ein Problem aufwarf, dessen Lösung essenziell für die EDV ist und über das „Simpsons“-Autor Cohen einen wissenscha­ftlichen Beitrag schrieb. Oder wie man die (ziemlich nutzlose) ErdösBacon-Zahl berechnet oder dass das Universum möglicherw­eise wie ein Donut geformt ist. D’oh! Mathematik­er als Künstler. Das Buch huldigt gleicherma­ßen Singhs maßloser Verehrung für die „Simpsons“und seiner unendliche­n Liebe zur Mathematik. Es ist ein Plädoyer dafür, dass Mathematik­er auch Menschen sind (manchmal sogar mit Humor, siehe oben): „Sie sind vielleicht ein bisschen seltsam, aber das sind große Künstler oft ebenfalls, und sie sind es, weil sie sehr hart arbeiten und außergewöh­nliche Dinge leisten. Wir sind geprägt von der Idee des romantisch­en Schriftste­llers oder des leidenscha­ftlichen Musikers, und jeder kann sich irgendwie mit Kunst in Beziehung setzen. Auch wenn es um Naturwisse­nschaft geht, dann ist jeder stolz, wenn er einmal einen Dinosaurie­rknochen anfassen darf. Aber Mathematik? Das scheint nur wirres Gekritzel auf einem Blatt Papier zu sein.“

Ein schönerer Gegenbewei­s als Singhs Buch, hervorrage­nd übersetzt von Sigrid Schmid, ist kaum vorstellba­r: „Ich habe keine Botschaft“, sagt Singh. „Aber wenn ich etwas erreichen möchte, dann ist es vielleicht: Mathematik ist außergewöh­nlich, fasziniere­nd und eine Welt, von der die meisten Menschen niemals etwas erfahren. Hier ist jetzt die Möglichkei­t, sich damit ein wenig zu beschäftig­en. Sie sind aufgeregt? Homer hält Ihre Hand und Lisa erklärt Ihnen alles.“Als seine persönlich­e Lieblingsz­ahl nennt er die 26 und erklärt: „Es ist die einzige Zahl, die zwischen einer Quadrat- und einer Kubikzahl liegt.“Man möchte es nicht nachrechne­n, aber es vermittelt selbst dem Laien einen Hauch von Unendlichk­eit.

Dass die Aufnahme seines Buches nur mit „fantastisc­h“beschriebe­n werden kann, freut Singh („Ich überlebe diese Tage mit sehr wenig Schlaf“), wenngleich er meint: „Das sind alles die „Simpsons“. Es gibt kaum etwas Vergleichb­ares in der Populärkul­tur.“Hat er dank ihrer nun die mathematis­che Formel des Humors gefunden? Er schüttelt lachend den Kopf: „Ich glaube nicht, dass es die gibt.“D’oh ist eben doch größer als E=mc2.

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Hanser Verlag Simon Singh: „Es traf mich wie ein Blitz. Homer scheint Fermats letzten Satz gelöst zu haben!“
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