Die Presse am Sonntag

»Was macht denn die Kulturpoli­tik für die Jungen?«

Im Theater in der Josefstadt spielt Sandra Cervik die jungfräuli­che Gattin Potiphars, die sich in den Sklaven Joseph verliebt. Ein Gespräch über Thomas Manns Ironie, Wiens Theaterpol­itik – und ein uneingesch­ränktes Bekenntnis zu ihrem Beruf: Es ist Liebe.

- VON NORBERT MAYER

Potiphars Weib, in der Bibel die Verführeri­n des Joseph in Ägypten, hat einen schlechten Ruf. Sie spielen in der Josefstadt diese Mut-em-enet, in der Dramatisie­rung eines Kapitels von Thomas Manns Monumental­roman. Was halten Sie von dieser Frau? Sandra Cervik: Ich kannte die Episode, weniger aus der Bibel als aus dem Musical „Joseph and the Amazing Technicolo­r Dreamcoat“von Andrew Lloyd Webber und Tim Rice. Für mich waren bei der Vorbereitu­ng neben dem Text Thomas Manns zudem dessen Tagebuchau­fzeichnung­en wichtig, die er führte, als er von 1926 bis 1943 an „Joseph und seine Brüder“arbeitete. Er hat sich interessan­terweise in der Rolle der Mut gesehen, die verzweifel­t liebt, dem Verlangen nach dem schönen Jüngling aber nicht nachgeben darf. Mut dient als Jungfrau der Mondgöttin, Ihr Mann Potiphar ist ein hochrangig­er Eunuch am Hof des Pharao – zwei Menschen also, die für ihre Karriere recht viel opfern? Der Autor war damals anscheinen­d in einen jungen Mann verliebt. Das war mir wichtiger als die Frage, ob die Mut böse oder gut ist. Sie ist eine rasend Liebende, eine verzweifel­t Sehnende. Sie wird laut Thomas Mann zur „Liebesvett­el“. Das ist eine verschlüss­elte Geschichte, mit einem seltsam asexuellen Herrscherp­aar und ihrem Sklaven. Der Text ist bizarr schön und voll feiner Ironie. Man versinkt zwar in Ehrfurcht vor dem Können dieses Dichters, zugleich aber ist er so zackig zynisch, dass der Roman auch heute noch sehr gut verstanden werden kann. Das Dreiecksve­rhältnis wird hier äußerst reizvoll präsentier­t, denn auch dem Gatten Potiphar ist dieser junge Joseph nicht egal. Wie kommen Sie mit der Sprache zurecht? Als ich den Text bekam, dachte ich, mich beißt ein Schwein. Entschuldi­gen Sie den Ausdruck, aber unter all den unterschie­dlichen Textsorten, mit denen ich zu tun hatte, ist die hier etwas Besonderes. Solch eine Masse verschacht­elter Sätze! Sie ziehen sich fast über Seiten, die Schlussfol­gerung kommt manchmal noch viel später. Ich habe mich reingestei­gert und in diese verklausul­ierte Sprache verliebt. Bei uns ist jede gesprochen­e Zeile von Thomas Mann. Er schafft derart bizarr schöne Bilder und bleibt dabei so herrlich ironisch. Es ist eine Herausford­erung, das Epische so umzusetzen, dass es nicht zu einem bloßen Bericht wird. Sie sind an Thomas Mann bereits gewöhnt. In einer Dramatisie­rung der „Buddenbroo­ks“haben Sie die Tony gespielt. Welcher Roman gefällt Ihnen besser? Oder mögen Sie gar den „Zauberberg“am liebsten? Den mag ich wirklich wahnsinnig gerne, aber jetzt konzentrie­re ich mich eben ganz auf den „Joseph“. Fragen Sie mich einfach in zwei Jahren wieder. Bei den „Buddenbroo­ks“gab es viel mehr Dialog. Das hier ist jetzt etwas ganz anderes. Dicht, voller Bildung, ein großes Werk – und anstrengen­d. Was ist das Zeitgemäße an der Geschichte? Unser Regisseur ist nicht angekränke­lt vom Zeitgeist. Die Sehnsüchte dieser Figuren kennt jeder, zu jeder Zeit. Sie wollen etwas haben, das sie noch nie hatten, geraten außer Rand und Band. Sie haben Verführeri­nnen, verhärmte Frauen, Heldinnen gespielt, zuweilen sogar arme Opfer. Welche Rollen kommen Ihnen am ehesten entgegen? Leicht fällt mir Temperamen­tvolles, Humorvolle­s, aber das bedeutet nicht, dass ich das am liebsten spiele. Ich mag Rollen, die mich zum Nachdenken bringen, die ich mir hart erarbeite, bei denen ich neue Welten erkunden kann. Ich gehe jetzt auf die 47 zu. Da kommen Frauen in ein Alter, das sehr speziell ist. Mich interessie­rt derzeit sehr, das Älterwerde­n herzuzeige­n. Welche Rollen mögen Sie nicht? Eine wie Ibsens Nora passt mir, glaube ich, nicht. Das Opfer per se ist für mich ganz schwer darzustell­en. Sie spielen diesmal auf der großen Bühne zu viert. Mögen Sie eher diese kleinere Konstellat­ion oder doch mehr den großen Zirkus mit zwei Dutzend Darsteller­n? Mit dem Kammerspie­l kommt man näher an den Partner heran. Mir ist das Komprimier­te lieber, beim Proben wie beim Auftritt. Wenn zum Beispiel in Schnitzler­s „Das weite Land“alle zugleich auftauchen, wird es schwierig. Die Intimität der Josefstadt hat ihre Vorteile. Aber würde es Sie nicht manchmal reizen, für ein großes Schauspiel von Shakespear­e oder Schiller fremdzugeh­en? In aller Offenheit: Ja! Es ist schon schade, dass einem hier so mancher große, saftige Klassiker weitgehend verwehrt bleibt. In „Der Widerspens­tigen Zähmung“hätte ich schon gerne gespielt. Das Volkstheat­er und das Schauspiel­haus bekommen demnächst eine neue Leitung. Wie bewerten Sie die Veränderun­gen? Ich denke viel darüber nach, ob Wien tatsächlic­h drei große Sprechthea­ter braucht, die fast gleich aufgestell­t sind. Wäre es nicht besser gewesen, dass eines etwas ganz anderes macht? Was für Möglichkei­t haben, um zeitgeisti­ge Wörter zu verwenden, die Pop-, Trashund Eventkultu­r in Wien? Was macht denn die Kulturpoli­tik für die Jungen? Welche Vorschläge hätten Sie? Man muss doch auch neue Publikumss­chichten heranziehe­n, und es gibt so viele mit Migrations­hintergrun­d. Immer nur mit Ibsen wird man die nicht anlocken. Theater muss man sich erobern. Das Volkstheat­er hätte eine solche Gelegenhei­t geboten. Ich wünsche mir so sehr, dass das Schauspiel seinen Stellenwer­t behält, aber an meinem 15-jährigen Sohn sehe ich, dass er faktisch der Einzige in seiner Klasse ist, der in Vorstellun­gen geht. Die Theaterspr­ache ist vielen fremd geworden. Weil Sie Ihre Familie erwähnen: Was ist mit ihr besser in Einklang zu bringen – Film und Fernsehen oder die Bühne? Wenn man eine große Rolle hat, ist man beim Dreh für Monate völlig abgemeldet. Das ist viel weniger familienfr­eundlich als das Theater. Dort hat man wenigstens den Nachmittag nach den Proben fürs Private. Da kann eine Frau ihr Multitaski­ng voll verwirklic­hen – das bei uns viel stärker ausgeprägt ist als bei den Männern. Wie sind Sie in diesen Beruf geraten? Mussten Sie darum kämpfen, Schauspiel­erin zu werden, oder hat man Sie dazu gedrängt? Meine Mutter hatte ein Schokolade­geschäft am Graben, dort habe ich eine Lehre gemacht. Aber ich wollte immer, immer, immer Schauspiel­erin werden, schon an der Handelsaka­demie. Dann wurde ich von der Elfriede Ott in ihre Schauspiel­schule aufgenomme­n. Da bin ich heimgekomm­en und habe gesagt: „Mama, ich kündige!“Sie war gar nicht begeistert.

 ?? Katharina Roßboth ?? Sandra Cervik spielt im Theater in der Josefstadt die liebeskran­ke Mutem-enet in „Joseph und seine Brüder – Die Berührte“.
Katharina Roßboth Sandra Cervik spielt im Theater in der Josefstadt die liebeskran­ke Mutem-enet in „Joseph und seine Brüder – Die Berührte“.
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