Serie: In der WG für schwer erziehbare Politiker
Amazon springt mit seiner ersten Fernsehserie »Alpha House« auf den Trend politischer Unterhaltung auf. Unter der Führung von John Goodman teilen sich vier republikanische Senatoren in Washington ein Haus und private Nöte.
Vor sechs Jahren bewohnten die demokratischen Politiker Charles Schumer, Rick Durbin, George Miller und Bill Delahunt während der Sitzungswochen des amerikanischen Kongresses gemeinsam ein Haus hinter dem Washingtoner Kapitol. „Alle sagen, dass irgendjemand eine TV-Serie über uns machen wird“, ulkte Durbin damals. „Aber dann stellen sie fest, dass eine Story über vier Typen mittleren Alters, ohne Sex und Gewalt, keine zwei Wochen überleben würde.“
Sechs Jahre später ist diese Serie Wirklichkeit – wenn auch mit verkehrten politischen Vorzeichen, denn in „Alpha House“sind die vier Herren mittleren Alters Republikaner. Amazon Studios, die Fernsehproduktionsfirma des Internet-Versandhändlers, wagt hiermit den Sprung ins dramatische Geschäft. Elf Folgen a` 26 Minuten kann man seit Kurzem auf der AmazonWebsite online anschauen, die ersten drei kostenlos, für die weiteren acht muss man sich kostenpflichtig für Amazon Prime registrieren.
Zu sehen gibt es das lustvolle Zusammenspiel vierer versierter Komödianten: John Goodman mimt einen bärbeißigen Senator aus North Carolina namens Gil John Biggs, dessen Bluthund bedenkliche politische Neigungen an den Tag legt. „Nein, er ist nicht rassistisch“, dröhnt Biggs, als sein Haustier einen afroamerikanischen Briefträger ankläfft. „Er hat nichts als Liebe übrig für den schwarzen Mann. Schwule hingegen, die hasst er.“Clark Johnson („The Wire“) stellt den flamboyanten Senator Robert Bettencourt dar, der dank höchst problematischer Spenden privater Sicherheitsfirmen stets mit einem Fuß vor der Amtsenthebung steht und einen Gutteil seiner Zeit damit verbringt, seine Assistentinnen und Assistenten miteinander zu verkuppeln. Matt Malloy („Six Feet Under“) ist Senator Louis Laffer aus Nevada, ein ängstliches Muttersöhnchen, das mit seiner sexuellen Orientierung ringt und sein Mandat von einem raubeinigen Tea-Party-Cowboy bedroht sieht. Der Seifenopernfeschak Mark Consuelos schließlich gibt den jungen Senator Andy Guzman aus Florida, einen Avatar des echten Marco Rubio, der seinen kubanisch-amerikanischen Minderheitenstatus „nur zu besonderen Anlässen verwendet, zum Beispiel bei Krediten für Kleinunternehmen“, und der mit seinem Größenwahn ringt. Der Geist von „Doonesbury“. Orchestriert wird all dies von Garry Trudeau, dem Schöpfer von Amerikas geistreichstem politischen Cartoon der Gegenwart. Seit mehr als vier Jahrzehnten spießt Trudeau in „Doonesbury“den politisch-medialen Apparat der USA
Zu komplex für eine Sitcom, zu unkritisch für eine Satire: Was will »Alpha House« sein?
scharfsinnig und mit der Gabe für die subtile Pointe auf (ein Strip über den Watergate-Skandal erhielt 1975 den Pulitzerpreis). Ein Porträt über die echte Politiker-WG im „New York Times Magazine“hatte ihm die Inspiration für „Alpha House“verliehen.
Der Geist von „Doonesbury“schwebt über dieser Wohngemeinschaft für schwer erziehbare Politiker: da etwa, wo Guzmans aktuelle Geliebte ihn zur Teilnahme an einer beschwerlichen Fact-Finding-Mission nach Afghanistan überredet, denn „wenn Obama unsere Truppen von dort zurückzieht, ist der Krieg zu Ende, bevor du noch für das Weiße Haus kandidierst“. Das alles ist unterhaltsam anzusehen, die Episoden vergehen wie im Flug, und Cameo-Auftritte von Cynthia Nixon und Bill Murray spicken die Handlung. Doch was genau will „Alpha House“sein? Für eine klassische Sitcom sind die Scherze zu komplex; man ist ständig amüsiert, in schallendes Gelächter bricht man nur selten aus. Zur politischen Satire hingegen fehlt „Alpha House“die Tiefgründigkeit und das kritische Anliegen hinter dem Schalk: das also, was vor zehn Jahren „The West Wing“so erfolgreich machte. Im Vergleich zu „House of Cards“, dem umwerfenden Seriendrama von Netflix über den diabolischen Kongressabgeordneten Frank Underwood, gebricht es den Bewohnern des „Alpha House“an der moralischen Ambivalenz, die offen lässt, wer „gut“und wer „böse“ist. Das Muster, nachdem Trudeau und sein Kompagnon, der Politikjournalist Jonathan Alter, stricken, ist schon in der ersten Folge deutlich. Ein grummeliger Dicker, ein korrupter Leichtfuß, ein furchtsamer Wurschtel und ein selbstverliebter Latin Lover: So etwas kann sehr schnell fad werden. Im Sumpf. Dazu kommt ein ethisches Problem. „Alpha House“weidet sich am Zynismus des Washingtoner Politikbetriebs, am Verschwinden der Sicherheitsabstände zwischen Politikern, Journalisten und Geschäftemachern. Mark Leibovich, der Autor des erwähnten „New York Times Magazine“-Artikels, hat diesen Karneval heuer in seinem Bestseller „This Town“meisterhaft entkleidet. Doch genau diese Verhaberung derer, die sich nicht verhabern sollten, wird in „Alpha House“zur augenzwinkernden Pointe für Auskenner: Dick Morris, einstiger Stabsmitarbeiter von Bill Clinton, hat ebenso einen Gastauftritt bekommen wie Michael Steele, der frühere Vorsitzende der republikanischen Partei und der ob seiner Penis-Foto-Affäre weltweit bekannte Demokrat Anthony Weiner.
All das ist lustig für Politikjunkies. Nüchtern betrachtet ist man jedoch beim Verlassen des „Alpha House“an jenen Satz aus dem Buch „Washington Confidential“erinnert: „Die Gründerväter, deren endlose Weisheit uns die Verfassung und eine perfekte Form der Regierung gegeben haben, verwandelten den Sitz dieser Regierung in einen stinkenden, dampfenden Sumpf.“