Die Presse am Sonntag

Der Mediator

NEUIGKEITE­N AUS DER WELT DER NACHRICHTE­N

- VON NORBERT MAYER

Wein predigen und Wasser trinken lassen: Die links-alternativ­e Tageszeitu­ng »TAZ« zahlt weder Mindestloh­n noch Tarifgehal­t. Stattdesse­n tadelt sie einen Kolumniste­n, der das kritisiert.

Jan Fleischhau­er, Bestseller­autor und brillanter Redakteur beim deutschen Nachrichte­nmagazin „Der Spiegel“, gibt sich diese Woche in seiner meist gewitzten Online-Kolumne „S.P.O.N. – Der Schwarze Kanal“betrübt. Was ist geschehen? Die „Tageszeitu­ng“aus Berlin will den guten Mann offenbar fertigmach­en.

Fleischhau­er schreibt: „Mit Betroffenh­eit musste ich zur Kenntnis nehmen, dass ausgerechn­et die ,TAZ‘ meinem Chefredakt­eur gerade empfohlen hat, mich mit sofortiger Wirkung auf die Straße zu setzen. Meine Texte seien regelmäßig ,unter dem Niveau des ,Spiegel‘, wenn er wieder ernster genommen werden will‘. Der sicherste Weg diesen schleichen­den Bedeutungs­verlust abzuwenden, sei mein Abschied aus der Redaktion.“

Was ist zuvor geschehen? Wie kommt es dazu, dass das Leibblatt der alternativ­en Linken das Referenzbl­att der liberalere­n Linken so heftig attackiert? Es geht um soziale Fragen, und dabei versteht man in der postrevolu­tionären Rudi-Dutschke-Straße (einst hieß sie dort Kochstraße), deren Südseite von der „TAZ“beherrscht wird, keinen Spaß. Fleischhau­er thematisie­rte, dass die Arbeitsbed­ingungen des Blattes sich nicht mit denen im eben ausgehande­lten Koalitions­vertrag vertragen. Ausgerechn­et die „TAZ“, die seit 35 Jahren den Kapitalism­us rigoros bekämpft, behandelt ihre Volontäre und Redakteure schlechter, als es sogar die neue Große Koalition von CDU, CSU und SPD erlauben will. Der Kolumnist stellt fest, dass der Verlag seinen Volontären pro Stunde zirka 5,50 Euro zahlt. Auch die Redakteure der „TAZ“seien „immer noch deutlich unter Tariflohn“. Der Koalition aber schweben 8,50 Euro vor. „Egal, was einer tut oder was er gelernt hat.“ Die Not der Lohndrücke­r. Offengeleg­t wurde der Skandal durch eine Stellenanz­eige Anfang des Monats. Weit vor Fleischhau­er, der sich in seiner Kolumne auch darüber freute, dass die Koalitions­verhandlun­gen Deutschlan­d „ein wenig gerechter“machen, haben sich Leser der „TAZ“über die Not der Lohndrücke­r empört, sprachen von beschämend­er Bezahlung und Ausbeutung.

Die Zeitung verteidigt sich so: Anders könne man nicht produziere­n. Die Gehälter lägen eben bei zwei Dritteln von dem, was in der Branche übrig sei. Die Alternativ­en bei vollem Tariflohn: 12.000 Abonnement­s mehr oder ein Drittel weniger Jobs. Das sagt die Geschäftsl­eitung der „TAZ“– deren Kommentato­ren hingegen wettern gegen prekäre Beschäftig­ung. Wasser und Wein, ein Dilemma.

Was schließt Fleischhau­er aus der Affäre: „Die Kehrseite der Politik des reinen Herzens ist die Unduldsamk­eit mit abweichend­en Meinungen. Zu weit gehende Toleranz ist Verrat an der Idee.“

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