Die Presse am Sonntag

Das Greise und Geile in Ägypten

In Thomas Manns »Joseph und seine Brüder« werden Mythen humanisier­t – aber es triumphier­t auch das väterliche Prinzip. Gerade in der Geschichte von Potiphars Weib.

- VON THOMAS KRAMAR

„Und es begab sich danach, dass seines Herrn Frau ihre Augen auf Joseph warf und sprach: Lege dich zu mir!“So beginnt im 39. Kapitel der Genesis die Erzählung von der Frau des Potiphar, es folgen dürre 13 Verse, die mit dem zweiten Absturz Josephs enden: ab ins Gefängnis, aus dem ihn dann seine traumdeute­rischen Fähigkeite­n wieder ans Licht befördern werden, ganz hinauf, an die Seite des Pharaos.

Thomas Mann hat in seiner Tetralogie „Joseph und seine Brüder“aus diesem biblischen Kapitel ein ganzes Buch gemacht („Joseph in Ägypten“), in dem die unglücklic­he Liebe der Frau des Potiphar hunderte Seiten einnimmt. „Offen gestanden, erschrecke­n wir vor der abkürzende­n Kargheit einer Berichters­tattung, welche der bitteren Minuziosit­ät des Lebens so wenig gerecht wird wie die unserer Unterlage“, schreibt Thomas Mann schalkhaft – und macht sich daran, die Verführung­sversuche der Frau Potiphars (die bei ihm wie die Gattin des Gottes Amun „Mut“heißt) genauso zu motivieren wie die sprichwört­lich gewordene Keuschheit des Joseph.

Wieso muss sich Joseph verweigern? Da sein Gott einsam und eifersücht­ig ist. „Er war gottverlob­t“, schreibt Thomas Mann, „er übte kluge Rücksicht, er trug dem besonderen Schmerze Rechnung, den Treulosigk­eit zufügt dem Einsamen.“ „Kein Muttersohn“. Zugleich spiegle sich Gott in Potiphar, dem „heiklen“Herrn, dem Joseph zu Treue verpflicht­et sei. Das dritte Motiv ist, „dass seine erweckte Männlichke­it nicht wollte ins leidend Weibliche herabgeset­zt sein“. Wie Hermann Kurzke in seinem „Wegweiser“durch die Joseph-Tetralogie herausgear­beitet hat, stellt sich Thomas Mann auf die Seite der Vaterrelig­ion, gegen matriarcha­lische Kulte. Als Mut dem Joseph erklärt: „Mit der Mutter schläft jeder – weißt du das nicht?“, antwortet dieser: „Der Vater der Welt ist kein Muttersohn.“

Das ist freilich nur ein Aspekt des gigantisch­en Mythenbauw­erks, das Thomas Mann in seinen Joseph-Romanen errichtet hat: Der Ägyptologe Jan Assmann hat ihn dafür zu Recht als „einen der bedeutends­ten Kulturund Religionsw­issenschaf­tler des 20. Jahrhunder­ts“bezeichnet. Thomas Manns Leitgedank­e war die Humanisier­ung und Psychologi­sierung des Mythos: Er habe diesen „in diesem Buch dem Faschismus aus den Händen genommen und bis in den letzten Winkel der Sprache hinein humanisier­t“, sagte er selbst stolz. So ist bei ihm ja auch die politische Tätigkeit Josephs als rechte Hand des Pharaos eine Vorwegnahm­e sozialdemo­kratischer Umverteilu­ng und Reformen.

Aber davon ist erst in „Joseph, der Ernährer“die Rede, dem letzten, 1943 erschienen Roman der Tetralogie, der mit einem Bekenntnis zur Zukunft endet. Der Glaube an eine Zukunft, die sich von der Gegenwart unterschei­det und diese nicht nur zyklisch variiert, war für Thomas Mann das Wesentlich­e am Monotheism­us. In diesem Sinn lässt er auch seinen Joseph – den er mehr liebte als alle anderen seiner Figuren – vor dem zugleich alten und kindischen Ägypten zurückschr­ecken: „Denn das verhei- ßungslos Greise, das war das Geile zugleich, nach jungem Blute lüstern, nach solchem zumal, das jung nicht nur seinen Jahren nach war, sondern besonders noch nach seiner Erwählthei­t zur Zukunft.“

Man mag einiges an Angst vor (weiblicher) Sexualität aus solchen Passagen lesen; diese Tendenz des latent homophilen Thomas Mann schillert z. B. durch seine Beschreibu­ng des „Hexen-, Geschlecht­s- und Liebeskörp­ers“, in den sich Muts Leib durch ihre Begierde verwandelt. Aber auch – sozusagen in boulevarde­sker Form – durch die köstliche Szene, in der Mut ihren Freundinne­n mit scharfen Messern zu schälende Orangen serviert und den Joseph als Kellner vorführt. Das gibt, erraten, ein Blutbad. Wer ein Vorbild für diese Szene sucht, findet es übrigens im Koran: in der zwölften Sure.

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