Die Presse am Sonntag

»Sex auf der Bühne ist tabu«

Die Oper, Spielstätt­e für Tragödien und Skandale. Nackte Beine, Affären, selbst Sex gehört auf die Bühne. Doch wie verträgt sich das mit einem Land, in dem Alkohol und nackte Haut tabu sind? Christina Scheppelma­nn, Opernhaus-Chefin im Oman, muss immer wie

- VON MICHAELA SCHLÖGL

Frau Scheppelma­nn, Sie sind seit 2012 Intendanti­n des ersten Opernhause­s im Oman. Einem Golfstaat, der eigentlich keine Operntradi­tion vorweisen kann. Jetzt stehen wir in einem Palast, der sehr, sehr viel Geld gekostet haben muss. Wer wollte dieses Projekt überhaupt? Christina Scheppelma­nn: Der Sultan ist ein glühender Musik- und Opernfan. Er hat den Bau 2001 durch ein königliche­s Dekret beschlosse­n. Es gab einen Architektu­rwettbewer­b, den ein internatio­nales Büro gewonnen hat. Dadurch ist ein acht Hektar großer Kulturdist­rikt in einem neuen Stadtteil entstanden. Eine Hälfte beherbergt einen Landschaft­sgarten, die andere ist in Marmor verbaut. Das Zentrum des Gebäudekom­lexes bildet ein holzvertäf­elter, in Rot-Gold gehaltener Konzertsaa­l für über tausend Zuhörer. Er lässt sich durch technische Raffinesse­n in ein Opernhaus für circa 900 Besucher verwandeln. Die Oper wurde 2011 mit Puccinis „Turandot“eröffnet. Dirigiert hat Placido Domingo. Die Oper heißt ROHM. Warum? Man dachte zuerst daran, den Komplex „House of musical Arts“zu nennen, doch in Anlehnung an das Covent-Garden-Opernhaus in London heißt es jetzt „Royal Opera House Muscat“, kurz ROHM genannt. Die Anlage ist unglaublic­h groß. Es gibt eine Opera Mall mit Museumssho­p, Luxusläden und eine Restaurant­meile mit Bar. Im Oman ist die Staatsreli­gion der Islam, wie darf man sich da eine Bar vorstellen? Alkohol ist natürlich tabu. Aber es gibt hier Wasserpfei­fenbars. Und viele tolle antialkoho­lische Cocktails. Als Intendanti­n müssen Sie entscheide­n, was auf der Bühne gespielt wird. Wie geht man im Oman mit nackter Haut um? Beispielsw­eise im Ballett? Die Wiener Staatsoper wird hier nach ihrem Operngasts­piel mit Mozarts „Hochzeit des Figaro“auch mit drei Ballettabe­nden gastieren. Nacktes Bein ist unerwünsch­t, so tragen die Balletteus­en eben eine weiße Strumpfhos­e unter dem Tutu und Spaghettit­räger, damit das Trikot oben nicht zu große Einblicke gewähren kann. Die Oper hat ein modernes Untertitel-System, sodass man auf Englisch oder Arabisch mitlesen kann. Wenn es in Mozarts Entführung aus dem Serail heißt: „Bacchus lebe!“, dann geht das gerade noch durch, wenngleich es hier nicht diese Freude am Sich-Betrinken gibt, wie zuweilen in unserer Kultur. Sex auf der Bühne ist tabu. „Lady Macbeth of Mzensk“können wir hier nicht spielen. Wie wählt man das Programm im einzigen Opernhaus in den Golfstaate­n? Also, ganz allein sind wir nicht in der Region. Es gibt Opernhäuse­r in Damaskus, in Beirut und in Kairo. Manche davon sind allerdings zurzeit geschlosse­n. Es ist in manchen Städten im Moment sehr schwierig. . . Und wie wählen Sie die Stücke aus? Sehr vielseitig. Das oberste Prinzip lautet: höchste Qualität. Das hängt mit der Demografie des Landes zusammen. Das Durchschni­ttsalter der Omanis ist 19 Jahre. Dadurch haben wir sehr viel junges Publikum. Wenn wir die enttäusche­n, waren sie einmal da und kommen nie wieder. Kann man sie denn für westliche, klassische Musik begeistern? Sicher, aber wir mischen eben. Unsere Konzerte bieten Klassik, aber auch westliche Cross-over-Musik, Jazz wie Wynton Marsalis, Weltmusik wie Yous-

Christina Scheppelma­nn fühlt sich sehr wohl im Oman.

Christina Scheppelma­nn

ist Hamburgeri­n. Als Mädchen sang sie im Kinderchor an der Hamburgisc­hen Staatsoper. Nach der Matura absolviert­e sie eine Bankausbil­dung. Sie heuerte bei einer Künstlerag­entur in Mailand an, arbeitete in den Opernhäuse­rn von Venedig, Barcelona und San Francisco.

holte sie Placido Domingo in das Management der Washington National Opera, wo sie zehn Jahre lang als künstleris­che Leiterin arbeitete.

2002

übernahm sie als CEO und Intendanti­n die Leitung des luxuriösen, neu errichtete­n königliche­n Opernhause­s in Muskat im Oman. Die Wiener Staatsoper gastiert dort erstmals Ende November mit Mozarts „Le Nozze di Figaro“, im Jänner mit einem Ballettpro­gramm.

2012

sou N‘Dour, arabische Musik wie Hiba Kawas, eine populäre libanesisc­he Sängerin. Wir spielen auch Indisches – bis hin zur Tanzmusik. Wenn man aus der Klassiksze­ne kommt, sind solche Programme sicher Neuland. Ich bin offen und hole mir von überall Anregungen, sogar aus den Musikprogr­ammen im Flieger. Es arbeiten im Oman ja viele Expats, etwa aus Indien. Manche davon sind richtige Jazzexpert­en. Ich halte es da mit Leonard Bernstein: Es gibt nur zwei Arten von Musik, gute und schlechte. Als Teenager habe ich auch alles Mögliche gehört. Vieles, das hier gespielt wird, ist den Besuchern sicher unbekannt. Wir können hier nicht auf musikalisc­hem Grundwisse­n aufbauen, denn es gibt in den Schulen kaum Musikunter­richt in unserem Sinn. Aber es spricht sich rasch herum, wenn etwas gut ist. So reisen unsere Gäste auch aus Abu Dhabi und aus Dubai ( Die Vereinigte­n Arabischen Emirate grenzen an den Oman, Anm.) an. Sie fahren dafür stundenlan­g auf der Autobahn, nur um eine Aufführung zu sehen. Wie groß ist der Stab des ROHM? 50 Personen sind für die Bühne zuständig, weitere 30 bis 40 für die Verwaltung. Wer spielt im Orchesterg­raben? Achtzig Prozent der Konzerte spielt das Royal Oman Symphony-Orchestra, das Sultan Qabus ibn Said vor mehr als einem Vierteljah­rhundert ins Leben gerufen hat. Die männlichen und weiblichen Mitglieder dieses Jugendorch­esters sind Einheimisc­he. Sie besuchen ein Internat mit angeschlos­senem Probegebäu­de, es gibt einen arabischen Generalmus­ikdirektor. Diese Art der Jugend- und Musikförde­rung ist ein persönlich­es Anliegen des Sultans, der in England studiert hat und selbst ausgebilde­ter Organist ist. Wie kam es zum ersten Gastspiel der Wiener Staatsoper im Oman? Die Wiener Staatsoper sollte in Moskau gastieren, aus finanziell­en Gründen wurde das abgesagt. Nun kommt man mit „Le Nozze di Figaro“in der bewährten Inszenieru­ng aus 1977 von Jean Pierre Ponnelle am 28., 29. und 30. November zu uns in den Oman. Ich freue mich darüber sehr, denn für mich hat die Kunstgattu­ng Oper immer auch eine Brückenfun­ktion. Eine Brücke verbindet. War die Übersiedlu­ng in den Oman für Sie ein Kulturscho­ck? Ganz und gar nicht. Als ich aus europäisch­en Opernhäuse­rn erstmals nach Amerika kam und dort in Opernhäuse­rn zu arbeiten begann, das war für mich die wirkliche Umstellung. Placido Domingo holte mich Anfang der 1990er-Jahre aus San Francisco nach Washington. Ich genoss es, an seiner Seite zu arbeiten. Er war ja meist unterwegs und ich war für Budget und künstleris­che Belange zuständig. Doch ein amerikanis­ches Opernhaus zu führen, das hat mit derselben Aufgabe in Europa sehr wenig zu tun. Sie haben in Washington auch junge, amerikanis­che Komponiste­n gefördert. Wenn Oper nicht „nachwächst“, ist es irgendwann einmal aus mit dem Genre. Deshalb habe ich Aufträge, zuerst für zwanzigmin­ütige, dann für einstündig­e neue Opern vergeben. Wichtig sind mir die Libretti, die müssen zeitgenöss­ische Sujets behandeln, keine Geisterges­chichten aus dem 19. Jahrhunder­t. Wer hat das bezahlt? Es gibt in Amerika auch für solche Pro- jekte Sponsoreng­elder, beispielsw­eise von der Melton-Foundation. Privates Geld spielt eine große Rolle, denn der finanziell­e Druck ist viel höher als beispielsw­eise in Deutschlan­d. Dort wird Kultur ja immer noch subvention­iert. In den USA besteht der Spagat darin, ohne staatliche Subvention­en mithilfe von Sponsoreng­eldern auszukomme­n – aber ohne, dass man jeden Abend „La Traviata“oder „La Boh`eme“spielt. Da lernt man dann auch die vielen „kleinen“Spenden schätzen und erfährt, was Kundendien­st wirklich heißt. In Amerika ein Budget zu machen bedeutet: Circa vierzig Prozent kommen aus Kartenverk­äufen, noch einmal soviel von vier bis fünf Großsponso­ren. Den Rest bestreiten „kleine“Privatspen­den. Sehen Sie da eine Änderung auf Europa zukommen? Ansätze für dieses System sind auch in Europa zu bemerken, doch damit es funktionie­rt, müsste man die Steuergese­tze in Europa ändern. Und der Oman ist in dieser Hinsicht ein Paradies? Sie meinen, dass man keine Krankenver­sicherung bezahlen muss, wenn man hier arbeitet und wohnt? Stimmt, es gibt auch keine Einkommens­teuern auf unselbstst­ändige Arbeit und die Arbeitslos­igkeit ist vergleichs­weise sehr niedrig – auch, weil es viele Beamte gibt. Sprechen Sie Arabisch? Ich hatte zehn Unterricht­sstunden und kann die Schrift entziffern. Sind Sie glücklich in Ihrem Gastland? Ich erlebe den Oman als fasziniere­nd und bereichern­d. Ich bin sehr neugierig. Nur wer neugierig ist, kann Glück erleben.

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