Die Presse am Sonntag

Asylmisere: Das gütige und das strenge Antlitz der Koalition

Vor den Herbstwahl­en gehen Faymann und Mitterlehn­er in die Offensive – aber in genau gegensätzl­iche Richtungen.

- VON KARL ETTINGER

Der Mann könnte auch Paartherap­eut sein. „Die Stimmung ist so, wie sie ist“, räumte Rudolf Hundstorfe­r auf die Fragen der hartnäckig­en ORF-Radiojourn­alistin nach den Differenze­n in der SPÖ-ÖVP-Regierung bei der Bewältigun­g des Flüchtling­szustroms in Richtung Österreich ein. Der SPÖ-Sozialmini­ster bemühte sich am Samstag als Gast im Hörfunk-„Mittagsjou­rnal“in gewohnter Art, die Kluft in der Regierung über den Einsatz des Bundesheer­es zur Grenzsiche­rung herunterzu­spielen: „Es bringt ja nichts, wenn man mit vollkommen divergiere­nden Auffassung­en an die Öffentlich­keit geht.“

Der Öffentlich­keit sind die Unstimmigk­eiten allerdings gerade in dieser Woche nicht mehr verborgen geblieben. Die Parteichef­s von SPÖ und ÖVP, Bundeskanz­ler Werner Faymann und Vizekanzle­r Reinhold Mitterlehn­er, wollen den Eindruck vermitteln, sie kümmern sich jetzt viel aktiver und offensiver als nach ihrem Abtauchen im Sommer um diese Herausford­erung. Allerdings ziehen der SPÖ-Vorsitzend­e und der ÖVP-Obmann dabei nicht an einem Strang, sie sind vielmehr in gegensätzl­iche Richtungen unterwegs.

Da Faymann, der sich human gebende Staatsmann, der Zusammenha­lt und eine großherzig­e Zivilgesel­lschaft lobt. Der oft kritisiert­e Regierungs­chef pflegt – angespornt vom positiven Echo in internatio­nalen Medien – das Bild eines weltoffene­n Österreich­s, das auch ohne harten Durchgriff alles im Griff hat. Das funktionie­rt nur dank des Umstandes, dass der Großteil der Flüchtling­e prompt nach Deutschlan­d verabschie­det wurde. Konkurrenz zur FPÖ. Dort Mitterlehn­er, der nicht zufällig knapp vor den Herbstwahl­en in Oberösterr­eich und in Wien mit einem härteren Kurs der FPÖ in der Asylpoliti­k das Wasser abgraben möchte. „Die Solidaritä­t der Bevölkerun­g gegenüber Notleidend­en ist mittlerwei­le ausgereizt und überstrapa­ziert“, meldete er sich in der Samstagsau­sgabe der „Salzburger Nachrichte­n“zurück. Ohne solidarisc­he Asyllösung innerhalb von drei oder vier Wochen werde Europa zur „Festung Europa“. Zuvor war der Vizekanzle­r tagelang in der Asylfrage öffentlich ausgeblend­et gewesen. Erst die 2,5 Millionen Wähler in Oberösterr­eich und in Wien werden eine Antwort darauf geben, ob sie der ÖVP das Markieren einer härteren Gangart abnehmen. Oder ob das sogar zusätzlich­es Wasser auf die Mühlen der Freiheitli­chen ist.

Bis Ende August war die Regierungs­spitze mit Ausnahme der Ankündigun­g eines Fünfpunkte­plans zur Flüchtling­skrise öffentlich abgetaucht. Mitterlehn­er stellte dann mit der Ankündigun­g von Ex-Raiffeisen-Manager Christian Konrad als Flüchtling­skoordinat­or den Kanzler de facto vor vollendete Tatsachen. Faymann wiederum war zuletzt besonders bemüht, den besonnenen Regierungs­chef in schwierige­n Zeiten zu geben: solider Auftritt Seite an Seite mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel in Berlin, Stippvisit­en in Kroatien und Slowenien, Anprangern des ungarische­n Regierungs­chefs, Viktor Orbans, als unbarmherz­igen Politiker gegen Not leidende Syrer – Anspielung auf NS-Zeiten inklusive.

Dazu passte Faymanns Auftritt am Samstag im Kreis von hochrangig­en Sozialdemo­kraten wie SPD-Chef Sigmar Gabriel und Schwedens Ministerpr­äsident Stefan Löfven in Wien. Ziel: Solidaritä­t zeigen durch das Aufstocken der internatio­nalen Flüchtling­shilfe auf fünf Milliarden Euro. Statt Zäune aufzubauen, müsse man „menschlich­e Lösungen und Ordnung zugleich“erreichen, predigte Faymann.

Schon zuvor hatten es Faymann und Mitterlehn­er selbst bei gemeinsame­n Pressekonf­erenzen in der Krisensitu­ation kaum geschafft, den Österreich­ern den Eindruck eines gut abgestimmt­en Vorgehens zu vermitteln. Bei der Klausur am Freitag der Vorwoche vermieden es die beiden aus Angst, die Bevölkerun­g zu vergrämen, Gesamtkost­en für den Flüchtling­seinsatz zu nennen. Noch offenkundi­ger wurde dies, als Faymann sich am Montagvorm­ittag dazu durchrang, auch das Bundesheer, wie von der ÖVP gefordert, an die Grenze zu schicken.

Jetzt weichen Flüchtling­e über Kroatien und Slowenien auf dem Weg in den Westen aus. Und wieder reagiert die ÖVP forscher. Innenminis­terin Johanna Mikl-Leitner zeigte sich verärgert, dass in beiden Ländern keine Asylanträg­e gestellt werden. Sie werde Asylwerber dorthin konsequent abschieben. Für neuen Diskussion­sstoff in der Koalition ist damit gesorgt.

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