Asylmisere: Das gütige und das strenge Antlitz der Koalition
Vor den Herbstwahlen gehen Faymann und Mitterlehner in die Offensive – aber in genau gegensätzliche Richtungen.
Der Mann könnte auch Paartherapeut sein. „Die Stimmung ist so, wie sie ist“, räumte Rudolf Hundstorfer auf die Fragen der hartnäckigen ORF-Radiojournalistin nach den Differenzen in der SPÖ-ÖVP-Regierung bei der Bewältigung des Flüchtlingszustroms in Richtung Österreich ein. Der SPÖ-Sozialminister bemühte sich am Samstag als Gast im Hörfunk-„Mittagsjournal“in gewohnter Art, die Kluft in der Regierung über den Einsatz des Bundesheeres zur Grenzsicherung herunterzuspielen: „Es bringt ja nichts, wenn man mit vollkommen divergierenden Auffassungen an die Öffentlichkeit geht.“
Der Öffentlichkeit sind die Unstimmigkeiten allerdings gerade in dieser Woche nicht mehr verborgen geblieben. Die Parteichefs von SPÖ und ÖVP, Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, wollen den Eindruck vermitteln, sie kümmern sich jetzt viel aktiver und offensiver als nach ihrem Abtauchen im Sommer um diese Herausforderung. Allerdings ziehen der SPÖ-Vorsitzende und der ÖVP-Obmann dabei nicht an einem Strang, sie sind vielmehr in gegensätzliche Richtungen unterwegs.
Da Faymann, der sich human gebende Staatsmann, der Zusammenhalt und eine großherzige Zivilgesellschaft lobt. Der oft kritisierte Regierungschef pflegt – angespornt vom positiven Echo in internationalen Medien – das Bild eines weltoffenen Österreichs, das auch ohne harten Durchgriff alles im Griff hat. Das funktioniert nur dank des Umstandes, dass der Großteil der Flüchtlinge prompt nach Deutschland verabschiedet wurde. Konkurrenz zur FPÖ. Dort Mitterlehner, der nicht zufällig knapp vor den Herbstwahlen in Oberösterreich und in Wien mit einem härteren Kurs der FPÖ in der Asylpolitik das Wasser abgraben möchte. „Die Solidarität der Bevölkerung gegenüber Notleidenden ist mittlerweile ausgereizt und überstrapaziert“, meldete er sich in der Samstagsausgabe der „Salzburger Nachrichten“zurück. Ohne solidarische Asyllösung innerhalb von drei oder vier Wochen werde Europa zur „Festung Europa“. Zuvor war der Vizekanzler tagelang in der Asylfrage öffentlich ausgeblendet gewesen. Erst die 2,5 Millionen Wähler in Oberösterreich und in Wien werden eine Antwort darauf geben, ob sie der ÖVP das Markieren einer härteren Gangart abnehmen. Oder ob das sogar zusätzliches Wasser auf die Mühlen der Freiheitlichen ist.
Bis Ende August war die Regierungsspitze mit Ausnahme der Ankündigung eines Fünfpunkteplans zur Flüchtlingskrise öffentlich abgetaucht. Mitterlehner stellte dann mit der Ankündigung von Ex-Raiffeisen-Manager Christian Konrad als Flüchtlingskoordinator den Kanzler de facto vor vollendete Tatsachen. Faymann wiederum war zuletzt besonders bemüht, den besonnenen Regierungschef in schwierigen Zeiten zu geben: solider Auftritt Seite an Seite mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel in Berlin, Stippvisiten in Kroatien und Slowenien, Anprangern des ungarischen Regierungschefs, Viktor Orbans, als unbarmherzigen Politiker gegen Not leidende Syrer – Anspielung auf NS-Zeiten inklusive.
Dazu passte Faymanns Auftritt am Samstag im Kreis von hochrangigen Sozialdemokraten wie SPD-Chef Sigmar Gabriel und Schwedens Ministerpräsident Stefan Löfven in Wien. Ziel: Solidarität zeigen durch das Aufstocken der internationalen Flüchtlingshilfe auf fünf Milliarden Euro. Statt Zäune aufzubauen, müsse man „menschliche Lösungen und Ordnung zugleich“erreichen, predigte Faymann.
Schon zuvor hatten es Faymann und Mitterlehner selbst bei gemeinsamen Pressekonferenzen in der Krisensituation kaum geschafft, den Österreichern den Eindruck eines gut abgestimmten Vorgehens zu vermitteln. Bei der Klausur am Freitag der Vorwoche vermieden es die beiden aus Angst, die Bevölkerung zu vergrämen, Gesamtkosten für den Flüchtlingseinsatz zu nennen. Noch offenkundiger wurde dies, als Faymann sich am Montagvormittag dazu durchrang, auch das Bundesheer, wie von der ÖVP gefordert, an die Grenze zu schicken.
Jetzt weichen Flüchtlinge über Kroatien und Slowenien auf dem Weg in den Westen aus. Und wieder reagiert die ÖVP forscher. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner zeigte sich verärgert, dass in beiden Ländern keine Asylanträge gestellt werden. Sie werde Asylwerber dorthin konsequent abschieben. Für neuen Diskussionsstoff in der Koalition ist damit gesorgt.