Kluge Moosriesen
Bäume. Ein neues Buch nimmt uns bei der Hand und führt uns in Wälder, in denen wir einen Blick in die faszinierende Welt der Bäume tun dürfen. Diese reden miteinander, helfen einander und sind viel klüger, als man denkt.
In der zweiten Klasse Gymnasium lernten wir, die Mundwerkzeuge des Flusskrebses zu benennen und zu zeichnen. Seither weiß ich, dass ich nichts weiß, und an dieser Erkenntnis hat sich bis heute wenig geändert. Sie hat sich vielmehr zur Gewissheit verdichtet.
Diese Fresswerkzeuge sind außerordentlich kompliziert, bestehen aus diversen Mandibeln, Maxillen und Kieferfüßen; und obwohl wir etwa ab dem Alter, in dem wir über die Wiese hinunter zum Bach laufen konnten, auch lernten, wie man durch beherzten Griff in die Unterwasserhöhlen am Ufer wenig erfreute und entsprechend mit ihren Scheren um sich zwickende Flusskrebse hervorzieht, war die faszinierende Welt der Krebskiefer vor unseren blinden Augen verborgen geblieben.
Nun ist ein Buch erschienen, das sich einem möglicherweise noch viel spannenderen Thema widmet, und zwar einem, dem wir alle miteinander ebenso blind gegenüberstehen. Es heißt „Das geheime Leben der Bäume“. Geschrieben hat es der Förster Peter Wohlleben. Er betreut das Forstrevier der Gemeinde Hümmel in Rheinland-Pfalz auf ökologisch sinnvolle, naturnahe Weise. Gleichzeitig erforscht er mit Experten der Technischen Hochschule Aachen ebendieses geheime Leben der großen, langsamen Gesellen, an denen wir vorüberhasten und von denen wir Normalsterbliche nichts, absolut nichts wissen. Bäume empfinden Schmerz. Das ändert sich schlagartig für jeden, der das Buch liest. „Wer weiß, dass Bäume Schmerz empfinden und ein Gedächtnis haben“, schreibt Wohlleben, „dass Baumeltern mit ihren Kindern zusammenleben, der kann sie nicht mehr so einfach fällen und mit Großmaschinen zwischen ihnen herumwüten.“
Bäume, so lernen wir beispielsweise, pflegen intensiven sozialen Austausch untereinander. Sie sind über ihre Wurzeln verbunden, helfen sich gegenseitig mit Nahrung aus, und sie kommunizieren beispielsweise auch über eine Duftsprache miteinander, etwa, indem sie die näher stehenden Kollegen vor gerade einfallenden Fressfeinden warnen.
Ein Beispiel: Afrikanische Schirmakazien, eine Lieblingsspeise von Giraffen, schießen binnen Minuten Giftstoffe in ihre Blätter, wenn die Langhäl- se an ihnen zu knabbern beginnen. Sie verströmen jedoch gleichzeitig ein Warngas, das die sie umgebenden Akazien auffordert, sofort das Gleiche zu tun. Die Giraffen ihrerseits wissen das, ziehen weiter, bis sie Bäume finden, die noch ahnungslos und ungiftig sind.
Gemeinsam, das scheinen Bäume besser als wir Menschen verstanden zu haben, trotzt es sich eben widrigen Bedingungen besser als allein stehend. Insbesondere die Waldbäume gehen höchst freundschaftlich mit ihren Nachbarbäumen um, räumen sich gegenseitig genau den Platz in den Wipfeln ein, den sie brauchen, um ausreichend Zucker, also Nahrung produzieren zu können. Sie kümmern sich sogar um den unter ihrem Dach keimenden Nachwuchs: „Über die Wurzeln nehmen ihre Mütter Kontakt mit ihnen auf und geben ihnen Zucker und andere Nährstoffe ab. Man könnte auch sagen: Die Baumbabys werden gestillt.“
Der Wald hat aber neben Bäumen und deren Kronen, vor allem aber den wohl miteinander verschlungenen, ja ineinanderwachsenden Wurzeln ein weiteres Kommunikationsnetz zu bieten, eine Art Nachrichtensystem, das funktioniert wie das Internet: Pilze. „Ein einziger Pilz kann sich im Lauf von Jahrhunderten über etliche Quadratkilometer ausdehnen und so ganze