Wie der Bäcker den Teig richtig führt
Der Wiener Bäckermeister Josef Schrott lässt dem Teig Zeit zu arbeiten und setzt auf Handwerk. Er macht damit genau das Gegenteil seines Großvaters.
Josef Schrott ist ein bisschen stolz. Er steht im hinteren Teil seiner Backstube auf der äußeren Mariahilfer Straße im 15. Wiener Gemeindebezirk. Während im vorderen Teil reges Treiben herrscht und fleißig an Torten, Kuchen und Schnitten gearbeitet wird, ist es im hinteren Teil, dort, wo Tageslicht aus dem Innenhof in die Backstube einfällt, ruhig. Gearbeitet wird auch hier, aber ganz leise und nicht von Menschenhand.
„Wollen Sie einmal riechen?“, fragt Schrott und öffnet die Abdeckung des großen, grünen Kessels. Allein wie er das macht, zeigt, dass hier das Herzstück der Bäckerei liegt: der Sauerteig. „Jetzt ist er gerade in der zweiten Stufe, in der die Essigsäure arbeitet; sie ist für den leicht säuerlichen Geschmack wichtig“, sagt Schrott, atmet kräftig durch die Nase ein, schaut zufrieden und schließt den Deckel. 17 Stunden Arbeit. Seit 5.30 Uhr arbeitet der Sauerteig vor sich hin. Gegen 23 Uhr wird er fertig sein. Dann wird ihn einer von Schrotts Mitarbeitern herausnehmen und beginnen, damit über Nacht Brot zu backen. Auch das geht nicht schnell, vier bis fünf Stunden hat jeder Laib Zeit zum Aufarbeiten, Gären und Backen.
Josef Schrott ist einer jener Bäcker, die noch so arbeiten, wie es das Klischee verlangt, auch wenn die Backstube wenig romantisch aussieht. Direkt hinter dem Verkaufsraum – mit anschließender Cafe-´Konditorei – hat Schrott seine Backstube angesiedelt. Genau genommen hat nicht er das gemacht, sondern sein Ururgroßvater. Er lernte in Prag das Bäckerhandwerk, ging auf die Walz nach Wien, verliebte sich hier und kaufte – angeblich nach einem Lotto-Gewinn – die Bäckerei in der äußeren Mariahilfer Straße. „Das war 1885, aber schon davor gab es hier eine Bäckerei.“Schrotts Ururgroßvater hat das Geschäft seinem Sohn übergeben, der wiederum an Josef Schrotts Vater und dieser 1994 an den jetzigen Inhaber. Die sechste Generation ist mit Jeremiah Schrott ebenfalls schon im Betrieb.
Die Bäckerei Schrott ist also eine jener Bäckereien, die handwerklich arbeitet, dem Brot Zeit gibt und darum kein großes Aufsehen macht. „Die Schickimicki-Bäcker, die gutes Marketing machen, tun der Branche gut. Mich stört aber, dass sie sagen, sie backen als Einzige handwerklich. Das stimmt einfach nicht. Es gibt in Österreich 1500 Bäcker – und darunter exzellente Fachleute“, sagt Schrott. Natürlich muss er das als Innungsmeister der Wiener Bäckereien sagen. Man glaubt es ihm aber auch ohne diese Funktion. 120 statt 700 Wiener Bäcker. Vom Bäckersterben spricht er nicht so gern. Ja, die Bäcker werden weniger, gibt er zu. „Nach dem Krieg waren es in Wien 700 Betriebe, heute sind es 120. Aber die damaligen Betriebe waren nicht so leistungsstark wie heute. Es gab ja auch keinen Maschinenpark.“In seiner Kindheit gab es vier Bäcker rund um den Häuserblock. „Heute gibt es vier Bäcker im ganzen Bezirk.“
Dennoch will er nicht klagen. Seine Kunden schätzen seine Arbeit, immer mehr. Seit zwei, drei Jahren spüre er, dass die Nachfrage und das Interesse steigen. Sie fragen nach und wollen wissen, was im Brot enthalten ist.
Womit wir wieder beim Sauerteig wären. Vier Stufen macht er durch, während er von 5.30 bis 23 Uhr in der Backstube vor sich hinarbeitet. In der ersten Stufe findet die Hefevermehrung in dem Wasser-Mehl-Gemisch statt. „Das ist wichtig für die Lockerung.“In der zweiten Stufe setzt die Essigsäurebildung ein, die wiederum für den Geschmack wichtig ist. In der dritten Stufe spielen die Milchsäurebakterien die Hauptrolle, die für die Backqualität entscheidend sind. „In der letzten Stufe kommt noch einmal die Hefevermehrung und Gärung. Das ist die Abschlusstrainingseinheit.“Wichtig sei dabei – neben der Zeit – die Temperatur. Bei 26 bis 28 Grad Celsius entstehen Säuren, also Milchsäurebakterien oder Essigsäure. Bei 30 Grad setzt die Hefevermehrung ein. „Daumen mal Pi“, sagt der Bäckermeister.
Mit der unterschiedlichen Führung des Teiges, wie es der Bäcker nennt, und der Temperatur lässt sich der Geschmack des Brotes beeinflussen. So kann man etwa die Säure variieren. Schrott hat über die Jahre ein OstWest-Gefälle bei den Geschmacksvorlieben festgestellt. „Im Burgenland wollen sie lieber mildes Brot, in Vorarlberg muss das Brot sehr sauer sein. Da Barbara van Melle, Brandstätter-Verlag, 208 Seiten, 29,90 Euro. Ab 28. 9. erhältlich.
Bäckerei Schrott
Backstube sowie Verkauf und Caf´e: 15., äußere Mariahilfer Straße 159. Weitere Filialen: Meiselmarkt, Anschützgasse 40 und Webgasse 44. www.baeckereischrott.at gibt es große regionale Unterschiede. In Oberösterreich wollen sie in einer Gegend keine Gewürze, und zehn Kilometer weiter ist es wieder ganz anders.“
Schrott stellt seinen Sauerteig aus Bioroggenmehl her. Korrekt trägt er deshalb den langen Namen Bioroggenvollkornnatursauerteig. Das Mehl bezieht er aus der Hofer-Mühle bei Wiener Neustadt sowie aus der Umgebung von Mattersburg. Gemahlen wird direkt in der Backstube. Nicht wie beim Großvater. All das hat Schrotts Großvater nicht gemacht. „In den 1960ern kamen die Teigsäuerungsmittel, das war damals modern. Das war auch eine andere Zeit, da ging es darum, die Bevölkerung satt zu machen“, sagt Schrott. Sein Vater hat diese Entwicklung bereits skeptisch betrachtet und ist wieder auf Sauerteig umgestiegen. Er war es auch, der mit Vollkorn und Bioqualität begonnen hat. „Ich habe dann viele Rezepte entwickelt, auch in Hinblick auf die Ernährungsphysiologie. Wir haben Körner daraufhin abgestimmt, wie sie zusammenpasse, und keine beliebigen Körndl-Mischungen verwendet.“
Von 5.30 bis 23 Uhr arbeitet der Sauerteig vor sich hin. Erst dann wird Brot gemacht. Sein Großvater stellte in den 1960ern auf Säuerungsmittel um. »Das war modern.«
Schrotts Sohn, der die HTL für Lebensmitteltechnologie in Wels besucht, dürfte diesen Weg weitergehen. „Er befasst sich viel mit langer Teigführung. Je mehr Zeit der Teig hat, desto mehr tut sich, vor allem beim Geschmack. Sie probieren in der Schule viel aus, das ist gut. Die Zeit nimmt man sich später nicht mehr.“Für Schrott ist es klar, dass sein Sohn eher früher als später den Betrieb übernehmen wird. Er hält nichts davon, wenn die alte Generation zu lang am Ruder sitzt. Die Jungen müssen her, damit der Betrieb funktioniert, mit dem Zeitgeist geht und etwas Neues kommt.
Bis es so weit ist, wird Schrott, der wegen des bürokratischen Aufwands viel zu selten in der Backstube steht, noch öfter ein Auge auf den Sauerteig werfen.