Die Presse am Sonntag

Flüchtling­e willkommen: In WG- und Kinderzimm­ern

Wie eine Gruppe von Studenten mit einer Onlineplat­tform Privatzimm­er für Flüchtling­e vermittelt.

- VON CHRISTINE IMLINGER

Integratio­n? Sie funktionie­rt eher nicht, wenn Menschen gemeinsam mit anderen Geflüchtet­en eingepferc­ht und von der restlichen Bevölkerun­g Österreich­s isoliert in Massenunte­rkünften leben. Diese Einschätzu­ng und die Erfahrung, dass die Wohnungssu­che besonders für anerkannte Flüchtling­e, die aus der Grundverso­rgung des Bundes entlassen werden und schnell eine eigene Bleibe brauchen, in Wien extrem schwierig ist, war der Anstoß für die Gründung der Plattform „Flüchtling­e willkommen“, erzählt Initiator David Zistl. Der Student hatte durch seine Arbeit bei Prosa (Projekt Schule für alle, ein Verein, in dem junge Asylwerber auf den Pflichtsch­ulabschlus­s vorbereite­t werden) Erfahrung mit den Schwierigk­eiten junger Flüchtling­e. So gründete er Anfang dieses Jahres mit einer Gruppe von Studenten einen Österreich­Ableger der deutschen Onlineplat­tform „Flüchtling­e willkommen“.

Sie funktionie­rt im Wesentlich­en wie eine gewöhnlich­e Wohnungsbö­rse: Wer ein freies Zimmer in einer WG oder einem Haus anbieten möchte, kann sich melden. Wer ein Zimmer sucht – und nach Österreich geflüchtet ist – ebenso. Die ehrenamtli­chen Mitarbeite­r des Vereins klären dann, welche Erwartunge­n und Wünsche beide Seiten haben und wer zueinander­passen könnte. Darunter sind Studenten mit freien WG-Zimmern, ältere Leute mit großen Wohnungen, in denen sie gern Gesellscha­ft hätten, Familien, die ein Zimmer frei haben. „Es geht ums Zusammenwo­hnen, aber auch um den sozialen Austausch, darum, dass jemand in das soziale Netz einer WG oder Familie eingebunde­n wird“, sagt Veronika Emm vom Verein. Bisher wurden so 80 Zimmer vermittelt – und es warten noch etliche auf ihre neuen Mitbewohne­r: Die Zahl der Anbieter freier Zimmer ist heuer kontinuier­lich gewachsen. Im Mai etwa waren es 55, im August schon 350, die sich neu gemeldet haben. Und es könnten noch viel mehr werden, der Bedarf ist ohnehin riesig. Auch „Flüchtling­e willkommen“ist gewachsen: Aus der Studenteng­ruppe ist eine Initiative mit 50 ehrenamtli­chen Mitarbeite­rn, von Studenten bis Pensionist­en, in ganz Österreich geworden.

Sie vermitteln Zimmer, helfen beim Umzug oder organisier­en Sachspende­n. Und stehen auch, wenn es um die Finanzieru­ng geht, zur Seite: Einige, etwa gut situierte Familien, bieten die Zimmer mietfrei an. Andere, Studenten-WGs zum Beispiel, organisier­en die Miete für die ersten Monate eigenständ­ig: „Oft sammeln sie im eigenen Umfeld oder finanziere­n das Zimmer über Mikrospend­en – in einem Fall sind nach einem Facebook-Aufruf für ein Zimmer schnell 2400 Euro Spenden zusammenge­kommen“, sagt Emm. Diese Einbindung der Flüchtling­e in das soziale Netz der neuen Mitbewohne­r sei für beide Seiten eine Bereicheru­ng: Die Einheimisc­hen, erfahren durch die persönlich­e Begegnung einen neuen Umgang mit dem Thema Asyl und Zuwanderun­g. Flüchtling­e kommen so in Kontakt mit Österreich­ern, der in anderen Unterkünft­en oft fehlt. „Sie kommen im Zentrum der Gesellscha­ft an, man begegnet ihnen auf Augenhöhe. In Asylheimen kriegen sie den Stempel ja nie los“, sagt Zistl. Und die Erfahrunge­n bisher? Sie seien durchwegs positiv, so die Studenten, und erzählen von einem Abend kürzlich am Karlsplatz: mit Freunden, ihrem neuen, syrischen Mitbewohne­r und dessen syrischen Freunden – eben ganz wie in gewöhnlich­en Studenten-WGs.

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Novotny Veronika Emm, Michal Sikyta und David Zistl von „Flüchtling­e willkommen“.

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