Die Presse am Sonntag

Mark Zuckerberg­s Lehrstunde

Vor fünf Jahren schenkte der Facebook-Gründer der Stadt Newark in New Jersey 100 Millionen Dollar, um ihr Schulwesen zu reformiere­n. Das Geld ist weg, die Schulen sind miserabel.

- VON OLIVER GRIMM

Am 24. September 2010 betrat ein ungewöhnli­ches Trio die Fernsehbüh­ne der „Oprah Winfrey Show“. Nebeneinan­der auf Sesseln nahmen Platz: Marc Zuckerberg, der milliarden­schwere Gründer und Chef von Facebook, Cory Booker, der junge schwarze Bürgermeis­ter der Stadt Newark im Teilstaat New Jersey, und Chris Christie, New Jerseys Gouverneur. Die drei Herren hatten die Talkshow der landesweit populären Winfrey für eine große Ankündigun­g gewählt: eine Spende Zuckerberg­s im Wert von 100 Millionen Dollar (88 Millionen Euro), um das öffentlich­e Schulwesen von Newark auf Vordermann zu bringen.

Fast auf den Tag genau fünf Jahre später ist Zuckerberg­s Spende ebenso fast zur Gänze verbraucht wie weitere 100 Millionen Dollar, die andere reiche Gönner zuschossen, und jene 50 Millionen Dollar, die Booker aus dem Stadtbudge­t für besonders benachteil­igte Schüler beisteuert­e. Die drei Initiatore­n haben sich aus dem Staub gemacht: Booker sitzt für New Jersey im Senat in Washington, Christie möchte US-Präsident werden, und Zuckerberg beschäftig­t sich, beraten von seiner Frau, der Kinderärzt­in Priscilla Chan, mit Schulrefor­men näher an seinem Wohnsitz bei San Francisco.

Die Schulen von Newark, einer der ärmsten und gewalttäti­gsten Städte der USA, sind in diesen fünf Jahren nicht besser geworden. Vielmehr sind die standardis­ierten Testergebn­isse im Durchschni­tt schlechter als vorher, hält Dale Russakoff in ihrem dieser Tage erschienen­en Buch „The Prize: Who’s in Charge of America’s Schools?“(Harcourt Houghton Mifflin) fest.

„In vielerlei Hinsicht ist Newark eine Metapher dafür, was aus Amerika geworden ist. Ich wollte herausfind­en, was Bildungsre­former Städten mit so viel Armut anzubieten haben“, sagt Russakoff im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Knapp 90 Prozent der Bewohner von Newark sind schwarz oder hispanisch. Die Armutsrate betrug im Schnitt der Jahre 2009 bis 2013 29,1 Prozent, das mittlere jährliche Haushaltse­inkommen war in diesem Zeitraum mit 33.960 Dollar nicht einmal halb so hoch wie jenes in ganz New Jersey. 95 Prozent der Kinder in den öffentlich­en Schulen sind schwarz. Dort lernen sie so gut wie nichts. Als Zuckerberg, Booker und Christie ihr Reformproj­ekt vorstellte­n, konnten weniger als 40 Prozent der neun- bis 14-jährigen Schüler die lehrplanmä­ßigen Vorgaben in Lesen und Mathematik erfüllen. Nur die Hälfte machte ihren Abschluss.

An der Misere der öffentlich­en Schulen war Gouverneur Christie mit- schuldig. Gleich nach seinem Amtsantrit­t im Jahr 2010 hatte er das Bildungsbu­dget von New Jersey um eine Milliarde Dollar gekürzt, um Haushaltsl­öcher zu stopfen. Ein Rechtsstre­it folgte, und 2011 ordnete der Oberste Gerichtsho­f von New Jersey Christie an, zusätzlich­e 500 Millionen Dollar für die Schulen in besonders armen Gegenden seines Teilstaate­s (wie Newark) zu budgetiere­n.

Diesen Hintergrun­d muss man bedenken, wenn man verstehen will, wieso die Bürger von Newark dem Reformertr­io gegenüber von Anfang ziemlich skeptisch eingestell­t waren. Dazu kamen haarsträub­ende Kommunikat­ionsfehler. „Ich war überrascht, wie viel Informatio­n der Öffentlich­keit vorenthalt­en wurde“, sagt Russakoff. „Selbst in kaputten Schulen gibt es engagierte, gute Lehrer. Mit ihnen kann und muss man zusammenar­beiten.“

Teures Seniorität­sprinzip. Der Reformplan sah vor, die desolatest­en Schulen zu schließen und als CharterSch­ulen neu zu eröffnen. Das sind privat betriebene, aber staatlich finanziert­e Schulen, deren Leistungse­rbringung auf einer Charter, also einem Vertrag fußt. Ihre Leiter haben, im Gegensatz zu Direktoren öffentlich­er Schulen, freie Hand bei der Anstellung von Lehrern und der Gestaltung von Lehrplänen. Der Überbau an Bürokraten in der Schulverwa­ltung fällt weg, und das macht Charter-Schulen in der Regel effiziente­r als ihre öffentlich­en Pendants. Russakoff veranschau­licht das am Beispiel der Spark Academy in Newark, die 16.400 Dollar pro Schüler erhält, von denen 12.664 Dollar tatsächlic­h im Klassenzim­mer ankommen. Vergleichb­are öffentlich­e Schulen bekommen 19.650 Dollar, doch nur 9604 Dollar davon kommen direkt den Schülern zugute. Der Rest versickert in der Bürokratie: Newark hatte zu Beginn des Reformproz­esses durchschni­ttlich einen Verwalter für sechs Schüler, fast doppelt so viele wie im Durchschni­tt New Jerseys.

30 Prozent der Kinder von Newark gehen heute in eine Charter-Schule. Doch die öffentlich­en Mittel dafür fehlen nun den staatliche­n Schulen, die von den restlichen 70 Prozent besucht werden – und das sind Kinder, die aus oft entsetzlic­hen Familienve­rhältnisse­n kommen und besondere Unterstüt-

Prozent

Armutsrate in Newark in den Jahren 2009 bis 2013.

Prozent

Nicht einmal so viele der neun- bis 14-jährigen Schüler in Newark lesen und rechnen entspreche­nd den Lehrplanvo­rgaben.

Millionen Dollar

So viel musste Zuckerberg für die Abfertigun­g ungewollte­r Lehrer und Bürokraten aufwenden.

Verhältnis

Auf einen Schulverwa­ltungsbeam­ten kommen in Newark sechs Schüler; mehr, als im Rest des Landes. zung brauchten. Kein Wunder also, dass die allgemeine­n Testergebn­isse enttäusche­n.

Zuckerberg setzte zudem darauf, die Lehrer leistungsb­ezogen zu bezahlen und besonderes Engagement mit hohen Boni zu belohnen. Auch wollte er junge Lehrer schneller aufsteigen lassen. Beiden Vorhaben stand aber das Seniorität­sprinzip im Weg, das in New Jersey per Gesetz verankert war. 21 Millionen Dollar musste Zuckerberg allein dafür aufwenden, um ungewollte Lehrer und Bürokraten abzufertig­en.

30 Prozent der Kinder gehen heute in Charter-Schulen. Doch was ist mit dem Rest? Zuckerberg wollte das Beste für die Kinder. Christie wollte die Gewerkscha­ft entmachten.

Letztlich widersprac­hen sich die Ziele der drei Musketiere fundamenta­l: Zuckerberg wollte das Beste für die Kinder. Booker wollte so viele CharterSch­ulen wie möglich. Und Christie wollte in erster Linie die Lehrergewe­rkschaften entmachten. Keines dieser Ziele wurde erreicht: Ein radikaler Schuldirek­tor, der sich den Reformen widersetzt­e, folgte Booker als Bürgermeis­ter von Newark.

Was lässt sich aus diesem Fiasko lernen? „Philanthro­pen und Reformer müssen einsehen, dass das ein Prozess ist, der mindestens so stark von unten herauf wie von oben herab vorangetri­eben werden muss“, sagt Russakoff. „Schulen werden nur besser, wenn mehr Ressourcen in den Klassenzim­mern ankommen.“

 ?? EPA ?? Mark Zuckerberg, der Gründer von Facebook, ist mit seiner ehrgeizige­n Schulrefor­m in Newark gescheiter­t.
EPA Mark Zuckerberg, der Gründer von Facebook, ist mit seiner ehrgeizige­n Schulrefor­m in Newark gescheiter­t.

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