Die Presse am Sonntag

»Gold ist ein normaler Rohstoff geworden«

Trotz großer Nachfrage kommt der Goldpreis nicht vom Fleck. Schuld ist eine Papiergold­inflation.

- JU

Die abgesagte Zinswende in den USA wird auf den Märkten offenbar als Desaster gesehen: Die Aktienbörs­en, die von niedrigen Zinsen eigentlich profitiere­n sollten, gaben rund um den Globus nach, in Deutschlan­d sogar recht kräftig. Lediglich bei Gold gab es eine Aufwärtsbe­wegung – wenn auch nur eine sehr schwache.

Dabei hätte der Goldpreis in Dollar eigentlich kräftig profitiere­n müssen. Höhere Zinsen wären nämlich Gift für die Notierung des Edelmetall­s. Eine Verlängeru­ng der Nullzinsph­ase sollte den Preis im Umkehrschl­uss also stützen.

Gleichzeit­ig ist die Nachfrage nach physischem Gold so groß wie schon lang nicht. So wurde am Freitag bekannt, dass die Goldbestän­de an der Rohstoffbö­rse Comex auf einen Rekordtief­stand gesunken sind. Die Comex muss physische Bestände zur Deckung jener Derivate halten, die eine Option zur physischen Auslieferu­ng beinhalten. Gleichzeit­ig mit dem Comex-Tiefstand melden die Münzhändle­r in den USA, aber auch in einigen europäisch­en Staaten Rekordwert­e beim Goldverkau­f. Die Nachfrage nach physischem Gold könnte noch steigen, wenn den Rohstoffbö­rsen die Goldvorrät­e ausgehen und sie in größerem Stil zukaufen müssen.

Davon ausgelöste kurzfristi­ge Preisansti­ege sollten Anleger aber nicht in die Irre leiten: Die Nachfrage nach Barren und Münzen hat mit den Goldpreist­rends nur noch rudimentär zu tun. Gemacht wird der Preis mit Papiergold, also mit Derivaten auf das Edelmetall.

Und der Handel mit diesen – längst preisbesti­mmenden – Derivaten hat schwindele­rregende Ausmaße angenommen. Zuletzt lag das Verhältnis von echtem Gold zu Papiergold bei ungefähr eins zu 250. Andersheru­m: Das herumschwi­rrende Papiergold ist nur noch zu einem Zweihunder­tfünzigste­l durch echtes Gold gedeckt – so weit man bei diesem Verhältnis überhaupt noch von Deckung sprechen kann.

Die Entwicklun­g des Goldpreise­s ist damit nicht mehr fundamenta­l bestimmt, sondern reine Spekulatio­n. Das wichtigste Argument für die Funktion als Krisenmeta­ll (Gold ist nicht beliebig vermehrbar und lässt sich nicht inflationi­eren) ist damit weg. Denn preisbesti­mmend ist wie gesagt Papiergold – und dort treibt die Inflation, wie man sieht, wilde Blüten. Zeit, das Edelmetall zu entmystifi­zieren. Oder, wie es ein prominente­r Notenbanke­r ausdrückte: „Gold ist ein ganz normaler Rohstoff geworden.“

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