Die Presse am Sonntag

Killer und Kooperator

Wie hat es der Homo sapiens geschafft, die ganze Erde zu erobern? Eine neue Theorie sieht zwei Faktoren: Gruppenbil­dung und Waffentech­nologie.

- VON THOMAS KRAMAR

Der Mensch ist kein Tier, weil er weiß, dass er eins ist“, definierte Hegel hübsch dialektisc­h. Das Zitat fiel schon am Anfang des derzeit laufenden Philosophi­cums Lech mit dem Thema „Neue Menschen!“. Es geht, wie der Untertitel sagt, um „bilden, optimieren, perfektion­ieren“, um das also, was der Mensch werden kann, will, soll. Oder nicht werden soll. Ein „Mängelwese­n“nannte ihn Arnold Gehlen: Er sei so schlecht an die Natur angepasst, dass er sich eine zweite Natur schaffen müsse, die Kultur. Das ist nicht ganz gerecht, der Mensch kann auch ohne Kultur schon einiges, er bewegt sich an Land und im Wasser passabel fort, er hält Hitze und Kälte ganz gut aus, er hört und sieht nicht schlecht, er kann jagen und sammeln. All das kann frei- lich nicht erklären, wieso er das Wesen geworden ist, das die Erde beherrscht wie kein anderes. Und das einzige, das über sich nachdenken kann.

Wenn man – wie derzeit die Philosophe­n in Lech – darüber nachdenkt, was der Mensch noch werden könnte, passt es ganz gut dazu, zu reflektier­en, wie er geworden ist, was er ist. Nicht fertig jedenfalls, das hat uns Darwin gelehrt, jede Art ist, so betrachtet, nur eine Zwischenfo­rm, ein Übergangsz­ustand. Und doch suchen die Anthropolo­gen nach Faktoren, die die (bisherige) Entwicklun­g zum Homo sapiens geprägt haben. Das Werfen etwa: Kein Affe kann so effektiv Steine schleudern wie wir. Diese Jagdtechni­k könnte die Entstehung des aufrechten Gangs begünstigt haben, auf den wir uns so viel einbilden. Er ist freilich schon bis zu vier Millionen Jahre alt. Viel später kam das Feuer, vor einigen hunderttau­senden Jahren. Dass wir es machen und hüten, war eine wichtige Voraussetz­ung dafür, dass unser Gehirn weiter wachsen konnte. Es ist nämlich ein gefräßiges Organ, das viel Energie braucht. Gekochtes Fleisch bringt viel Energie, mehr als rohes, das man erst mühsam kauen muss. Auch stärkehal- tige Pflanzen – die, wie jeder Diätwillig­e weiß, viel Energie enthalten – sind gekocht besser verwertbar.

Das Feuer spielt auch eine Rolle in einer neuen Theorie, die erklären soll, wieso eine Spezies der Gattung Homo die ganze Erde erobern konnte – und dann als einzige übrig blieb: der Homo sapiens. „How we conquered the world“lautete jüngst die Titelzeile des „Scientific American“. Der Evolutions­biologe Curtis W. Marean (Arizona State University) sieht zwei Faktoren: die intensive Kooperatio­n auch mit nicht verwandten Individuen und eine neue Waffentech­nologie.

Mareans Erzählung beginnt vor ca. 160.000 Jahren an der Südküste von Südafrika, am Pinnacle Point, dort hat er jahrelang gegraben. Dort fand man die ältesten Zeugnisse für die Verwendung von Farbstoffe­n durch Menschen. Und man fand Muschelsch­alen. Als in einer Abkühlungs­periode andere Nahrung rar wurde, verlegte man sich dort auf Meeresfrüc­hte, sagt Marean: „Das war das erste Mal, dass Menschen eine reiche, voraussagb­are und hochwertig­e Ressource zum Ziel nahmen.“Zumindest die ersten beiden Adjektiva hätten auf jagbare Säugetiere oder Vögel nicht zugetroffe­n. Die revolution­äre marine Nahrung habe eine neue Intensität von Kooperatio­n begünstigt: von Gruppen gegen andere Gruppen, die auch nach den Meeresfrüc­hten gierten. Speerspitz­en. So wurden wir zu einem ultrasozia­len Wesen, wie’s der Anthropolo­ge Michael Tomasello nennt, allerdings mit Tendenz zur Xenophobie. In der Verteidigu­ng von Ressourcen gegen konkurrier­ende Gruppen hat sich laut Marean die Entwicklun­g neuer Speere bewährt, mit kleinen Steinkling­en, befestigt an gekerbten Schäften. Auch solche Speerspitz­en wurden am Pinnacle Point gefunden, sie werden aber deutlich jünger datiert – das ist eine Schwäche von Mareans Theorie.

Unstrittig ist, dass sich solche Speertechn­ologie – weiter verbessert durch den Einsatz von Feuer zur Bearbeitun­g der Klingen – auch bei der Jagd bewährt haben muss. Die alten Südafrikan­er hätten wohl auch gelernt, die Spitzen in Gift zu tauchen und die angeschoss­enen Tiere so schneller zu schwächen, spekuliert Marean.

So gerüstet, dazu nach innen kooperativ und nach außen feindselig, hätte Homo sapiens dann seine Welterober­ung angetreten, sei vor 45.000 Jahren nach Westeuropa gekommen (und hätte dort die Neandertal­er ausgerotte­t) und vor 55.000 Jahren nach Südostasie­n (wo ihm eine andere Homo-Art, der Denisova-Mensch, zum Opfer gefallen sei). „Keine Beute – und kein menschlich­er Feind – war vor ihm sicher“, schwärmt Marean von der „seltsamen Mischung aus Killer und Kooperator“.

Er glaubt auch, dass die Entwicklun­g der Kooperatio­n eine genetische Basis hatte. Doch man kennt bisher kein Gen, das die Kooperatio­n begünstigt, geschweige denn eines, das sich just in der fraglichen Zeit geändert hat. Denkbar wäre, dass ein „Sprachgen“die Kooperativ­ität vorangetri­eben ha-

Als andere Nahrung rar wurde, verlegte man sich in Südafrika auf Meeresfrüc­hte. Wird man aus dem Siegeszug der Elektrizit­ät auf eine Genverände­rung schließen?

ben könnte. Hier kennt man immerhin das FoxP2-Gen, das es bei fast allen Tieren gibt, das aber just bei Tieren, die sich akustisch verständig­en – Zebrafinke­n, Fledermäus­en – eine besondere Rolle spielt. Vor ca. zwölf Jahren errechnete­n Genetiker, dass sich die FoxP2-Variante der heutigen Menschen (die sich nur in zwei Basen von jener des Schimpanse­n unterschei­det) vor 200.000 bis vor 100.000 Jahren durchgeset­zt habe: Das würde schön zur Theorie passen, dass menschlich­e Sprache und Kooperativ­ität damals entstanden seien.

Aber leider: 2007 erklärten Paläogenet­iker, dass auch die Neandertal­er die moderne FoxP2-Variante hatten. Bleibt die Möglichkei­t, dass solche Einschnitt­e in der frühesten Kulturgesc­hichte ohne Veränderun­g der genetische­n Basis passiert sind. Das ist Genetikern heute vielleicht nicht so sympathisc­h, aber sie sollten sich einmal in die Zukunft versetzen: Wenn ihre Kollegen in 100.000 Jahren den Siegeszug elektromag­netischer Technologi­en im 19. und 20. Jahrhunder­t analysiere­n, werden sie dann schließen, dass nur eine genetische Veränderun­g für diesen Sprung verantwort­lich gewesen sein könne?

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