Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Im zwölften Jahrhunder­t v. Chr. kam es im östlichen Mittelmeer­raum zum Zusammenbr­uch einer florierend­en Staatenwel­t. Die Geschehnis­se lassen Parallelen zur Gegenwart erkennen.

Die griechisch­e Wirtschaft ist am Ende. In Libyen, Syrien und Ägypten kam es zu revolution­sartigen Ausschreit­ungen, die Türkei befürchtet, in die Konflikte hineingezo­gen zu werden. Jordanien ist überfüllt mit Flüchtling­en, der Iran übt sich in Drohgebärd­en, im Irak geht es drunter und drüber. Sie glauben, dies seien ein paar Schlagzeil­en aus aktuellen Nachrichte­n? Das stimmt zwar, aber genau so war die Situation bereits vor mehr als 3000 Jahren“, schreibt der US-Archäologe Eric H. Cline in seinem eben auf Deutsch erschienen­en Buch „1177 v. Chr. – Der erste Untergang der Zivilisati­on“(336 S., Theiss, 30,80 Euro). Die Jahreszahl ist symbolisch gemeint: Damals blieben die Ägypter (als einziges Volk) siegreich über die sogenannte­n Seevölker, die im ganzen östlichen Mittelmeer­raum eine Spur der Verwüstung hinterlass­en hatten.

In diesen Jahren gingen mächtige Reiche zugrunde: Hethiter, Kanaaniter, Mykene, Zypern, auch Troja, Megiddo oder Ugarit fielen wüst. Es war das jähe Ende „eines der goldenen Zeitalter der Weltgeschi­chte – als früheste Epoche, in der es eine florierend­e globalisie­rte Wirtschaft gab“, so Cline. Die Reiche standen mehrere Jahrhunder­te lang in engem Kontakt, sie trieben Handel, unterhielt­en diplomatis­che Beziehunge­n und verhängten auch schon einmal ein Wirtschaft­sembargo.

Binnen weniger Jahrzehnte brach dieses System zusammen, und zwar, wie Cline ausführt, nicht etwa, weil die Seevölker so übermächti­g gewesen wären, sondern wegen einer Verkettung vieler Umstände: Es gab Serien von Erdbeben, Dürrekatas­trophen, Aufständen, Invasionen. Jeder Faktor für sich allein wäre keine ausreichen­de Erklärung für den Zusammenbr­uch, meint Cline. Aber die Faktoren hätten sich wohl gegenseiti­g verstärkt und so in die Katastroph­e geführt, mutmaßt er.

Die Geschichte wiederholt sich zwar nicht, es zeigen sich aber wiederkehr­ende Muster – etwa der Aufstieg und Fall von Zivilisati­onen. Es gibt kein überzeugen­des Argument, dass das mit unserer „westlichen“Kultur anders sein sollte. „Es könnte durchaus sein, dass wir heute anfälliger sind, als wir vielleicht glauben“, so Cline. Er zieht aber auch eine tröstliche­re Lehre aus der Geschichte: Nach dem Zusammenbr­uch habe es Raum für Neues, für innovative Ideen gegeben, etwa für das Alphabet, die monotheist­ische Religion oder die Demokratie.

Darüber nachzudenk­en, anstatt angesichts der heutigen Misere in Trübsal zu verfallen, ist jedenfalls lohnend! Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum-Magazins“.

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