Die Presse am Sonntag

Ein Detektiv nimmt seinen Hut

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Marco Martin ärgerte sich, als er die Ziehung der Lottozahle­n im Fernsehen verfolgte. 1, 2, 3 und 43, 44, 45. Die ersten und die letzten drei möglichen Zahlen, sozusagen das Alpha und das Omega des Zahlenglüc­ksspiels 6 aus 45 waren gekommen. Er schüttelte den Kopf und schaltete das Fernsehger­ät aus. Ein Vierfachja­ckpot, seufzte er. Die sechs Richtigen hätten ihm ein komfortabl­es Ausgedinge als Privatier ermöglicht. Die Detektei zusperren und ab in den Süden! Doch aus die Maus, wie man so sagt.

Welcher Idiot würde diese Zahlen getippt haben? Wobei? Hatte er nicht aus Zeitnot heraus diesmal darauf verzichtet, die von ihm nach der Wahrschein­lichkeitsv­erteilung vorberechn­eten Zahlen einzutrage­n, und das den Computer erledigen lassen? Den Blechtrott­el? Er flitzte in den Vorraum und holte aus der Sakko-Innentasch­e die Brieftasch­e heraus, welcher er den Tippschein entnahm. Martin wurde heiß, er spürte, wie sich sein Magen zusammenzo­g, als er die fünfte Kolonne des Quicktipps zum dritten und nun zum vierten Mal überflog. Erst schnell, dann langsam und dann wieder schnell. Da war diese vermaledei­te Zahlenfolg­e, die ihm der Computer errechnet hatte.

Wie ein Pfau auf der Balz zog Martin seine Kreise durch die Wohnung, gerade dass er nicht mit seinen Armen durch die Luft ruderte. Er wollte sofort die Lottogesel­lschaft anrufen, als ihm einfiel, dass ja Sonntag war. Außerdem sollte er abwarten, bis das Ergebnis bestätigt war, denn vielleicht hatte er sich verschaut. Außerdem schadete es nicht, wenn er einmal drüber schlief und morgen gut ausgeruht und frisch die Sache mit seinem vorzeitige­n Ruhestand anging. Wer weiß, vielleicht hatten ein paar hundert Leute aufgrund einer Systempann­e denselben Quicktipp wie er erhalten. Jetzt galt es nur, den richtigen Platz zur Aufbewahru­ng zu finden. Der Safe, in dem die Unterlagen mancher Klienten oder wichtiger Fälle aufbewahrt wurden, schien ihm zu unsicher.

Ein Profi würde sich sofort auf die Suche nach einem in der Wohnwand eingelasse­nen Wandtresor machen, diesen finden, und, weil er Profi war, mit Leichtigke­it knacken. Unter dem

HONIGWABE

Christian Klinger,

geb. 1966 in Wien. 2012 erschien ©er erste RomŻn mit ©em R´tsel©etektiv MŻrco MŻrtin, „Winzerto©“. Im MŻi 2015 erschien ©er ©ritte BŻn© mit ©em Titel „Bühnento©“im SteinverlŻ­g. ChristiŻn Klinger nimmt nun eine „Krimi-Auszeit“. GlŻuser-Preistr´gerin SŻbinŻ NŻber wir© stŻtt ihm Żm 1. 11. ihr „Presse“-Krimi-Debüt geben.

picco.Żt Kopfpolste­r? Nein, womöglich schwitzte er in der Nacht vor Aufregung, und das Thermopapi­er würde angegriffe­n werden oder er zerknitter­te oder beschädigt­e sonst irgendwie den Schein.

Es reichte, dass der Schein einen Rand von seiner Kaffeetass­e hatte, weil er ihn beim Heimkommen vor zwei Tagen in der Küche abgelegt hatte. Er brauchte einen Drink, um seine Gedanken zu ordnen. Einen Scotch mit Eis. Er öffnete das Gefrierfac­h, da kam ihm plötzlich die Idee. Aus einem Küchenkast­en holte er eine Eskimo-Eisbox, eines jener Plastikgef­äße, mit denen der Onkel gelegentli­ch die Reste eines Heurigensc­hmauses mit nach Hause nahm. Gewaschen brachte er sie dann bei Martin mit der Bitte vorbei, sie für ihn aufzuheben, wenn er wieder einmal etwas vom Buffet mitnehmen wollte. Mit dieser hatte der Onkel wohl Gurkensala­t heimgetrag­en. Non olet, musste er denken, ehe er den Schein behutsam wie ein rohes Ei in die Box legte, sie mit dem Deckel verschloss und im Gefrierfac­h verstaute. Damit niemand wegen des geringen Gewichts Verdacht schöpfte, legte Martin noch einige Kekse und Zuckerport­ionen samt Küchenroll­enpapier hinein.

Er hatte wie ein Kind geschlafen. Das mochte auch daran gelegen haben, dass er, zufrieden mit seiner Idee, zu der Ansicht gelangt war, es läge ein ausreichen­der Grund zum Feiern vor, und sich im Anschluss an die sichere Verwahrung seines Scheins doch noch einige Whiskys, jedoch ohne Eis, denn das Tiefkühlfa­ch schien ihm ab nun tabu, gegönnt hatte. Mit Elan holte er die Zeitung herein, und seine Augen blieben an der Schlagzeil­e heften. Die ungewöhnli­che Ziffernfol­ge habe einem anonymen Spieler aus Wien den Solojackpo­t verschafft. Er schlüpfte in Hose und Hemd und ging in das obere Geschoß, in Richtung Küche. Er wollte den Großgewinn melden und benötigte den Schein, weil darauf die Nummer der Zentrale angegeben war. In der Küche begrüßte ihn ein Poltern.

„Was machen denn Sie schon hier“, fragte Martin die dunkelhäut­ige Frau. „Na, Sie so fest schlafen, also ich putzen gleich Küche“, antwortete Bozena, seine Haushaltsh­ilfe. Martin schaltete die Kaffeemasc­hine an. Er brauchte eine Tasse seiner seltenen Hochlandmi­schung, die er extra in

BUCHSTABEN­BUND einem Spezialges­chäft bestellen musste. Sein nächster Weg führte ihn zum Kühlschran­k, der verändert wirkte, plötzlich so aufgeräumt und leer. Er öffnete das Gefrierfac­h und sogleich gefror sein Blut in den Adern, bevor es nach dem ersten Schock umgehend in Wallung geriet. „Bozena“, sagte er in scharfem Ton, „haben Sie etwas aus dem Kühlschran­k genommen? Von hier vielleicht?“„No, ich putzen und schmeißen weg die kaputte Sachen, was alles ist abgelaufen.“

Er fasste sie am Kragen, nachdem er den geleerten Mülleimer gesichtet hatte. „Wo haben Sie es weggeworfe­n?“fragte er flehentlic­h. „No, in die Colonia, drunten.“Martin hetzte zum Müllraum, wo er auf seine Nachbarin, Frau Pibil traf. „Was machen Sie da? Das gehört alles mir!“Verwundert sah ihn die Pribil an. „Na, bei Ihna wundert mich eh nix, aber dass Sie jetzt auch so deppert wie der Tumler sind?“, sagte die Alte kopfschütt­elnd. „Wieso, was ist mit dem Tumler?“– „Jauchzend ist er mit einem Mistsacker­l da raus und hat gemeint, das wäre der schönste Tag in sein’ Leben.“

Martin ließ die Frau stehen und läutete Sturm an der Tür des anderen Nachbarn. Ein sichtlich gut gelaunter Tumler öffnete die Tür und Martin erklärte, was ihm abhanden gekommen war. Süffisant grinste Tumler und sagte. „Das ist jetzt Ihr Pech, ich hab endlich ausgesorgt.“

„Aber das war meine Cremissimo­Kiste!“, protestier­te Martin. Tumler machte eine wegwerfend­e Geste. „Und mein Eiskasten ist voll davon.“– „Aber sie riecht nach Knoblauch.“– „Und ich liebe Knoblauch. Sie haben keinen Beweis.“– „Oh doch“, sagte Martin, als er die Nummer der Polizei wählte. Womit glaubt Martin beweisen zu können, dass er der Besitzer der Box mit dem Lottoschei­n ist? Lösung ©er vergŻngene­n Woche: Denk ver©´chtigt ©en P´chter, ©en Einbruch nur vorget´uscht zu hŻben, um ©ie Versicheru­ngssumme zu kŻssieren. Dieser r´umt ©ie Gl´ser un© FlŻschen vom VortŻg hinter ©em Schiebefen­ster weg. W´re jemŻn© ©urch ©Żs Fenster eingestieg­en, könnten ©ie Gl´ser un© FlŻschen ©ort nicht mehr stehen.

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