Die Presse am Sonntag

Verblendet­er Journalist, »blinder« Maler, eitler Kunstbetri­eb

Wolfgang Becker gelingt mit der Verfilmung von »Ich und Kaminski« ein Kunststück: Er trifft den Roman im Kern. Ab Freitag im Kino.

- VON N O R B E R T M AY E R

Der erste Eindruck? Verheerend! Sebastian Zöllner, das gebrochene Ego aus Daniel Kehlmanns kurzem Roman „Ich und Kaminski“, erweist sich von Anfang an bis ins Detail als ignoranter, sich selbst überschätz­ender Drängler. Sein Umgang mit dem Schaffner, mit Passanten oder einer Gastwirtin ist rücksichts­los. Daniel Brühl spielt diesen Unsympathi­schen exzellent. Rasch empfindet man Abneigung gegen ihn, dann Verachtung. Erst mit seinem offensicht­lichen Scheitern kommt beim Zuseher Mitleid auf – und vielleicht sogar ein wenig Selbsterke­nntnis.

Dieser junge Herr, ein Journalist, hat sich auf die Kunstszene spezialisi­ert. Sie interessie­rt ihn offensicht­lich gar nicht so sehr wie der rasche Erfolg. Er ist ein Blender, merkt jedoch nicht, dass viele in seinem Milieu so wie er, gestrickt sind, vor allem sein Gegenspiel­er, der greise Manuel Kaminski, über den er eine Monografie schreiben will. Zöllners Kalkül: Es wird die letzte sein, voller Enthüllung­en. Mit dem Tod des Künstlers sollte sie dessen Revival und vor allem Geld und Ruhm bringen.

Kaminski, den Jesper Christense­n als Sphinx anlegt, stets im Schlafrock und mit dunkel getönter Brille, scheint ebenfalls zu bluffen. Angeblich war er ein Schüler von Matisse, hat Picasso und die New Yorker Pop-Art-Szene, die ihn berühmt machte, gekannt. Durch Zufall gelangte dort ein Bild von ihm wie ein Fremdkörpe­r in eine Ausstellun­g. Ein berühmtere­r Kollege schrieb darunter, dieser Maler sei blind. Schon hatte Kaminski mehr als nur fünfzehn Minuten des Ruhms. Das ist Jahrzehnte her. Bald zog er sich zurück, in die Schweiz, wo er mit seiner Tochter lebt.

Die Vorgeschic­hte erfährt man durch Rückblende­n zu Zöllners Recherchen bei Zeitzeugen, sie enthüllen den eitlen Jahrmarkt der Kunst. Kurze Originalfi­lme der Szene sind darunter. On the road: Jesper Christense­n (links) als Maler Manuel Kaminski und Daniel Brühl als Journalist Sebastian Zöllner. Wer sie kennt, ahnt: Auch das sind Fälschunge­n, diesmal vom Regisseur. Wolfgang Becker hat den blinden Maler offenbar nachträgli­ch eingeblend­et.

Nun aber ist Zöllner kurz vor der Jahrtausen­dwende unterwegs in die Schweiz, drängt sich Kaminski und seinem Kreis auf. Vor allem die Tochter (Amira Casar) blockt den Journalist­en ab. Der aber nutzt ihre kurze Abwesenhei­t, um das Chalet zu durchstöbe­rn, im Keller unbekannte Spätwerke zu entdecken und vor allem Briefe berühmter Männer und Frauen. Er hat auch einen Köder für den Maler, dessen Blindheit er zusehends bezweifelt: Zöllner weiß, wo dessen einstige Geliebte, die vor Jahrzehnte­n spurlos verschwand, lebt. Geraldine Chaplin entzückt im Finale mit simpler Klarheit.

Eine Reise voller Wendungen beginnt, ein Roadmovie von der Schweiz nach Belgien, das nicht durch Aktionismu­s, sondern Charakterz­eichnung begeistert. Diese Übertragun­g reicht an die Raffinesse des Romans heran, nur der Schluss ist ein wenig verkitscht. Wer aber leitet hier wen? Gern lässt man sich von diesem ungleichen Gaunerpaar an der Nase herumführe­n.

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