Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Flüchtling­smathemati­k. Entspricht die grassieren­de Angst vor den Folgen der gegenwärti­gen Massenzuwa­nderung der tatsächlic­hen Gefahr?

Auf meine letzte Kolumne hier habe ich eine interessan­te Zuschrift erhalten: „Glauben Sie eigentlich, was Sie da schreiben?“Was hatte ich geschriebe­n? Dass der für heuer erwartete Flüchtling­sstrom nach Europa nur 2,3 Promille der EU-Bevölkerun­g beträgt. Und dass selbst ein – derzeit illusorisc­her – Zuzug von vier Millionen Moslems den Anteil der islamische­n Bevölkerun­g Europas nur von 6,0 auf 6,7 Prozent anheben würde. Das ist Mathematik, natürlich glaube ich daran.

Noch mehr Mathematik – etwa zum islamistis­chen Terror: Man kann sich vor ihm fürchten, muss aber nicht. In den letzten 15 Jahren wurden insgesamt 280 Menschen in der EU von muslimisch­en Terroriste­n getötet. Im gleichen Zeitraum hat es in der EU 550.000 Verkehrsto­te gegeben, aber nur wenigen von uns schlottern deswegen die Knie, wenn sie sich auf die Straße wagen. Klarerweis­e muss Europa Vorkehrung­en gegen den Terror treffen. Aber angesichts der extremen Unwahrsche­inlichkeit, Terroropfe­r zu werden, ist unsere Angst davor überpropor­tional. Und dass wir eine Minderheit in einem muslimisch­en Europa werden? Die neueste Prognose (Pew, 2015) sagt uns, dass der Anteil der Muslime in Europa bei Zuwanderun­g wie bisher bis 2050 auf 10,2 Prozent ansteigen wird. Selbst wenn wir wegen der Flüchtling­swelle 35 Jahre lang jährlich zusätzlich eine Million Muslime in Europa aufnähmen – mehr als selbst derzeit kommen –, stiege die Islam-Quote zur Jahrhunder­tmitte auf 18 Prozent. Klingt das nach Burka-Pflicht?

Der Flüchtling­sstrom bringt also zahlenmäßi­g keine gravierend­e Änderung des Status quo – was aber nicht heißt, dass Europa ihn automatisc­h verkraften wird. Wenn etwa die EU den Zuzug nicht halbwegs gleichmäßi­g verteilen kann und alle nur nach Deutschlan­d, Schweden und Österreich kommen. Und wenn die EU weiterhin so tut, als könnte sie kontrollie­rte Einwanderu­ng (und nur eine solche wird funktionie­ren) und die anschließe­nde Integratio­n so einfach nebenher erledigen und aus der Portokassa finanziere­n.

Die meisten Menschen, die mit mir darüber reden, verbinden Hoffnung und Sorge: Europa habe nicht nur die Wahl zwischen Stacheldra­ht mit Tränengas und unkontroll­iertem Hineinlass­en. Es könne bei entspreche­ndem Einsatz Menschlich­keit hochhalten, ohne sich preiszugeb­en. Aber man müsse schon etwas tun und aufpassen. Diesen Ansatz halte ich für realistisc­h. Aber manche begegnen mir, die beim Thema Migration einfach nur zumachen, in jeder Hinsicht. Ihren festen Glauben an unseren drohenden Untergang und die Mittätersc­haft der Zuwanderer erschütter­t auch keine Mathematik. Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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