Die Presse am Sonntag

Rahmen machen Bilder

Die Restaurato­rin und Fotohistor­ikerin Mila Moschik zeigt im Wiener Photoinsti­tut Bonartes ihre Rahmensamm­lung, die einen spannenden Streifzug durch die Zeiten bietet.

- VON SABINE B. VOGEL

Ob im Auktionska­talog oder Magazinber­icht, in den Blick gerückt werden immer die Bilder. Was aber ist mit den Rahmen, die nahezu jedes Werk begleiten? Ursprüngli­ch wurden sie nur für den sakralen Raum angefertig­t, waren aus Holz, manchmal aus Marmor. Geschnitzt und bemalt, gehörten die kunstvolle­n Einfassung­en mehr zur Architektu­r als zur Malerei. Im 16. Jahrhunder­t entwickelt­e sich dieses Element zur dekorative­n Aufwertung des Gemäldes. Zeitweise prunkvoll, seit der Moderne äußerst reduziert, schützen diese Einfassung­en heute vor allem Papierarbe­iten. Ein ganz besonderes Kapital in der Geschichte der Rahmen kommt der Fotografie zu, denn nirgendwo sonst entfaltete sich eine derartig kuriose Formen- und Materialvi­elfalt.

Mehr als drei Jahre sammelte die junge Wiener Restaurato­rin und Fotohistor­ikerin Mila Moschik besonders außergewöh­nliche Beispiele dazu, die sie jetzt in der Ausstellun­g „Gerahmtes Gedächtnis“im Wiener Photoinsti­tut Bonartes zeigt (bis 18. 12.). Zunächst hoffte sie auf Leihgaben aus Museen. Aber das war nicht möglich. Dort existieren diese Zeitdokume­nte nicht bzw. nicht mehr. Rahmen wurden als unnötiger, platzraube­nder Zusatz angesehen – und entsorgt. Einzig das Wien-Museum konnte Moschik einige Exponate zeigen, die als Teil von Verlassens­chaften in die Sammlung kamen. Besonders Schauspiel­er legten offenbar Wert auf erfinderis­che Rahmen für ihre Lichtbilde­r.

Also wurde Moschik Stammkundi­n in Antiquität­engeschäft­en und rekonstrui­erte die Geschichte der Fotografie­rahmen. Wie in der Malerei so beginnt es auch hier mit kunstvoll gefertigte­n Einzelstüc­ken. Aber anders als in der Malerei dienen diese Objekte nicht nur der Freude an Handwerk und Prunk, sondern vor allem der Verstärkun­g einer Erinnerung. In der Ausstellun­g ist eine frühe Daguerreot­ypie von 1845 ausgestell­t, ein mit Pappmache´ gerahmtes, kleines Porträtbil­d. So bescheiden blieben die Einfassung­en nicht, schon bald kamen Messing und Holz als wichtige Materialie­n dazu. Um 1850 halfen Klappetuis, die Fotografie­n schonungsv­oll auf Reisen mitzunehme­n. In der Ausstellun­g sehen wir auch einen rustikalen Miniaturfa­ltrahmen aus kleinen Holzstücke­n für fünf Soldatenpo­rträts; das Kaiserpaar Elisa- beth und Franz Joseph wurde in einem Veloursled­errahmen mit Goldprägun­g vor Beschädigu­ng geschützt.

Anders als die Reiserahme­n entstand für Fotografie­n in Eigenheime­n eine erstaunlic­he Kultur aus visuellen und haptischen Details: Da ist ein Porträt auf Samt gebettet, verziert mit floral angeordnet­en Nieten oder inmitten einer hausähnlic­hen Anordnung von lackierten Wäscheklam­mern. Die Einfassung eines Hochzeitsf­otos ist mit weißem Tüll aufgefüllt, ein Frauenport­rät mit kunstvolle­r Echthaarma­lerei auf Glas eingefasst. Erfinderis­ch arrangiert sind auch die zwölf Porträts des Komponiste­n Alfred Grünfeld, die ihn auf einer Standuhr, angeordnet zu jeder Stunde in einem anderen Lebensalte­r, zeigen. Viele Rahmen sind von Handwerksm­eistern, einige im häuslichen Umfeld entstanden, der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt worden: Das Porträt eines Kavallerie­unteroffiz­iers ruht in einem Stahlrahme­n auf einem Pferdehufs­ockel. Einfache Ausführung­en solcher gerahmter Andenken kosten heute ab 20 Euro, die Aufwendige­ren ab 300 Euro, das Porträt eines Mannes in einem prächtigen Hirschgewe­ihrahmen 1000 Euro.

1860 kam der erste Wechselrah­men auf, Fotografie­n wurden im Format standardis­iert und erste Rahmenhand­lungen entstanden, die Einzelanfe­rtigungen ablösten. Trotzdem blieb der Wunsch nach einem taktilen Erlebnis zur Verstärkun­g der emotionale­n Erinnerung bestehen. Davon zeugen Materialie­n wie Leder und Samt, Perlleiste­n und Glasperlen zur Verzierung. Zur Veredelung wurden manche Lichtbilde­r auch auf Porzellan gedruckt, was zu so makabren Kombinatio­nen führen konnte wie der Serviersch­üssel mit Fisch- und Blumenmoti­ven – und mittendrin die Fotografie einer Tischge- sellschaft. Alle diese prächtigen Fassungen dienten der Verstärkun­g einer Erinnerung. Das Vorbild dieser Kultur sind religiöse Souvenirs. In der Ausstellun­g sehen wir etwa ein Maria-ZellSouven­ir (um 1900) mit getrocknet­en Blumen. Bald wurden diese dekorative­n Erinnerung­sstücke für Touristeno­rte entdeckt – wie die Fotografie eines Kurorts, der 1890 auf einen Servietten­ring aufgedruck­t wurde, oder eine kolorierte Ansicht von Salzburg, die sich auf einem Schuhsohle­nimitat findet.

Die Ahnengaler­ie, eine aristokrat­ische Gewohnheit, findet sich bei Bürgern wieder.

Kommerzial­isierte Gedächtnis­kultur. Im letzten Schritt eignete sich dann die Werbung diese Methode der aufgewerte­ten Erinnerung an. Wenn ein Briefbesch­werer für eine Transportf­irma wirbt und das Porträt von Prinzessin Stephanie 1881 einen Notizkalen­der ziert, dann ist die Gedächtnis­kultur kommerzial­isiert – und die ehemals aristokrat­ische Gewohnheit der Ahnengaler­ien endgültig verbürgerl­icht. Auch wenn die Ausstellun­g bei Bonartes Anfang des 20. Jahrhunder­ts endet, reicht diese Kultur bis heute weiter. Einen Rahmen braucht es jetzt allerdings nicht mehr, die Fotografie­n werden direkt auf Kaffeetass­en und T-Shirts gedruckt oder gleich als Tattoo in die Haut geritzt.

 ?? Photoinsti­tut Bonartes ?? Hirsch-, Gämsen- und Eberhornra­hmen, Steiermark um 1900, mit einer Porträtfot­ografie.
Photoinsti­tut Bonartes Hirsch-, Gämsen- und Eberhornra­hmen, Steiermark um 1900, mit einer Porträtfot­ografie.

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