Autobahn-Nomaden im Schlagzeug-Gewitter
Der heftig gehypte Ferdinand Schmalz wirkt etwas epigonal – »dosenfleisch« beeindruckte dennoch.
New York University eine Gastprofessur anbietet. Diese Aufgabe sieht übrigens auch nach mehr aus, als es dann tatsächlich ist, das sind letztlich nur ein paar Nachmittage. Es macht mir einfach Vergnügen, mit Studenten zu arbeiten. Ich will aber, wie man schon bei meinen Frankfurter Poetik-Vorlesungen sehen kann, überhaupt nicht professoral sein. Das Ergebnis dieser Vorlesungen („Kommt, Geister“, 2015, Anm.) war eine Art mäandernder Essay als Roman, eigentlich auch ein Experiment. Wie gehen Sie damit um, dass Ihr Roman „Die Vermessung der Welt“aus dem Jahre 2005 Schullektüre wurde? Ambivalent. Es ist natürlich ehrenvoll. Dass es ein Reclam-Heft gibt, das „Lektüreschlüssel zur ,Vermessung der Welt‘“heißt – wie soll ich das nicht als Ehre empfinden! Ich schaue mir auch öfters die offiziellen Unterrichtsmaterialien an. Manches ist gut gemacht, anderes aber schmerzt, etwa, wenn die Schüler aufgefordert werden, in Tabellen die Eigenschaften von Humboldt und Gauß gegeneinander aufzurechnen. Dabei wird schnell vergessen, dass dieses Buch, in dem Wahres und Unwahres sehr skrupellos vermischt wird, eben gerade eine Parodie solcher Pflege von deutschen Bildungsgütern ist. Was würden Sie für die Schule empfehlen? „Der Herr der Ringe“von J. R. Tolkien. Das ist große und packende Literatur und auch sprachlich sehr komplex. Wenn es um deutsche Klassiker geht, würde ich den unterschätzten Franz Grillparzer empfehlen. Der schrieb unglaublich gute, spannende Stücke. Und von den jungen Amerikanern würde ich Chris Adrian empfehlen, z. B. „The Great Night“(2008), eine modernisierte Nacherzählung von William Shakespeares „Sommernachtstraum“. Das ist echte Aktualisierung eines klassischen Stoffes, ein großer, moderner Roman, den bei uns praktisch niemand kennt. Was sind Ihre mittelfristigen Pläne? Beim Schreiben von „Ich und Kaminski“habe ich schon oft gedacht, dass das eigentlich ein als Roman verkleidetes Theaterstück ist. Das Theater hat mich immer angezogen. Aber die Hauptsache bleibt für mich das Erzählen. Ich glaube, dass der Roman als Form das ist, was ich am besten kann. Ich arbeite gerade wieder an einem größeren Roman, habe aber auch schon ein neues Stück für die Josefstadt geschrieben. Ich mag das Theater einfach, obwohl mir diese Arbeit immer wieder Ärger einbringt.
Daniel Kehlmann
wurde 1975 als Sohn des Regisseurs Michael Kehlmann und der Schauspielerin Dagmar Mettler in München geboren. 1981 zog die Familie nach Wien um. Er studierte hier Philosophie und Germanistik.
Sein Debütroman
1997 veröffentlichte Kehlmann „Beerholms Vorstellung“. Bisher folgten fünf weitere Romane, zwei Dramen, zahlreiche Essays und Vorlesungen sowie Auszeichnungen, unter anderem der Grand Prix du Livre des dirigeants, der Doderer-, Kleist-, Welt-Literatur-, Enquist-, ThomasMann- sowie der Nestroy-Preis.
Die weiteren Romane
„Mahlers Zeit“, „Ich und Kaminski“, „Die Vermessung der Welt“und „F“.
Theaterstücke
„Die Geister in Princeton“sowie „Der Mentor“. Was meinen Sie damit konkret? Zum Beispiel meine Eröffnungsrede zu den Salzburger Festspielen 2009, die im Theatermilieu äußerst kontroversiell aufgenommen wurde – seither weigern sich die meisten deutschen Dramaturgen, meine Stücke auch nur zu lesen –, oder mein Kammerspiel „Der Mentor“. In der Josefstadt gab es vor der Uraufführung 2012 aus Krankheitsgründen eine Umbesetzung in letzter Minute, in Frankfurt hat man später bei einer anderen Inszenierung ohne mein Wissen unzählige billige Pointen der schlimmsten Art reingeschrieben. Ich bin dann still aus der Premiere rausgegangen. Es war einfach so peinlich, dass die Leute denken mussten, diese Kalauer wären von mir. Daraus wurde in den Medien ein lautes Türenschlagen gemacht, und der platte Boulevard-Regisseur wurde von Kulturjournalisten, die sich natürlich keine Sekunde die Mühe gemacht hatten, herauszufinden, was das überhaupt für eine Inszenierung war, zur Avantgarde ernannt, eben nur, weil ich rausgegangen bin. Ich wollte das Stück auch nicht verbieten, wie es kolportiert wurde, nur verbeugen wollte ich mich für etwas, was nicht von mir war, wirklich nicht. Das Dialogische fällt Ihnen anscheinend leicht. Gehen Sie dafür unter die Leute und lauschen, oder entsteht das alles im Kopf und am Schreibtisch? Graham Greene hat gesagt, ein Schriftsteller sei immer auch als Spion unterwegs. Bei mir stimmt das eigentlich nicht. Ich schreibe nicht mit, was Leute um mich reden. Das meiste ist doch Erfindung. Ich erfinde einfach gern. Sie sind berühmt, werden auf der Straße wohl oft erkannt. Wie kann man mit derartigem Ruhm am besten umgehen? Im Grunde gibt es keine vernünftige Art, mit Ruhm umzugehen. Aber für einen Schriftsteller ist das schon wieder interessant. Mich interessieren Situationen, aus denen es keinen Ausweg gibt. Durch die Welt zu gehen und sich berühmt zu fühlen ist lächerlich. Das Beste, was man daraus machen kann, ist, die Situation selbst wieder literarisch zu verarbeiten. Als Ausweg bietet sich überdies an, nicht immer genau dorthin zu gehen, wo man erkannt wird. Deshalb bin ich auch gern in Amerika. Übrigens hat mich das Thema schon vor dem Erfolg beschäftigt. Jemand hat einmal zu mir gesagt, „Ich und Kaminski“ist das Buch, das eigentlich „Ruhm“heißen sollte. Das hat mich verblüfft, weil es wahr ist. „Nachwuchsstar Ferdinand Schmalz serviert mal wieder Vollwertkost: ein Theaterstück mit übermütig-albernen Kalauern, deftig-derben Splatter-Motiven – und durchaus ernster Philosophie“, lobte der „Spiegel“nach der Uraufführung von „dosenfleisch“bei den Berliner Autorentagen heuer im Juni. Seit Freitagabend ist das Stück im Burg-Kasino am Schwarzenbergplatz zu erleben. Wirklich imposant sind: Carina Riedls Inszenierung, das Bühnenbild von Fatima Sonntag, die Wahnsinnsschlagzeugerin Katharina Ernst – und das Ensemble. Raststätte. „wir fahren wie von selbst/ selbstfahrer wir“– auf einer Autobahn in einer gefährlichen Kurve, wo schon viele Unfälle passiert sind: Der Fernfahrer beobachtet einen Lkw, aus dem Konservenfleisch hervorbricht. Die Dame an der Raststation erlebte, wie ihr Elternhaus wegen der Trasse plattgemacht wurde. Der Schadensbegutachter von der Versicherung, der die Strecke studiert, wird abgelenkt – von einer verführerischen Dame mit halb rosa, halb braun gefärbten Haaren, die möglicherweise eine Untote ist. Jedenfalls nimmt die Lovestory zwischen dem jungen Mann und der verlockenden Frau ein äußerst übles Ende . . .
Amerikanische Roadmovies sind als Treiber für die Kunst sehr beliebt. Peter Handke, der Nichtfahrer, hat sich des Öfteren über den allgegenwärtigen Verkehr poetisch ereifert. „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“heißt sein neues Drama, das diese Saison von Claus Peymann am Burgtheater uraufgeführt wurde. Peymann inszenierte auch 1994 im Akademietheater Elfriede Jelineks visionäre „Cos`ı fan tutte“Paraphrase „Raststätte oder Sie machen’s alle“, die sich um die mittlerweile vom Internet unheimlich beflügelte „Aufrisswirtschaft“dreht.
Ferdinand Schmalz, sprachspielerischer Chronist einer Überflussgesellschaft, die allmählich das Ende ihrer Prasserei heraufdämmern sieht, weiß, was er (jungen) Zuschauern mit Bildungsspürnasen schuldig ist. Er kopiert, nimmt Motive bei Handke, Formulierungen von Jelinek („Hier kratzt man entweder die Kurve oder man kratzt ab“), klaut bei Werner Schwab („den leuten wird oft schwindlig, dann steigen sie bei mir aus mit einer übelkeit“) und in der weiteren Weltliteratur, bei Kafka oder Richard Wagner: „Zum Raum wird hier die Zeit“(„Parsifal“). Als sein Eigenstes hat Schmalz, der Landarztsohn aus der Steiermark, der wie viele Landkinder ein besonderes Ohr für Lärm hat, ein filmisches Weltuntergangsszenario anzubieten, eine veritable Apokalypse, die in ihren üppigen Sprachbildern durchaus an Blockbuster aus Hollywood herankommt. An der Reduzierung des Epigonalen muss er aber noch arbeiten.
Das Beste ist die Wortspiele-Litanei („Bremsbelegschaften, Airbagehrte“) gegen Schluss. Auch Sätze wie: „Wir fangen erst dann zu leben an/wenn wir aufhören/zu funktionieren“fahren ein.
Eine lange Percussion-Nummer eröffnet das Spiel. Der Fernfahrer (Daniel Jesch, mager, elegant) rettet sich ermüdet in die Raststation, wo ihn die rothaarige Beate (Dorothee Hartinger) mit schief geschminktem Lippenstift-
Pop und Schnitzeljagd – von Kafka bis Richard Wagner – für neue Bildungsbürger.
mund empfängt. Versicherungsagent Rolf (Tino Hillebrand) flimmert es schon vor den Augen vor lauter Fotos von Verstümmelten. Eine heiße Tanznummer von Jayne (Frida-Lovisa Hamann) bringt Rolf aus dem Konzept. Er verliebt sich in die schräge Dame, die sich ihm aber entzieht. „Kopf: funktioniert, Herz: fehlt“, schrieb der Berliner Tagesspiegel vor einigen Jahren über die Autorentage. Das charmant-kulinarische Element eines Daniel Glattauer ist vielen neuen Autoren fremd. Seltsam, dass zwischen Heiterkeit und Ernst so oft „Apartheid“herrscht.
„Die Welt ist alles, was der Unfall ist“, dieses Zitat Ludwig Wittgensteins ist dem „dosenfleisch“-Text vorangestellt. Aber auch ein Wort von Paulus hat Schmalz, Absolvent des Gymnasiums der Benediktiner in Admont, ausgewählt: „Denn die Gestalt der Welt zerfällt.“Auch wahr. Am Schluss sind die Autobahn-Nomaden samt Autobahn verschwunden. Die Erde ist wieder wüst und leer wie am Anfang.