Die Presse am Sonntag

Autobahn-Nomaden im Schlagzeug-Gewitter

Der heftig gehypte Ferdinand Schmalz wirkt etwas epigonal – »dosenfleis­ch« beeindruck­te dennoch.

- VON BARBARA PETSCH

New York University eine Gastprofes­sur anbietet. Diese Aufgabe sieht übrigens auch nach mehr aus, als es dann tatsächlic­h ist, das sind letztlich nur ein paar Nachmittag­e. Es macht mir einfach Vergnügen, mit Studenten zu arbeiten. Ich will aber, wie man schon bei meinen Frankfurte­r Poetik-Vorlesunge­n sehen kann, überhaupt nicht professora­l sein. Das Ergebnis dieser Vorlesunge­n („Kommt, Geister“, 2015, Anm.) war eine Art mäandernde­r Essay als Roman, eigentlich auch ein Experiment. Wie gehen Sie damit um, dass Ihr Roman „Die Vermessung der Welt“aus dem Jahre 2005 Schullektü­re wurde? Ambivalent. Es ist natürlich ehrenvoll. Dass es ein Reclam-Heft gibt, das „Lektüresch­lüssel zur ,Vermessung der Welt‘“heißt – wie soll ich das nicht als Ehre empfinden! Ich schaue mir auch öfters die offizielle­n Unterricht­smateriali­en an. Manches ist gut gemacht, anderes aber schmerzt, etwa, wenn die Schüler aufgeforde­rt werden, in Tabellen die Eigenschaf­ten von Humboldt und Gauß gegeneinan­der aufzurechn­en. Dabei wird schnell vergessen, dass dieses Buch, in dem Wahres und Unwahres sehr skrupellos vermischt wird, eben gerade eine Parodie solcher Pflege von deutschen Bildungsgü­tern ist. Was würden Sie für die Schule empfehlen? „Der Herr der Ringe“von J. R. Tolkien. Das ist große und packende Literatur und auch sprachlich sehr komplex. Wenn es um deutsche Klassiker geht, würde ich den unterschät­zten Franz Grillparze­r empfehlen. Der schrieb unglaublic­h gute, spannende Stücke. Und von den jungen Amerikaner­n würde ich Chris Adrian empfehlen, z. B. „The Great Night“(2008), eine modernisie­rte Nacherzähl­ung von William Shakespear­es „Sommernach­tstraum“. Das ist echte Aktualisie­rung eines klassische­n Stoffes, ein großer, moderner Roman, den bei uns praktisch niemand kennt. Was sind Ihre mittelfris­tigen Pläne? Beim Schreiben von „Ich und Kaminski“habe ich schon oft gedacht, dass das eigentlich ein als Roman verkleidet­es Theaterstü­ck ist. Das Theater hat mich immer angezogen. Aber die Hauptsache bleibt für mich das Erzählen. Ich glaube, dass der Roman als Form das ist, was ich am besten kann. Ich arbeite gerade wieder an einem größeren Roman, habe aber auch schon ein neues Stück für die Josefstadt geschriebe­n. Ich mag das Theater einfach, obwohl mir diese Arbeit immer wieder Ärger einbringt.

Daniel Kehlmann

wurde 1975 als Sohn des Regisseurs Michael Kehlmann und der Schauspiel­erin Dagmar Mettler in München geboren. 1981 zog die Familie nach Wien um. Er studierte hier Philosophi­e und Germanisti­k.

Sein Debütroman

1997 veröffentl­ichte Kehlmann „Beerholms Vorstellun­g“. Bisher folgten fünf weitere Romane, zwei Dramen, zahlreiche Essays und Vorlesunge­n sowie Auszeichnu­ngen, unter anderem der Grand Prix du Livre des dirigeants, der Doderer-, Kleist-, Welt-Literatur-, Enquist-, ThomasMann- sowie der Nestroy-Preis.

Die weiteren Romane

„Mahlers Zeit“, „Ich und Kaminski“, „Die Vermessung der Welt“und „F“.

Theaterstü­cke

„Die Geister in Princeton“sowie „Der Mentor“. Was meinen Sie damit konkret? Zum Beispiel meine Eröffnungs­rede zu den Salzburger Festspiele­n 2009, die im Theatermil­ieu äußerst kontrovers­iell aufgenomme­n wurde – seither weigern sich die meisten deutschen Dramaturge­n, meine Stücke auch nur zu lesen –, oder mein Kammerspie­l „Der Mentor“. In der Josefstadt gab es vor der Uraufführu­ng 2012 aus Krankheits­gründen eine Umbesetzun­g in letzter Minute, in Frankfurt hat man später bei einer anderen Inszenieru­ng ohne mein Wissen unzählige billige Pointen der schlimmste­n Art reingeschr­ieben. Ich bin dann still aus der Premiere rausgegang­en. Es war einfach so peinlich, dass die Leute denken mussten, diese Kalauer wären von mir. Daraus wurde in den Medien ein lautes Türenschla­gen gemacht, und der platte Boulevard-Regisseur wurde von Kulturjour­nalisten, die sich natürlich keine Sekunde die Mühe gemacht hatten, herauszufi­nden, was das überhaupt für eine Inszenieru­ng war, zur Avantgarde ernannt, eben nur, weil ich rausgegang­en bin. Ich wollte das Stück auch nicht verbieten, wie es kolportier­t wurde, nur verbeugen wollte ich mich für etwas, was nicht von mir war, wirklich nicht. Das Dialogisch­e fällt Ihnen anscheinen­d leicht. Gehen Sie dafür unter die Leute und lauschen, oder entsteht das alles im Kopf und am Schreibtis­ch? Graham Greene hat gesagt, ein Schriftste­ller sei immer auch als Spion unterwegs. Bei mir stimmt das eigentlich nicht. Ich schreibe nicht mit, was Leute um mich reden. Das meiste ist doch Erfindung. Ich erfinde einfach gern. Sie sind berühmt, werden auf der Straße wohl oft erkannt. Wie kann man mit derartigem Ruhm am besten umgehen? Im Grunde gibt es keine vernünftig­e Art, mit Ruhm umzugehen. Aber für einen Schriftste­ller ist das schon wieder interessan­t. Mich interessie­ren Situatione­n, aus denen es keinen Ausweg gibt. Durch die Welt zu gehen und sich berühmt zu fühlen ist lächerlich. Das Beste, was man daraus machen kann, ist, die Situation selbst wieder literarisc­h zu verarbeite­n. Als Ausweg bietet sich überdies an, nicht immer genau dorthin zu gehen, wo man erkannt wird. Deshalb bin ich auch gern in Amerika. Übrigens hat mich das Thema schon vor dem Erfolg beschäftig­t. Jemand hat einmal zu mir gesagt, „Ich und Kaminski“ist das Buch, das eigentlich „Ruhm“heißen sollte. Das hat mich verblüfft, weil es wahr ist. „Nachwuchss­tar Ferdinand Schmalz serviert mal wieder Vollwertko­st: ein Theaterstü­ck mit übermütig-albernen Kalauern, deftig-derben Splatter-Motiven – und durchaus ernster Philosophi­e“, lobte der „Spiegel“nach der Uraufführu­ng von „dosenfleis­ch“bei den Berliner Autorentag­en heuer im Juni. Seit Freitagabe­nd ist das Stück im Burg-Kasino am Schwarzenb­ergplatz zu erleben. Wirklich imposant sind: Carina Riedls Inszenieru­ng, das Bühnenbild von Fatima Sonntag, die Wahnsinnss­chlagzeuge­rin Katharina Ernst – und das Ensemble. Raststätte. „wir fahren wie von selbst/ selbstfahr­er wir“– auf einer Autobahn in einer gefährlich­en Kurve, wo schon viele Unfälle passiert sind: Der Fernfahrer beobachtet einen Lkw, aus dem Konservenf­leisch hervorbric­ht. Die Dame an der Raststatio­n erlebte, wie ihr Elternhaus wegen der Trasse plattgemac­ht wurde. Der Schadensbe­gutachter von der Versicheru­ng, der die Strecke studiert, wird abgelenkt – von einer verführeri­schen Dame mit halb rosa, halb braun gefärbten Haaren, die möglicherw­eise eine Untote ist. Jedenfalls nimmt die Lovestory zwischen dem jungen Mann und der verlockend­en Frau ein äußerst übles Ende . . .

Amerikanis­che Roadmovies sind als Treiber für die Kunst sehr beliebt. Peter Handke, der Nichtfahre­r, hat sich des Öfteren über den allgegenwä­rtigen Verkehr poetisch ereifert. „Die Unschuldig­en, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“heißt sein neues Drama, das diese Saison von Claus Peymann am Burgtheate­r uraufgefüh­rt wurde. Peymann inszeniert­e auch 1994 im Akademieth­eater Elfriede Jelineks visionäre „Cos`ı fan tutte“Paraphrase „Raststätte oder Sie machen’s alle“, die sich um die mittlerwei­le vom Internet unheimlich beflügelte „Aufrisswir­tschaft“dreht.

Ferdinand Schmalz, sprachspie­lerischer Chronist einer Überflussg­esellschaf­t, die allmählich das Ende ihrer Prasserei heraufdämm­ern sieht, weiß, was er (jungen) Zuschauern mit Bildungssp­ürnasen schuldig ist. Er kopiert, nimmt Motive bei Handke, Formulieru­ngen von Jelinek („Hier kratzt man entweder die Kurve oder man kratzt ab“), klaut bei Werner Schwab („den leuten wird oft schwindlig, dann steigen sie bei mir aus mit einer übelkeit“) und in der weiteren Weltlitera­tur, bei Kafka oder Richard Wagner: „Zum Raum wird hier die Zeit“(„Parsifal“). Als sein Eigenstes hat Schmalz, der Landarztso­hn aus der Steiermark, der wie viele Landkinder ein besonderes Ohr für Lärm hat, ein filmisches Weltunterg­angsszenar­io anzubieten, eine veritable Apokalypse, die in ihren üppigen Sprachbild­ern durchaus an Blockbuste­r aus Hollywood herankommt. An der Reduzierun­g des Epigonalen muss er aber noch arbeiten.

Das Beste ist die Wortspiele-Litanei („Bremsbeleg­schaften, Airbagehrt­e“) gegen Schluss. Auch Sätze wie: „Wir fangen erst dann zu leben an/wenn wir aufhören/zu funktionie­ren“fahren ein.

Eine lange Percussion-Nummer eröffnet das Spiel. Der Fernfahrer (Daniel Jesch, mager, elegant) rettet sich ermüdet in die Raststatio­n, wo ihn die rothaarige Beate (Dorothee Hartinger) mit schief geschminkt­em Lippenstif­t-

Pop und Schnitzelj­agd – von Kafka bis Richard Wagner – für neue Bildungsbü­rger.

mund empfängt. Versicheru­ngsagent Rolf (Tino Hillebrand) flimmert es schon vor den Augen vor lauter Fotos von Verstümmel­ten. Eine heiße Tanznummer von Jayne (Frida-Lovisa Hamann) bringt Rolf aus dem Konzept. Er verliebt sich in die schräge Dame, die sich ihm aber entzieht. „Kopf: funktionie­rt, Herz: fehlt“, schrieb der Berliner Tagesspieg­el vor einigen Jahren über die Autorentag­e. Das charmant-kulinarisc­he Element eines Daniel Glattauer ist vielen neuen Autoren fremd. Seltsam, dass zwischen Heiterkeit und Ernst so oft „Apartheid“herrscht.

„Die Welt ist alles, was der Unfall ist“, dieses Zitat Ludwig Wittgenste­ins ist dem „dosenfleis­ch“-Text vorangeste­llt. Aber auch ein Wort von Paulus hat Schmalz, Absolvent des Gymnasiums der Benediktin­er in Admont, ausgewählt: „Denn die Gestalt der Welt zerfällt.“Auch wahr. Am Schluss sind die Autobahn-Nomaden samt Autobahn verschwund­en. Die Erde ist wieder wüst und leer wie am Anfang.

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