Die Presse am Sonntag

»Sehr gespanntes Verhältnis zu Merkel«

Bundeskanz­ler Werner Faymann erklärt seinen Schwenk in der Flüchtling­spolitik, kritisiert die EU-Kommission für Versäumnis­se in der Außengrenz­sicherung und will, dass Lehrer mehr Stunden als bisher arbeiten.

- VON OLIVER PINK

Wolfgang Fellner, Herausgebe­r der Zeitung „Österreich“, hat nach den Attentaten von Brüssel angeregt, darüber zu diskutiere­n, ob der Islam in Europa als solcher nicht verboten werden soll. Was halten Sie davon? Werner Faymann: Religionsf­reiheit einzuschrä­nken wäre Unsinn. Die Religion ist nicht das Problem. Das Problem sind jene extremen Kräfte, die die Religion missbrauch­en. Aber war die Sozialdemo­kratie als säkulare, traditione­ll sogar antiklerik­ale Partei nicht zu nachsichti­g in Bezug auf den Islam und die Grauzone im Übergang zum Islamismus? Religion ist Privatsach­e. Die Sozialdemo­kratie hat immer scharf kritisiert, wenn Religion in der Politik eine Rolle spielt. Man muss auch auf den Islam und dessen radikale Kräfte ein wachsames Auge haben. Die Sozialdemo­kratie muss auch europaweit schärfer unterschei­den zwischen jenen, denen es um die Religion geht, und jenen, denen es um Politik geht, die nichts mit Freiheit, Demokratie und Aufklärung zu tun hat. Dennoch hatte man auch bei der SPÖ stets den Eindruck, dass sie die Stimmen der muslimisch­en Zuwanderer haben möchte und deswegen nicht genau hinsieht – bei den islamische­n Kindergärt­en oder eigenen Kandidaten, die MillˆıGörü¸s nahestehen. Das würde ich überhaupt nicht wollen. Jetzt wurden auch die Kontrollen der Kindergärt­en verstärkt, das war notwendig und dringend geboten. Wie kam jetzt eigentlich Ihr 180-GradSchwen­k in der Flüchtling­spolitik zustande? Das lasse ich nur gelten, wenn man sagt: Die Rahmenbedi­ngungen haben sich um 180 Grad geändert. Ein Rendezvous mit der Realität also. Wenn man eine Straße entlangfäh­rt und eine Kurve kommt und man diese Veränderun­g der Rahmenbedi­ngung nicht zur Kenntnis nimmt, dann fährt man gegen die Mauer. Was hat sich verändert? Wir sind 2015 zu einem Land geworden, durch das eine Million Menschen gegangen sind. Die meisten wollten nach Deutschlan­d, viele hätten aber auch bleiben können. Es hat sich herausgest­ellt, dass eine europäisch­e Lösung, die wir angestrebt haben, so nicht funktionie­rt. Es geht nicht, dass niemand die Außengrenz­en sichert – und auch die Innengrenz­en nicht. Ich sage aber nach wie vor: Die nationale Lösung der Sicherung der Innengrenz­en ist ein Plan B. Das birgt viel mehr Risken als der Plan A – die Außengrenz­en gemeinsam zu sichern. Wir waren keine Wegdrücker, haben im Vorjahr 90.000 Menschen aufgenomme­n und nehmen für die nächsten vier Jahre noch einmal 1,5 Prozent, gemessen an der Bevölkerun­g. Aber wenn heuer wie prognostiz­iert wieder zwei Millionen Menschen durch Österreich durchgehen möchten, von denen möglicherw­eise 400.000 bei uns Asyl wollen, und man als Regierungs­chef die Augen davor verschließ­t, dann ist man fehl am Platz. Hat Köln auch eine Rolle gespielt? Schon, aber mehr in Fragen der Integratio­n. Nicht in der Frage, was Richtwerte oder Grenzsiche­rung betrifft. Und die „Kronen Zeitung“? Nein. „Die Presse“aber auch nicht. Wird der Türkei-Deal funktionie­ren? Die Türkei-Kritiker, zu denen ich mich in bestimmten Fragen ja auch zähle – Meinungsfr­eiheit, Kurden –, sagen jetzt: Und auf so einen Nachbarn verlasst ihr euch? Ja, weil man gemeinsam mit ihm Rückführun­gen besser organisier­en kann als ohne. Weil die Türkei jene, die illegal kommen, zurücknimm­t. Wir werden trotzdem eigene Rückführun­gsabkommen brauchen. Besser wäre: Wir, die Europäisch­e Union. Das wäre Plan A. Parallel muss man – Plan B – das natürlich auch national machen. Die EU-Kommission verhandelt etwa mit Marokko seit 14 Jahren über Rückführun­gsabkommen. Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Angela Merkel derzeit beschreibe­n? Ich habe ein persönlich gutes Verhältnis zu ihr. Aber ein politisch sehr gespanntes. Wenn ein oder zwei Millionen Menschen durch Österreich wollen, kann Deutschlan­d durch seine Grenzabwic­klung relativ einfach einen Rückstau bei uns bewirken. Wir würden zur Pufferzone. Und wir wären auf der Balkanrout­e das erste Land, in dem die Flüchtling­e auch Asyl wollen. Diesen Vorteil, den Angela Merkel hat, uns als Pufferzone zu verwenden, so auszuspiel­en, dass man die Magnetwirk­ung aufrechter­hält, ist europäisch ein Fehler, weil es die Balkanländ­er und andere – etwa Italien als Ausweichro­ute – unter Druck setzt. Und es ist uns gegenüber ausgesproc­hen unfair. Merkels Politik kann dazu führen, dass Ös- terreich Schaden nimmt. Wir wollen aber nicht die Pufferzone für Deutschlan­d sein. Diese politische Deutlichke­it kann man uns ruhig übel nehmen – da bleiben wir konsequent. Was würden Sie sich von Merkel wünschen? Dass sie klar sagt, dass Menschen nicht versuchen sollen, an diversen Grenzen durchzubre­chen und illegale Routen zu nutzen. Dass sie sagt, wie viele sie nehmen will – durch legale Einreise. Wobei man auch das Versagen der EUKommissi­on beklagen muss: Man beschließt Schengen und verabsäumt den Außengrenz­enschutz. Ein Funktionie­ren von Frontex hätte es längst geben müssen. Ich glaube, wir werden da eine Zwischenlö­sung brauchen: ein paar Länder, die das übernehmen. Österreich würde im Rahmen einer EUMission sofort Soldaten bereitstel­len. Schmerzt Sie die Kritik des linken Flügels Ihrer Partei, der Sie ins rechte Eck stellt? Daran darf ich mich nicht orientiere­n. Wer als Regierungs­chef davor zurücksche­ut, innerparte­ilich auch härtere Diskussion­en zu führen, der sollte Opposition­sführer werden. Sind Sie für eine Kürzung der Mindestsic­herung bei Integratio­nsverweige­rung? Ich bin kein Freund von Kürzungen, sondern von Sachleistu­ngen. Wenn wir eine Zahl von Flüchtling­en festlegen, die wir schaffen können, müssen wir auch für die Rahmenbedi­ngungen sorgen: Kindergart­enplätze, Schule, Sprachlehr­er – allein, wenn ich mir anschaue, was da alles fehlt . . . Der Bildungsmi­nisterin fehlen heuer schon wieder 550 Millionen Euro im Budget. Im Schulbudge­t hat man sich vor Jahren darauf geeinigt: Würde man ein neues Dienstrech­t umsetzen und die Stundenzah­l massiv verändern, dann würde das für das Schulbudge­t eine gewisse Entlastung bringen. Das heißt: Erhöhung der Stundenanz­ahl für die Lehrer? Wenn man das macht, dann am besten in einer ganztägige­n gemeinsame­n Schule – plus Ausbau der Schulräuml­ichkeiten. Und einer Entlastung der Lehrer von Verwaltung­saufgaben.

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 ?? Clemens Fabry ?? „Wir wollen nicht die Pufferzone Deutschlan­ds sein. Diese politische Deutlichke­it kann man uns ruhig übel nehmen“: Werner Faymann, Bundeskanz­ler.
Clemens Fabry „Wir wollen nicht die Pufferzone Deutschlan­ds sein. Diese politische Deutlichke­it kann man uns ruhig übel nehmen“: Werner Faymann, Bundeskanz­ler.

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