ALEXANDER REINGOLD
Bürgermeister der schwer zerstörten Stadt Debalzewe in der Ostukraine bearbeitet er keine Pläne mehr, er macht selbst welche. Seine Aufgabe ist es, eine Stadt zu rekonstruieren, die zu 80 Prozent zerstört ist: Debalzewe.
Reingold ist der dritte Bürgermeister der ostukrainischen Stadt innerhalb eines Jahres, ernannt erst Mitte Februar von Oberhaupt Sachartschenko höchstpersönlich. Seine beiden Amtsvorgänger seien aufgestiegen, heißt es hier. Debalzewe ist die Bewährungsprobe für aufstrebende DNR-Funktio- näre, und Reingold lässt keinen Zweifel daran, dass er diese bestehen wird. Besetzt? Befreit? In den Tagen des Jänner und Februar 2015 lieferten sich die ukrainische Armee, die den Ort im Sommer 2014 eingenommen hatte, und die Kämpfer der DNR in und um Debalzewe schwere Gefechte. Mitte Februar, als im weißrussischen Minsk unter internationaler Vermittlung ein Friedensplan samt Waffenruhe beschlossen wurde, wurde in Debalzewe weitergekämpft. Maßgeblich mit Unterstützung durch Einheiten der russischen Armee gelang es den Separatisten schließlich, die Armee aus der Stadt zu verjagen. An die ukrainische Präsenz erinnert heute nur ein Gedenkstein auf dem Hauptplatz neben Reingolds Bürgermeisteramt, der den „Brüdern und Schwestern“gewidmet ist, die ihr Leben im Kampf der Befreiung Debalzewes von den „ukrainischen Strafkommandos“ließen.
Die meisten Bewohner Debalzewes sind heute davon überzeugt, dass es die ukrainische Armee ist, die die Zerstörungen in der Stadt zu verantworten hat. Tatsächlich dürften die prorussischen Kämpfer, die aus dem Umland die Stadt befeuerten, für viele Treffer selbst verantwortlich sein – doch diese Version der Geschichte widerspricht dem DNR-Heldenmythos, der in dem Eisenbahnknotenpunkt gepflegt wird.
In Debalzewe wurde die Republik verteidigt, heißt es heute. Hier wurde Republikschef Alexander Sachartschenko im Kampf verwundet, sodass er auch Monate später nur mit Krücken gehen konnte. Und hier soll, nur sieben Kilometer von der Front entfernt, aus den Trümmern eine neue Musterstadt entstehen, wie Bürgermeister Reingold erklärt. Zunächst muss er aber die nächtliche Beleuchtung und die Müllabfuhr organisieren. Auf Reingolds Habenseite: sechs Schulen, ein Kindergarten, das Krankenhaus, die Pensionskasse, die Eisenbahn.
In die Stadt, die einst 26.000 Einwohner zählte, sind in einem Jahr 17.000 Bürger zurückgekehrt. Fast die Hälfte davon sind Pensionisten. Eine wirtschaftlich starke Bevölkerung ist das nicht. Dennoch will Reingold hier „Bedingungen für komfortables Wohnen“schaffen. „Debalzewe soll sich aus einer kleinen, depressiven Stadt in eine Stadt verwandeln, in der die Menschen nicht nur leben, sondern Geld investie- ren und ihre Zukunft aufbauen wollen“, sagt er. Doch worin? Die Maschinenbaufabrik steht still, Einkünfte bieten nur Eisenbahn und Handel. Viele der Bewohner werden auf längere Sicht von Zuwendungen abhängig sein.
Der größte Posten sind freilich die zerstörten Wohnbauten. 199 von 287 Wohnblocks wurden getroffen, 1160 von 6500 Privathäusern. Auch hier setzt man auf Aktionismus: 41 Privathäuser wurden neu errichtet, weitere sollen folgen. Alexander Sachartschenko hat dem Bewohner eines dieser Häuser, dem 26-jährigen Sascha Lysak, persönlich den Schlüssel übergeben. „Ein großartiger Mensch“, sagt Lysak, der zwar heute arbeitsunfähig, jedoch der DNR zu großem Dank verpflichtet ist. Auch an den von Granaten teilzerstörten Wohnhäusern machen sich Arbeiter zu schaffen: Wo Löcher klaffen, bauen sie aus Ziegeln neue Wände.
Das Prestigeprojekt Debalzewes aber ist ein hellgelbes Gebäude am Ortsrand, auf dem Bauarbeiter AluBlenden auf dem Mauerwerk montiert haben: ein nicht fertiggestelltes Wohnheim aus der Sowjetzeit, in dem nun 40 Apartments für Familien adaptiert werden, die ihre Häuser verloren haben. 80 Prozent der Baumaterialien stammen aus den Hilfstransporten der Russischen Föderation, erklärt Sergej Leonidowitsch, ein patenter 53-Jähriger von der örtlichen Baubehörde, und deutet auf Tapeten, Rohre und Heizkörper. Westliche Hilfsorganisationen sind in der DNR kaum präsent. Aus der Volksrepublik selbst kommen bisher nur Zement und Wellblech.
In der Schlacht von Debalzewe wurde DNR-Chef Sachartschenko verwundet. Arbeiter bauen aus Ziegeln neue Wände und begradigen den Boden.