Die Presse am Sonntag

»Kommt nicht hierher«

Die Zahl der Flüchtling­e, die freiwillig in ihre Heimat zurückkehr­en, steigt. Die Gründe dafür sind vielfältig – meist stehen enttäuscht­e Erwartunge­n und die Vereinigun­g mit der Familie im Mittelpunk­t.

- VON JOHANNES PERTERER

Hodedod Eigr steht am Terminal 1 des Flughafens Wien, er trägt eine Miami-HeatKappe, eine weiße Daunenjack­e und hat ein Flugticket in der Hand – über Istanbul soll es nach Kabul gehen. Von dort aus will er es in den Iran zu seiner Familie schaffen. Vor rund vier Monaten ist der 19-jährige Afghane über die Türkei und die Balkanrout­e nach Österreich geflüchtet. „In Österreich war nichts so, wie ich es mir vorgestell­t habe“, sagt Eigr.

Eigr will zurück. „Ich habe gedacht, dass ich hier studieren, arbeiten und meine Familie nachholen kann,“sagt er, „doch nichts von dem war möglich.“Seine Familie lebt im Iran, auch er hat dort bis zu seiner Flucht gelebt und gehört zur afghanisch­en Minderheit im Land.

Hinter dem Afghanen verteilen Mitarbeite­r des Verein Menschenre­chte Österreich (VMÖ) zwischen 50 und 370 Euro an die freiwillig­en Rückkehrer – je nachdem, wie lang die Flüchtling­e im Land waren und wie ihre finanziell­e Lage ist. Eigr bekommt rund 100 Euro. Die Verpflegun­g und Unterkunft in Österreich seien nicht in Ordnung gewesen, sagt er. Doch am meisten gestört habe ihn, dass er nicht wusste, ob und wann er einen Asylstatus bekommen würde: „Diese Ungewisshe­it macht einen verrückt.“

Auch Farzad Morozis Erwartunge­n wurden enttäuscht. „In meinem Heim gab es nicht einmal warmes Wasser“, sagt er. Der 40-jährige Iraner ist vor drei Monaten über die Balkanrout­e nach Österreich gekommen. Nun steht er kurz vor dem Heimflug nach Teheran. „Im Iran hatte ich circa 1300 Euro monatliche­s Einkommen und ein Haus. Ich habe geglaubt, in Europa ist das Leben viel besser, aber das stimmt nicht“, sagt der gelernte Bäcker. „Ich habe nie gehungert im Iran. Aber ich wollte nach Europa kommen, um noch besser zu leben.“Seine Sachen sind in zwei schwarzen Müllsäcken eingepackt, die er auf einem Flughafent­rolley vor sich her schiebt. „Es gibt zu viele Asylwerber in Österreich“, sagt Morozi. „Nur wenige bekommen schnell einen Status, die meisten müssen jahrelang warten. Das hat mich sehr enttäuscht.“Offiziell läuft sein Asylverfah­ren noch.

Ähnlich ergeht es dem Syrer Ahmad al Awad, der noch ganz am Anfang des Rückkehrpr­ozesses steht. „Ich habe jedem, den ich zu Hause kenne, gesagt, er soll nicht hierher kommen. Ich kann nicht mehr. Ich will zurück nach Hause“, sagt der 20-Jährige. Bei seinem ersten Termin in der Rückkehrhi­lfe der Caritas wird für ihn eine Einreiseer­laubnis für Jordanien beantragt, wo sich seine Familie befindet. Sobald diese vorliegt, wird ihm auf Kosten des Innenminis­teriums ein Flug gebucht. Direkt nach Syrien fliegt mithilfe der Rückkehrbe­ratung niemand, sondern nur in die Nachbarlän­der. Al Awad hofft, binnen zwei Wochen wieder zusammen mit seiner Familie in Syrien zu sein. Doch wie kann jemand in ein Land zurückgehe­n wollen, in dem Krieg herrscht? „Das hat familiäre Gründe“, sagt al Awad. Ähnlich wie Eigr dachte er, er könne nach ein bis zwei Monaten seine Frau und Tochter nachholen. Die Tochter sei erst sechs Monate alt und schwer krank, deshalb müsse er sich um sie kümmern. Frustriert und enttäuscht. Die Rückkehrmo­tive der drei Männer decken sich mit den Erfahrunge­n von Günter Ecker, dem Präsidente­n des Verein Menschenre­chte Österreich (VMÖ), jener Hilfsorgan­isation, die rund 60 Pro- zent der freiwillig­en Rückkehrer im Land von der ersten Beratung bis zum Gate auf dem Flughafen betreut und unterstütz­t. „Es gibt zwei immer wiederkehr­ende Gründe, warum Flüchtling­e freiwillig heimkehren“, sagt Ecker. „Zum einen sind sie frustriert und enttäuscht über die Aufnahmebe­dingungen in den ersten Wochen“, sagt der VMÖ-Präsident. „Zum anderen sind es meist Männer, die allein kommen, weil sie glauben, sie können binnen Monaten ihre Familien nachholen, was aber momentan nicht möglich ist.“ Zurück nach Bagdad. Doch nicht alle freiwillig­en Rückkehrer sind junge Männer mit enttäuscht­en Erwartunge­n: „Österreich ist sehr schön, und die Leute hier haben mich sehr gut behandelt, aber ich muss zurück nach Bagdad“, sagt Farah Mohammed, eine 28-jährige Irakerin. Sie hält ihr zwei Monate altes Kind im Arm und füllt auf dem Flughafen Wien Formulare aus. Währenddes­sen macht ihre vierjährig­e Tochter Turnübunge­n an den Sitzbänken vor dem Check-in. „Wir sind von der Türkei mit einem Schlauchbo­ot auf eine griechisch­e Insel gefahren. Dabei ist mein Mann aus dem Boot und ins Wasser gefallen. Ich dachte, er sei tot. Wochen später hat er mich auf meinem Handy angerufen. Ich konnte es nicht glauben.“Mohammeds Mann konnte sich ihren Angaben zufolge an die türkische Küste retten und fuhr zurück nach Bagdad. Nun habe er ein Lungenödem, also Wasser in der Lunge, sie müsse zurück, um ihn zu pflegen. Sobald er gesund sei, wolle sie wieder nach Österreich kommen.

2015 gab es laut Innenminis­terium 5087 freiwillig­e Rückkehrer. Vor der jüngsten Flüchtling­swelle, die im August 2015 begann, kehrten am meisten Flüchtling­e in den Kosovo, den Irak und nach Serbien zurück. Seitdem sind die Hauptziell­änder der Rückkehrer mit Abstand der Irak, gefolgt von Afghanista­n und dem Iran. Offizielle Zahlen für 2016 gibt es noch keine, doch VMÖ und Caritas geben an, im Jänner und Februar mehr als doppelt so vielen Menschen geholfen zu haben wie im Vergleichs­zeitraum des Vorjahrs.

Der Schluss – mehr Flüchtling­e gleich mehr Rückkehrer – scheint logisch. Christian Fackler von der Caritas Rückkehrhi­lfe sieht allerdings noch einen weiteren Grund: „Bis Sommer 2015 waren die Asylverfah­ren vergleichs­weise schnell. Man konnte innerhalb weniger Wochen einen Status bekommen und die Familie nachholen.“Heute müssten junge männliche Flüchtling­e damit rechnen, ein bis eineinhalb Jahre zu warten, bis sie Asylstatus erlangen und noch länger, bis sie ihre Familien nachholen könnten.

Was passiert mit den Flüchtling­en, sobald sie zurück in ihrer Heimat sind? Zusammen mit der Caritas ist der VMÖ im Auftrag des Bundesinne­nministeri­ums für die Rückkehrhi­lfe verantwort­lich, egal welchen Aufenthalt­sstatus jemand hat – allerdings nur bis zum Flug. Ein paar Tage nach der Ankunft in der Heimat werde noch einmal mit den Klienten telefonier­t, so Ecker vom VMÖ, danach könne man aber nichts mehr für sie tun.

In den Heimatländ­ern kommt die Internatio­nale Organisati­on für Migra- tion (IOM) mit dem Projekt Restart ins Spiel. Das Projekt soll laut IOM zurückgeke­hrten Migranten dabei helfen, sich ein neues Leben in der Heimat aufzubauen. Jene, die nach Tschetsche­nien, Afghanista­n und Pakistan zurückkehr­en, können bei der IOM Unterstütz­ung bei der Reintegrat­ion beantragen.

Wer einen Platz bekommt, erhält 500 Euro als Starthilfe. Wer eine Firma gründet oder ein Geschäft aufmacht, bekommt zusätzlich noch 2500 Euro. Die Laufzeit des Projekts ist bis Ende 2016 angesetzt. Doch schon jetzt geht das Geld aus: Für Afghanen gibt es derzeit keine Plätze mehr, für Rückkehrer nach Pakistan nur noch wenige. Die Zahl der freiwillig­en Rückkehrer steige stark an, obwohl es im Reintegrat­ionsprojek­t kaum mehr Platz gebe, sagt Agata Forys´ von der IOM: „Viele Leute wollen einfach nach Hause. Wie ihre Zukunft dort aussieht, wissen wir in den meisten Fällen nicht.“

Wie kann jemand in ein Land zurückkehr­en wollen, in dem Krieg herrscht?

 ?? Stanislav Jenis ?? Mit dem Flugzeug zurück in die Heimat: Farzad Morozi.
Stanislav Jenis Mit dem Flugzeug zurück in die Heimat: Farzad Morozi.

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