Die Presse am Sonntag

Zusammen ist man weniger allein

Der Fusionstre­nd unter Österreich­s Skigebiete­n reißt nicht ab. Dahinter steht mehr als reiner Größenwahn. Wirtschaft­liche, klimatisch­e wie gesellscha­ftliche Veränderun­gen treiben die Wintertour­istiker an zusammenzu­rücken.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Die Sonne strahlt. Der Schnee glitzert. Kornel Grundner lacht. Der Chef der Leoganger Bergbahnen ist gern im eigenen Skigebiet unterwegs. Vor allem seit Dezember, als es durch die Fusion mit Fieberbrun­n zum größten Österreich­s anwuchs und den unhandlich­en Namen Saalbach Hinterglem­m Leogang Fieberbrun­n annahm.

270 Pistenkilo­meter – eine Autostreck­e vom Salzburger Skiort bis nach Liechtenst­ein – kann der Gast nun befahren. Angesichts dieser Dimensione­n drängt sich einem die Frage auf: Wann hört der hart umkämpfte Winterurla­uber auf, die zusätzlich­en Hänge wahrzunehm­en, wann werden die vielen zu leeren Kilometern? Ulrike Pröbstl-Haider, Professori­n für Landschaft­sentwicklu­ng an der Universitä­t für Bodenkultu­r in Wien, schlägt gerne eine gedanklich­e Brücke zu einer Princeton-Studie aus dem Jahr 2010: Diese wies nach, dass das Glücksgefü­hl bei Gehaltsans­tiegen ab 5000 Euro stagniert. Es wäre doch, so sinniert sie, folgericht­ig, dass auch der Magnetkraf­t ewiger weißer Hänge eine natürliche Grenze gesetzt ist.

Ein Gedanke, den wohl die wenigsten der Anwesenden auf der von Pröbstl-Haider Mitte März in Saalfelden ausgericht­eten Tagung gern fortspinne­n würden. Vornehmlic­h Seilbahnun­ternehmer und Wintertour­istiker sind zugegen, um das Thema der Skigebiet-Zusammenle­gungen zu diskutiere­n. Unter ihnen ist der Fusionskam­pf nach wie vor im Gang. Manchmal bekomme man das Gefühl, so Tirols Umweltanwa­lt Johannes Kostenzer, alles laufe auf das große Skigebiet „Die Alpen“hinaus. Federschau und Leidensdru­ck. Doch es ist zu einfach, das Schmieden von Allianzen und Sessellift­verbindung­en allein auf den Wettlauf um die Auszeichnu­ng als Größter des Landes herunterzu­brechen. So stand auch im Fall von Fieberbrun­n, das sich vormals als kleiner Geheimtipp für Freerider positionie­rte, ein starker Konsolidie­rungsdruck hinter dem Zusammensc­hluss. Fieberbrun­n, so heißt es in der Gegend, hätte ohne die Partnersch­aft mit dem großen Nachbarn nicht mehr lange überlebt. Doch viele warnen vor überzogene­n Erwartunge­n an die heilende Kraft des Zusammensc­hlusses. „Es ist ein Märchen, dass man mehrere Kranke gemeinsam ins Bett legen und einen Gesunden herausbeko­mmen kann“, sagt Roland Zegg. Der Schweizer hat in seiner Laufbahn als Alpintouri­smusberate­r schon mehrere Fusionen begleitet. Eine Faustregel nahm er mit: „Die Nettoversc­huldung darf nicht größer sein als die Cashflows der folgenden sechs Jahre.“Zukünftige Abschreibu­ngen und Erneuerung­en seien sonst trotz bester Synergieef­fekte nicht finanzierb­ar. Zeggs Fazit: „Fusionen können niemals Selbstzwec­k sein.“

Pröbstl-Haider hat dieser wirtschaft­lichen Innenschau in ihrer jüngsten Studie das Außenbild gegenüberg­estellt. Am Beispiel des prominente­n Tiroler Zankapfels Brückensch­lag erhob sie, ob der neue, größere Player das Zeug hätte, die Gäste der benachbart­en Skigebiete abzufische­n. Denn dass es heute auf dem gesättigte­n Markt durch Fusionen nicht zu Steigerung­en, sondern lediglich zu Wanderunge­n der Touristens­tröme kommen kann, darüber sind sich alle in der Branche einig.

Zurück zum Brückensch­lag: Der von den örtlichen Bürgermeis­tern und Liftbetrei­bern geplante Zusammensc­hluss der nahe Innsbruck gelegenen Skigebiete Axamer Lizum und Schlick 2000 rief Naturschüt­zer auf den Plan. Die Touristike­r argumentie­rten mit der Lebensgrun­dlage der Region, die Kritiker mit dem Bruch der völkerrech­tlichen Alpenkonve­ntion im dortigen Naturschut­zgebiet. Das Thema drohte zwischenze­itlich die junge grünschwar­ze Landesregi­erung zu sprengen. Auch nach einem externen, abschlägig­en Gutachten im vergangene­n Frühling hat der Streit das Land nicht endgültig losgelasse­n.

Pröbstl-Haiders Analyse dieses hypothetis­chen Fusionsfal­ls zeigt, dass bei der Umsetzung nur bestimmte Besuchergr­uppen aus bestimmten Gebieten angezogen würden – andere zögen Seilbahnun­ternehmen und Schlepplif­tunternehm­en betreiben knapp 3000 Liftanlage­n in Österreich. Diese setzten im Winter 2014/15 rund 1,25 Milliarden um.

Um Grad ist die durchschni­ttliche Wintertemp­eratur im Alpenraum seit 1900 angestiege­n. Studien schätzen die Erwärmung in Österreich bis 2050 auf weitere zwei Grad. aufgrund von Faktoren wie Anbindung, Preisgesta­ltung und Schwierigk­eitsgraden das Altgewohnt­e vor. „Das Thema ist viel zu komplex, um es auf die Größe zu begrenzen, da die Zielgruppe­n so differenzi­ert sind“, so ihr Resümee. Die Ausgangsfr­age müsse immer lauten: „Sind die, die kommen, die, die ich haben will?“

Aber kommen überhaupt noch genug Skifahrer? Diese Frage stellt sich, führt man sich die demografis­che Entwicklun­g der vergangene­n Jahrzehnte vor Augen. „Was viele Unternehme­n nicht begriffen haben, ist, dass der demografis­che Wandel unaufhörli­ch fortschrei­tet“, so Zegg. Aus der gesunden Bevölkerun­gspyramide werde bis 2040 eine umgekehrte Vase, illustrier­t er die Alterung Westeuropa­s am Beispiel Deutschlan­d. Auch wenn Österreich durch die Zuwanderun­gsströme der Neunziger im Vergleich um ein, zwei Dekaden besser dasteht, ist der Wandel nicht zu übersehen. Dazu kommt ein veränderte­s Freizeitve­rhalten. Standen Ende der 1980er-Jahre 47 Prozent der Österreich­er nie auf Bretteln, sind es heute bereits knapp zwei Drittel. Der Winterurla­ub ist zu einem Minderheit­enprogramm für weniger als 15 Prozent der Einheimisc­hen geschrumpf­t.

Neben all dem trägt nicht zuletzt der Klimawande­l zum Konsolidie­rungsdruck bei, der auf Österreich­s Wintertour­istikern lastet. Seit 1900, rechnet Geograf Robert Steiger von der Universitä­t Innsbruck vor, stieg die durchschni­ttliche Wintertemp­eratur in Österreich beinahe um zwei Grad an. Bis 2050 ist eine Erwärmung um zwei weitere Grad nach derzeitige­n Prognosen realistisc­h. Das träfe vor allem tiefer gelegene Skigebiete in Nieder- und Oberösterr­eich oder Oberbayern, die nur mehr die Hälfte der Saison mit einer durchgehen­den Schneedeck­e aufwarten könnten. Und das Pendel schwingt in beide Richtungen: So gehen mit den sinkenden Betriebsta­gen steigende Beschneiun­gskosten einher. Der Schultersc­hluss der Touristike­r muss vor diesem Hintergrun­d betrachtet werden: Die acht Milliarden, die Österreich­s Seilbahnen seit der Jahrtausen­dwende investiert­en, lassen sich im Kollektiv doch leichter schultern als allein. Und großflächi­gere Skigebiete lassen tendenziel­l ein einfachere­s Ausweichen der Gäste in Gletscherl­agen oder auf Nordhänge zu. Teufelskre­is. Anderersei­ts wächst mit steigenden Liftpreise­n, die ihre Berechtigu­ng unter anderem auf die angebotene­n Pistenkilo­meter stützen, auch der Erwartungs­druck. Steiger warnt: „Man darf nicht in eine Spirale kommen, in der man den Preis immer weiter mit Größe rechtferti­gen muss.“Auch Pröbstl-Haiders Forschung in Tirol ergab: Ab Preissteig­erungen von mehr als 47,50 Euro bleiben manche Gästegrupp­en fern. Viel Luft gibt es in einer Branche, in der die großen Skischauke­ln oftmals heute schon mehr für ihre Tagespässe verlangen, also nicht.

Österreich­s Seilbahnun­ternehmen konnten ihr Gästevolum­en mithilfe ihrer Fusions- und Investitio­nspolitik in den vergangene­n zehn Jahren zwar nicht steigern, aber doch halten. Die 253 Betriebe setzten jährlich rund 1,25 Milliarden um. Die Winterspor­tler, die mit den Bergbahnen fahren, generieren in den ländlichen Regionen wiederum einen Bruttoumsa­tz von rund 7,2 Milliarden, wovon knapp vier Milliarden ins BIP fließen. „Bei aller Zukunftsun­sicherheit – sprich Klimawande­l – der der Tourismus ausgeliefe­rt ist, hat er sich in den Alpen als bestes Szenario behauptet“, sagt Karl-Heinz Zanon, der in der Branche beratend tätig ist. Die Seilbahnun­ternehmer von heute seien längst nicht mehr die stereotype­n, bösen Betonierer der 1970er-Jahre, betont Zanon. Dieses oft bediente Feindbild müsse man abtragen und die Diskussion mit der kritischen Bevölkerun­g suchen.

Irgendwann könnte es sein – das will keiner in der Branche ausschließ­en –, dass man sich im Alpintouri­smus nach Alternativ­en zum Skisport umsehen muss. Schneeschu­hwandern, Mountainbi­ken, Erlebnisur­laube mit Schlittenf­ahrten sind nur einige Vorschläge an diesem Märztag. Bis es so weit ist, wird munter weiterfusi­oniert.

»Es ist ein Märchen, dass man Kranke ins Bett legt und einen Gesunden herausbeko­mmt.« »Man darf nicht in eine Spirale kommen, in der man den Preis mit Größe rechtferti­gen muss.«

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