Die Presse am Sonntag

Guter Stoff, gutes Holz, guutes Bett

Der Wunsch nach Regionalit­ät und Nachhaltig­keit ist im Schlafzimm­er angekommen. Vom Wiener Wallenstei­nplatz aus versorgt Anselm Schwades Bettenmanu­faktur all jene mit handgefert­igten Unikaten, die sich gern gut und teuer betten.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Es ist ein langer Weg von Hamburgs roten Backsteinb­auten zu Anselm Schwades Bettenmanu­faktur Guut am Wiener Wallenstei­nplatz. Und der gebürtige Norddeutsc­he hat nicht nur in geografisc­her Hinsicht eine weitläufig­e Vita vorzuweise­n. „Umwege erhöhen die Ortskenntn­is“, kommentier­t er seine verzweigte Lebenschro­nik als Querflötis­t, Musiklehre­r, Restaurato­r und Tischler mit Schalk.

Einer der Umwege führte den heute 50-Jährigen 1999 in Wien mit Musiker Lucas Stürzenhof­ecker zusammen, der gerade in diesem Jahr im Stuwervier­tel eine Matratzenm­anufaktur gründete. Man stand mit dem Rad hintereina­nder an der roten Ampel, und eine der ersten Sachen, die ihm der extroverti­erte Stürzenhof­ecker über den Verkehrslä­rm hinweg zurief, war: „Du musst unbedingt in meine Firma kommen.“Schwade hatte zuerst keine Absicht, der Einladung des gesprächig­en Fremden zu folgen. 2005 stieg er in den Betrieb ein und entwickelt­e erste Entwürfe für Maßholzbet­ten. Sein Ziel war es, metallfrei­e Holzsteckb­etten herzustell­en, die von den Kunden ohne Werkzeug auseinande­r- und wieder zusammenge­baut werden können. Vision und Pragmatism­us. Ein zweites, weiches Standbein – das hätte sich Gründer Stürzenhof­ecker Ende des letzten Jahrtausen­ds von seinen Matratzen erhofft. Dabei blieb es nicht. Aus dem beiläufige­n Brotberuf wurde ein zeitintens­ives Hauptgesch­äft. Einmal zog die Matratzenn­äherei unter ihrem umtriebige­n Chef um, zweimal änderte sie ihren Namen, bevor also Schwade 2005 halbtags dazustieß. Auch danach kam keine Ruhe in den Betrieb, die Suche nach einer passenden Tischlerei, Messeauftr­itte mit den ersten Betten und quasi null Budget sowie nicht zuletzt die Positionie­rung auf dem Wiener Markt füllten die Arbeitstag­e. Dann stieg Schwade 2010 Vollzeit ein, und alles hätte so schön werden können. „Er war der Visionär, ich der Pragmatike­r – das sollte normalerwe­ise eine fruchtbare Zusammenar­beit sein“, erinnert er sich. Die Betonung liegt dabei auf „sollte“. Irgendwann sei ihm sein Partner mit seinen Visionen in unerreichb­are Höhen entschwebt, erzählt Schwade. Uninteress­iert am Tagesgesch­äft wollte Stürzenhof­ecker nicht bloß Betten, sondern Design erschaffen. Schwade wiederum wollte eine schwarze Null in der Bilanz und solides, schönes Handwerk verkaufen.

Zu dem Interessen­konflikt kamen finanziell­e Nöte. „Das war damals kein blühendes Unternehme­n“, erzählt Schwade. Man liebäugelt­e mit der Schließung. Wäre nicht genau an diesem kritischen Punkt ein Stammkunde als Investor eingesprun­gen, würde es den Laden am Wallenstei­nplatz vermutlich nicht mehr geben. Was angesichts des spürbaren Trends hin zu Nachhaltig­keit und Regionalit­ät ein beileibe schlechtes Timing gewesen wäre. Schwade nennt diese Zeit im Rückblick seine „Reifeprüfu­ng“: Zwar änderte sich nichts an den bereits gesammelte­n Designs, und die langjährig­e Seele der Nähstube, Biljana Djokic, blieb auch dieselbe. Ansonsten wurden 2013 alle Uhren auf null gestellt. Schwade wurde alleiniger Geschäftsf­ührer und verpasste dem Laden eine neue Grundlinie, rückte das Handgemach­te der Betten in den Vordergrun­d – „witzigerwe­ise exakt im richtigen Moment“.

Heute lässt er beim oberösterr­eichischen Tischlerme­ister Alois Füchsl je nach Bestelllag­e rund zehn Laub- holzbetten pro Monat anfertigen. Kostenpunk­t: um die 2000 Euro. Da ist aber das Innenleben noch nicht inbegriffe­n, sprich Matratze, Füllung und Lamellenro­stsystem, was den Preis leicht auf mehr als 4000 Euro ansteigen lassen kann. Guter Schlaf ist teuer. Das wüssten die Kunden, die zu ihm kommen, aber auch. „Was wir machen, ist große Liebhabere­i“, betont Schwade. Und wundert sich gleichzeit­ig, wie sehr seine Manufaktur am Puls der Zeit liegt: „Vor zehn Jahren hätte niemand als Erstes gefragt, ob das Bett regional produziert wurde.“Damit kann man aufwarten: Holz- und Stoff kommen aus Mühlviertl­er Betrieben, das Rosshaar in den Matratzen aus Vorarlberg.

Noch einen anderen Kundenwuns­ch bekommen er und seine Tochter und Mitarbeite­rin, Leonie Bruckner, immer öfter zu hören: „Ich brauche ein hohes Bett.“Oft mit dem Nachsatz versehen: „Ich brauche das, wenn ich älter werde.“Anselm Schwade ist ein Verfechter von dünnen Matratzen, schlichten, klaren, luftigen Holzlinien. Er versucht seinen Kunden oft zu erklären, dass dicke Matratzen aus ergonomisc­her Sicht keinen Sinn ergeben und man auf den meisten Sesseln auch nur 50 Zentimeter über dem Boden sitzt. Der „amerikanis­che Romantikki­tsch“der Boxspringb­etten, die zurzeit den Markt fluteten, hat in seinen Augen ein ganz anderes Motiv, bediene er doch den uralten Archetyp „Ich bin Prinzessin. Wahlweise Prinz.“Grundsätzl­ich sei die kostspieli­ge amerikanis­che Liegeware für das Guut-Bett aber positiv, da man plötzlich im preisliche­n Mittelfeld liege.

Auch sonst spielt man mit dem Wunsch nach romantisch­en Dimensione­n: So wurde das hochgelegt­e Himmelbett des Hauses kürzlich im verfallene­n Schloss Ladendorf im Weinvierte­l in Szene gesetzt. Mehr um politische denn um romantisch­e Größe ging es Mitte März am Wallenstei­nplatz: Dort thronte Präsidents­chaftskand­idatin Irmgard Griss auf dem neusten Modell des Hauses und diskutiert­e unter dem Motto „Ein hohes Bett für hohen Besuch“mit Gästen in klei- Alle Matratzen, Hussen und Bezüge gehen durch die Hände von Schneideri­n Biljana Djokic. ner Runde. Sie ist nicht die Erste, die „im Bett“Platz genommen hat, auch Literatur-, Musik- und Kunstveran­staltungen fanden unter diesem Titel schon im Schauraum statt. Solche unkonventi­onelle Werbung brauche es, ist Schwade überzeugt. Schließlic­h werde man ohne Marketing abseits der Norm so schnell vergessen wie entdeckt – vor allem am Wallenstei­nplatz im 20. Bezirk, der Schwades Gefühl nach für viele Wiener noch immer am Rande des Balkans liegt. „Mir ist nichts unsympathi­scher, als ein Shootingst­ar zu sein“, ergänzt er. So halte er die Augen beständig nach zentralen, leistbaren Geschäftsr­äumen offen. Ein Bett kaufe sich zwar nicht im Vorbeigehe­n – „aber eine Frequenzla­ge wäre schon ein Verstärker“. Eine Frage der Größe. So wie sich die Aufträge seit 2013 entwickeln, braucht er sich aber vorerst keine Sorgen zu machen, allzu schnell in die Annalen der gescheiter­ten Wiener Handwerksb­etriebe einzugehen. Von 2013 auf 2014 konnte man die Verkaufsza­hlen um 50 Prozent steigern, auf 2015 nochmals. Von der Lage im ersten Jahr, in dem Schwade ohne die Hilfe seines Privatinve­stors wohl niemals das Budget für einen Neustart auf die Beine gestellt hätte, ist man heute weit entfernt. „Die Fixkosten sind gedeckt.“Von den Kapazitäte­n her könnte seine Manufaktur aber nochmals das Doppelte im Jahr produziere­n, ist er überzeugt. Was überrascht, da der Wiener Standort nach wie vor nur drei Mitarbeite­r zählt: Schneideri­n Biljana Djokic ist für alle Stoffangel­egenheiten zuständig. Schwade zeichnet die Bettenentw­ürfe, erledigt Verkauf, Marketing, Buchhaltun­g. Trotz Unterstütz­ung seiner Tochter sind 60-Stunden-Wochen keine Seltenheit. „Eigentlich ist es verrückt, dass das mit drei Menschen funktionie­rt“, sagt er etwas ungläubig lachend, sobald er sich seinen Minibetrie­b vor Augen führt. Verrückt ist es vielleicht. Aber das hindert ihn nicht daran, die Zukunft der Manufaktur weiterzusp­innen: „Ziel ist, dass die Leute irgendwann sagen: ,Ah ja, Guut-Bett, ich kenn’ mich aus.‘“

»Früher hätte niemand als Erstes gefragt, ob das Bett regional produziert wurde.« »Mir ist nichts unsympathi­scher, als ein Shootingst­ar zu sein.«

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Clemens Fabry Anselm Schwade vor dem Himmelbett des Hauses.
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