Guter Stoff, gutes Holz, guutes Bett
Der Wunsch nach Regionalität und Nachhaltigkeit ist im Schlafzimmer angekommen. Vom Wiener Wallensteinplatz aus versorgt Anselm Schwades Bettenmanufaktur all jene mit handgefertigten Unikaten, die sich gern gut und teuer betten.
Es ist ein langer Weg von Hamburgs roten Backsteinbauten zu Anselm Schwades Bettenmanufaktur Guut am Wiener Wallensteinplatz. Und der gebürtige Norddeutsche hat nicht nur in geografischer Hinsicht eine weitläufige Vita vorzuweisen. „Umwege erhöhen die Ortskenntnis“, kommentiert er seine verzweigte Lebenschronik als Querflötist, Musiklehrer, Restaurator und Tischler mit Schalk.
Einer der Umwege führte den heute 50-Jährigen 1999 in Wien mit Musiker Lucas Stürzenhofecker zusammen, der gerade in diesem Jahr im Stuwerviertel eine Matratzenmanufaktur gründete. Man stand mit dem Rad hintereinander an der roten Ampel, und eine der ersten Sachen, die ihm der extrovertierte Stürzenhofecker über den Verkehrslärm hinweg zurief, war: „Du musst unbedingt in meine Firma kommen.“Schwade hatte zuerst keine Absicht, der Einladung des gesprächigen Fremden zu folgen. 2005 stieg er in den Betrieb ein und entwickelte erste Entwürfe für Maßholzbetten. Sein Ziel war es, metallfreie Holzsteckbetten herzustellen, die von den Kunden ohne Werkzeug auseinander- und wieder zusammengebaut werden können. Vision und Pragmatismus. Ein zweites, weiches Standbein – das hätte sich Gründer Stürzenhofecker Ende des letzten Jahrtausends von seinen Matratzen erhofft. Dabei blieb es nicht. Aus dem beiläufigen Brotberuf wurde ein zeitintensives Hauptgeschäft. Einmal zog die Matratzennäherei unter ihrem umtriebigen Chef um, zweimal änderte sie ihren Namen, bevor also Schwade 2005 halbtags dazustieß. Auch danach kam keine Ruhe in den Betrieb, die Suche nach einer passenden Tischlerei, Messeauftritte mit den ersten Betten und quasi null Budget sowie nicht zuletzt die Positionierung auf dem Wiener Markt füllten die Arbeitstage. Dann stieg Schwade 2010 Vollzeit ein, und alles hätte so schön werden können. „Er war der Visionär, ich der Pragmatiker – das sollte normalerweise eine fruchtbare Zusammenarbeit sein“, erinnert er sich. Die Betonung liegt dabei auf „sollte“. Irgendwann sei ihm sein Partner mit seinen Visionen in unerreichbare Höhen entschwebt, erzählt Schwade. Uninteressiert am Tagesgeschäft wollte Stürzenhofecker nicht bloß Betten, sondern Design erschaffen. Schwade wiederum wollte eine schwarze Null in der Bilanz und solides, schönes Handwerk verkaufen.
Zu dem Interessenkonflikt kamen finanzielle Nöte. „Das war damals kein blühendes Unternehmen“, erzählt Schwade. Man liebäugelte mit der Schließung. Wäre nicht genau an diesem kritischen Punkt ein Stammkunde als Investor eingesprungen, würde es den Laden am Wallensteinplatz vermutlich nicht mehr geben. Was angesichts des spürbaren Trends hin zu Nachhaltigkeit und Regionalität ein beileibe schlechtes Timing gewesen wäre. Schwade nennt diese Zeit im Rückblick seine „Reifeprüfung“: Zwar änderte sich nichts an den bereits gesammelten Designs, und die langjährige Seele der Nähstube, Biljana Djokic, blieb auch dieselbe. Ansonsten wurden 2013 alle Uhren auf null gestellt. Schwade wurde alleiniger Geschäftsführer und verpasste dem Laden eine neue Grundlinie, rückte das Handgemachte der Betten in den Vordergrund – „witzigerweise exakt im richtigen Moment“.
Heute lässt er beim oberösterreichischen Tischlermeister Alois Füchsl je nach Bestelllage rund zehn Laub- holzbetten pro Monat anfertigen. Kostenpunkt: um die 2000 Euro. Da ist aber das Innenleben noch nicht inbegriffen, sprich Matratze, Füllung und Lamellenrostsystem, was den Preis leicht auf mehr als 4000 Euro ansteigen lassen kann. Guter Schlaf ist teuer. Das wüssten die Kunden, die zu ihm kommen, aber auch. „Was wir machen, ist große Liebhaberei“, betont Schwade. Und wundert sich gleichzeitig, wie sehr seine Manufaktur am Puls der Zeit liegt: „Vor zehn Jahren hätte niemand als Erstes gefragt, ob das Bett regional produziert wurde.“Damit kann man aufwarten: Holz- und Stoff kommen aus Mühlviertler Betrieben, das Rosshaar in den Matratzen aus Vorarlberg.
Noch einen anderen Kundenwunsch bekommen er und seine Tochter und Mitarbeiterin, Leonie Bruckner, immer öfter zu hören: „Ich brauche ein hohes Bett.“Oft mit dem Nachsatz versehen: „Ich brauche das, wenn ich älter werde.“Anselm Schwade ist ein Verfechter von dünnen Matratzen, schlichten, klaren, luftigen Holzlinien. Er versucht seinen Kunden oft zu erklären, dass dicke Matratzen aus ergonomischer Sicht keinen Sinn ergeben und man auf den meisten Sesseln auch nur 50 Zentimeter über dem Boden sitzt. Der „amerikanische Romantikkitsch“der Boxspringbetten, die zurzeit den Markt fluteten, hat in seinen Augen ein ganz anderes Motiv, bediene er doch den uralten Archetyp „Ich bin Prinzessin. Wahlweise Prinz.“Grundsätzlich sei die kostspielige amerikanische Liegeware für das Guut-Bett aber positiv, da man plötzlich im preislichen Mittelfeld liege.
Auch sonst spielt man mit dem Wunsch nach romantischen Dimensionen: So wurde das hochgelegte Himmelbett des Hauses kürzlich im verfallenen Schloss Ladendorf im Weinviertel in Szene gesetzt. Mehr um politische denn um romantische Größe ging es Mitte März am Wallensteinplatz: Dort thronte Präsidentschaftskandidatin Irmgard Griss auf dem neusten Modell des Hauses und diskutierte unter dem Motto „Ein hohes Bett für hohen Besuch“mit Gästen in klei- Alle Matratzen, Hussen und Bezüge gehen durch die Hände von Schneiderin Biljana Djokic. ner Runde. Sie ist nicht die Erste, die „im Bett“Platz genommen hat, auch Literatur-, Musik- und Kunstveranstaltungen fanden unter diesem Titel schon im Schauraum statt. Solche unkonventionelle Werbung brauche es, ist Schwade überzeugt. Schließlich werde man ohne Marketing abseits der Norm so schnell vergessen wie entdeckt – vor allem am Wallensteinplatz im 20. Bezirk, der Schwades Gefühl nach für viele Wiener noch immer am Rande des Balkans liegt. „Mir ist nichts unsympathischer, als ein Shootingstar zu sein“, ergänzt er. So halte er die Augen beständig nach zentralen, leistbaren Geschäftsräumen offen. Ein Bett kaufe sich zwar nicht im Vorbeigehen – „aber eine Frequenzlage wäre schon ein Verstärker“. Eine Frage der Größe. So wie sich die Aufträge seit 2013 entwickeln, braucht er sich aber vorerst keine Sorgen zu machen, allzu schnell in die Annalen der gescheiterten Wiener Handwerksbetriebe einzugehen. Von 2013 auf 2014 konnte man die Verkaufszahlen um 50 Prozent steigern, auf 2015 nochmals. Von der Lage im ersten Jahr, in dem Schwade ohne die Hilfe seines Privatinvestors wohl niemals das Budget für einen Neustart auf die Beine gestellt hätte, ist man heute weit entfernt. „Die Fixkosten sind gedeckt.“Von den Kapazitäten her könnte seine Manufaktur aber nochmals das Doppelte im Jahr produzieren, ist er überzeugt. Was überrascht, da der Wiener Standort nach wie vor nur drei Mitarbeiter zählt: Schneiderin Biljana Djokic ist für alle Stoffangelegenheiten zuständig. Schwade zeichnet die Bettenentwürfe, erledigt Verkauf, Marketing, Buchhaltung. Trotz Unterstützung seiner Tochter sind 60-Stunden-Wochen keine Seltenheit. „Eigentlich ist es verrückt, dass das mit drei Menschen funktioniert“, sagt er etwas ungläubig lachend, sobald er sich seinen Minibetrieb vor Augen führt. Verrückt ist es vielleicht. Aber das hindert ihn nicht daran, die Zukunft der Manufaktur weiterzuspinnen: „Ziel ist, dass die Leute irgendwann sagen: ,Ah ja, Guut-Bett, ich kenn’ mich aus.‘“
»Früher hätte niemand als Erstes gefragt, ob das Bett regional produziert wurde.« »Mir ist nichts unsympathischer, als ein Shootingstar zu sein.«