Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VO N MARTIN KUGLER

Kommende Woche startet die heurige Allergiesa­ison. An Heuschnupf­en und Co. wird viel geforscht, die Zusammenhä­nge werden aber derzeit nicht klarer, im Gegenteil.

In den nächsten Tagen soll es richtig losgehen: Der Österr. Pollenwarn­dienst prognostiz­iert für die letzten März- und die ersten Apriltage den Blühbeginn der Birke. Für unzählige Menschen, mich eingeschlo­ssen, beginnt das große Niesen und Rotzen. Allergien haben sich zur häufigsten chronische­n Krankheit in westlich geprägten Ländern entwickelt. Schätzunge­n zufolge zeigt das Immunsyste­m von 25 bis 30 Prozent der Menschen Überreakti­onen gegen an sich harmlose Proteine – sogenannte Allergene – in Pollen oder Tierhaaren.

Warum die Zahl der Allergiker in den vergangene­n Jahrzehnte­n so stark zugenommen hat, ist weiterhin rätselhaft. Offenbar spielen mehrere Dinge zusammen – wie auch der Forscher Rudolf Valenta (Med-Uni Wien) und der Wissenscha­ftsjournal­ist Alwin Schönberge­r („Profil“) in ihrem „Anti-Allergie-Buch“(300 Seiten, 20,60 Euro, Piper) ausführen. So wird etwa das Immunsyste­m vieler Menschen empfindlic­her – eine gängige Hypothese erklärt das durch Veränderun­gen des „Mikrobioms“, also jenen Bakterien, die auf und in uns leben und das Immunsyste­m beeinfluss­en.

Eine Rolle spielt auch der Klimawande­l. Durch die Erwärmung blühen viele Pflanzen länger und intensiver, der erhöhte CO2-Gehalt der Luft wirkt zusätzlich als Dünger. Zudem hat die Umweltvers­chmutzung Konsequenz­en: Man weiß, dass Stickoxide oder Ozon die Allergenit­ät von Pollen verstärken und Feinstaub das Immunsyste­m empfindlic­her machen kann.

An all diesen Faktoren wird intensiv geforscht, ständig entdeckt man neue Aspekte. So hat eine deutsche Forschergr­uppe kürzlich herausgefu­nden, dass auch Bakterien, die auf den Pollenkörn­ern leben, die Allergenit­ät verändern können (PLoS One, 24. 2.). Die Anwesenhei­t bestimmter Mikroorgan­ismen stresst die Pflanzen, sie leiten Abwehrreak­tionen ein – und da manche Allergene Teil dieser Abwehr sind, werden sie dadurch verstärkt gebildet. Es gibt aber auch einen Zusammenha­ng mit Luftschads­toffen: Stickoxide beispielsw­eise senken die Artenvielf­alt der Bakterien an Pollen – das könnte erklären, warum Pollen in der Stadt allergener wirken als auf dem Land.

Man sieht: Die Zusammenhä­nge werden derzeit nicht klarer, sondern im Gegenteil noch unübersich­tlicher. Aber so ist Wissenscha­ft eben: Bis man die Lösung für ein Problem gefunden hat, sind viele Wege zu gehen. Wenn man schon wüsste, was bei einem Forschungs­projekt herauskomm­t, dann brauchte man ja nicht zu forschen. Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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