Die Presse am Sonntag

»Ich kann es nicht jedem recht machen«

Teamchef Marcel Koller spricht zweieinhal­b Monate vor Anpfiff der EM 2016 über Stress, Sorgen und die von ihm aufgestell­ten Spielregel­n. Und er erklärt, wie die Wohlfühloa­se Nationalte­am entstehen konnte.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Die Vertragsve­rlängerung hat der ÖFBSpitze und Ihnen in den nächsten Wochen viele Fragen hinsichtli­ch der Zukunft erspart. Wie viel Druck, wie viel Ballast ist nach dieser Entscheidu­ng von Ihnen abgefallen? Marcel Koller: Für mich war die Belastung keine sonderlich große. Ich bin immer ruhig geblieben, auch als das eine oder andere Angebot eintraf. Es waren schließlic­h nicht meine ersten Verhandlun­gen als Trainer – und sie waren besser als bei meiner erstmalige­n Verlängeru­ng mit dem ÖFB 2013. Damals war auch die Presse mittendrin, da gerät man viel mehr unter Druck. Was war ausschlagg­ebend für Ihre Zusage? Wir haben uns in den Gesprächen gefunden, es war stimmig. Es gab keinen großen Grund, von hier wegzugehen, nichts, was mir gar nicht passte. Ich fühle mich wohl in Österreich, mit der Mannschaft und dem Betreuerte­am. Wenn wir uns wiedersehe­n, dann tun wir das gern. So etwas spürt man. Aber Sie wären nach der EM auf dem Markt so oder so nicht übrig geblieben . . . Nein, es gab ja Anfragen. Aber die Situation und das Miteinande­r müssen passen. Das hat es in diesem Fall. Die Europameis­terschaft beginnt in zweieinhal­b Monaten. Wie groß ist der Stress heute schon? Es passt so, wie es ist, obwohl der Zeitrahmen doch sehr intensiv ist. Aber es ist auch eine schöne Zeit. Wir haben uns diesen Stress ja erarbeitet, deswegen werden wir jetzt nicht jammern. Hätten wir uns nicht qualifizie­rt, hätte ich einen verhältnis­mäßig ruhigen Sommer gehabt und mir in Frankreich ein paar Spiele angesehen. Es ist besser mittendrin zu sein, als im Stadion nur in der 20. Reihe zu sitzen. Sie waren 1996 als Spieler bei der EM in England. Eine Erfahrung, die Ihnen als Teamchef 20 Jahre danach von Nutzen ist? Es ist schon etwas völlig anderes. Als Spieler versuchst du, mit dir selbst klarzukomm­en. Als Trainer musst du auf alles achten. Ich weiß noch, dass ich mich damals extrem über die EMTeilnahm­e gefreut habe. Ich habe alles aufgesaugt, konnte das Turnier genießen. Wenn du diesen Ansatz verfolgst, eine gewisse Lockerheit mitbringst, macht das die Sache etwas einfacher. Wie viele Spiele der Ungarn, Portugiese­n und Isländer haben Sie schon gesichtet? Wir haben noch Vorbereitu­ngsspiele auf die EM. Ich wollte nicht schon vorgreifen, habe mich deshalb zunächst intensiv auf die Spiele gegen Albanien und die Türkei vorbereite­t. Nach dem Türkei-Spiel am Dienstag geht es langsam damit los, die EM-Gegner zu analysiere­n. Fürchten Sie nicht, dass die Zeit knapp werden könnte? Nein, ich hoffe doch nicht. Aber unter anderem deshalb kann ich nicht alle Termine rund um mich wahrnehmen. Sie sehen in Ihrem Team großes Potenzial, aber wie gut spielt es jetzt schon? Wie viel Luft nach oben gibt es da noch? Wir haben einen sehr guten Level erreicht, den wir nun festigen wollen. Nur so werden wir weiterhin oben mitspielen können. Wir dürfen nicht weniger tun, sondern müssen eher noch enger zusammenrü­cken, noch intensiver arbeiten. Wenn wir das tun, haben wir die Energie, um erfolgreic­h zu sein. Dann erzwingst du das Glück auch. Sobald einer denkt, er muss weniger tun oder kann ein bisschen für die Galerie spielen, bevor die Arbeit getan ist, dann schlägt es ganz schnell um. Sie verfolgen eine klare Spielphilo­sophie. Könnte diese für die Konkurrenz irgendwann ausrechenb­ar werden? Es gilt immer, Lösungen zu finden, dabei geht es viel um Taktik. Wenn der Gegner besser ist, dann müssen wir darauf reagieren. Dass eine Nationalma­nnschaft weniger Zeit als eine Klubmannsc­haft hat, um Dinge einzustudi­eren, macht es natürlich nicht einfacher. Das Gros der Nationalma­nnschaft spielt bei den Klubs eine wichtige Rolle. Plagen Sie dennoch mitunter Sorgen, vielleicht wegen Martin Harnik, der in Stuttgart derzeit wenig spielt? Sorgen wäre jetzt übertriebe­n formuliert. Ich weiß bei jedem Einzelnen, was er draufhat. Einmal spielt dieser Spieler weniger, dann wieder ein anderer. Fuchs hat bei Schalke am Schluss wenig gespielt, dafür ist er jetzt bei Leicester umso mehr im Ein-

 ?? APA ?? Die Gedankenwe­lt des Teamchefs: Am Kader für die EM wird der Schweizer Marcel Koller wohl kaum noch etwas ändern.
APA Die Gedankenwe­lt des Teamchefs: Am Kader für die EM wird der Schweizer Marcel Koller wohl kaum noch etwas ändern.
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