Die Leiden des Veli Kavlak »Ich komme zurück, ich bin ein Kämpfer«
Türkei-Legionär Veli Kavlak kämpft nach einer langwierigen Verletzung um seine Rückkehr bei Besiktas und im Nationalteam. Die Hoffnung auf eine EM-Teilnahme hat er nicht aufgegeben.
satz. Harnik hat in Stuttgart eigentlich immer gespielt, jetzt spielt er seltener. Es wäre natürlich schön, würden alle immer spielen, im Rhythmus bleiben, aber vielleicht ist es auch ein Vorteil, dass mancher nicht überspielt ist. Vielleicht können sie bei der EM auf dem Platz mehr Hunger entwickeln, als wenn sie durch 60 Saisonspiele schon verbraucht sind. Die Spieler sprechen gern von der Wohlfühloase Nationalteam. Wie ist diese überhaupt entstanden? Grundsätzlich war die Idee, dass jeder gern zum Nationalteam kommt. Ich war selbst Nationalspieler und bin nicht immer gern zum Team gefahren. Umso mehr ist es mir als Teamchef ein Anliegen, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen. Viele kleine Dinge sind mitentscheidend. Etwa, dass die Gruppe immer die gleiche ist, du gemeinsam eine Gesprächskultur entwickelst, die Spieler miteinander sprechen. Deswegen hat das Handy beim Essen auch nichts verloren. Ich sage meinen Spielern: „Sprecht miteinander, und wenn ihr nicht wisst worüber, dann sprecht über Fußball.“Das betrifft nicht allein das Essen, auch während einer Busfahrt, die länger dauern kann, ist mir die Kommunikation wichtig. Bei uns ist alles luftig und locker, aber wenn es um das Wesentliche geht, sind wir voll bei der Sache. Diese Einstellung wird gelebt. Sie verfolgen also auch abseits des Rasens eine klare Idee. Wenn du Regeln vorgibst, aber einer hält sich nicht daran, dann musst du eingreifen. Niemand im Nationalteam hat einen Sonderbonus, jeder hat sich an die Regeln zu halten. Es ist egal, ob der Trainer, der Sportdirektor, der Zeugwart oder ein Spieler zu spät kommt – jeder hat in diesem Fall zu bezahlen. Wenn sich Einzelne als wichtiger empfinden als das Team, dann ist das für mich der falsche Ansatz. Jede Ihrer Entscheidungen als Teamchef betrifft, etwas überspitzt formuliert, eine
Marcel Koller
wurde am 11. November 1960 in Zürich geboren. 7 Meisterschaften und fünf Cuptitel nennt Koller sein Eigen, der Schweizer spielte in seiner Karriere ausschließlich für Grasshoppers Zürich. Für das Nationalteam der Schweiz bestritt Koller 55 Spiele, zwei davon bei der EM 1996 in England. Danach beendete er seine aktive Laufbahn. 1997 begann Koller als Trainer zu arbeiten. Er betreute Wil, St. Gallen, Grasshoppers, Köln und bis 2009 Bochum. Seit 1. November 2011 fungiert Koller als ÖFB-Teamchef. Vor knapp zwei Wochen wurde die Verlängerung seines Vertrags bis Ende 2017 bekannt gegeben. ganze Fußballnation. Wird manchmal bewusst? So etwas darf mich nicht berühren. Ich kann es bei Nominierungen oder Aufstellungen nicht jedem recht machen. Natürlich hinterfrage ich mich nach Lehrgängen und Spielen auch selbst, überlege, ob ich anders hätte entscheiden sollen. Aber ich glaube, keiner hat so viel Einsicht und so viele Informationen über das Team wie ich.
Ihnen
das Ist Ihre bald viereinhalbjährige Amtszeit als Teamchef gefühlt schnell oder langsam vergangen? Das erste halbe Jahr langsam. Ich war zuvor immer Klubtrainer, war es gewohnt, die Spieler jeden Tag um mich zu haben. Deswegen habe ich sie beim Nationalteam anfangs auch vermisst. Ich bin im Büro gesessen und habe mir gedacht: Ich muss doch eigentlich auf den Platz. Diese andere, neue Arbeitsweise musste sich in meinem Kopf erst manifestieren. Aber unter dem Strich sind diese viereinhalb Jahre schnell vergangen. Sehr schnell sogar. Auch deshalb, weil sich der Erfolg eingestellt hat und dadurch das Geschäft kurzweiliger wird? Ich mache es auch gern, wenn es nicht erfolgreich ist, weil ich den Fußball liebe. Aber klar, wenn du mit deinem Klub im Abstiegskampf steckst, umgibt dich viel negative Energie, die dich auffrisst. Mit dem Erfolg kommt die Euphorie ins Spiel. Wann waren Sie zuletzt zwei Tage am Stück nicht mit Fußball konfrontiert? Im Urlaub. Aber der Fußball ist allgegenwärtig, du siehst Zusammenfassungen, verfolgst die Spiele der Legionäre. Es belastet mich jedoch nicht. Ich mache das alles gern. Ertappen Sie sich manchmal dennoch dabei, wie Sie die Grenze des gesunden Ehrgeizes überschreiten? Ja, ja. Ich merke es, wenn ich am Abend so richtig platt bin. Aber dann ist der Tag ja auch schon wieder zu Ende. Beim Testspiel zwischen Österreich und der Türkei am Dienstag in Wien (20.30 Uhr, live in ORF eins) wird Veli Kavlak mit einer großen Portion Wehmut vor dem Fernsehgerät sitzen. Der Mittelfeldspieler wäre bei der Partie des ÖFB-Teams gegen die Heimat seiner Eltern nur allzu gern dabei, eine langwierige Schulterverletzung und zuletzt mangelnde Spielpraxis führten aber zur Nichteinberufung.
Wegen eines wohl schon 2012 erlittenen Bizepssehnenrisses spielte Kavlak jahrelang mit großen Schmerzen, eher er 2015 einige Monate komplett pausieren musste. Im Dezember gab der Wiener bei Besiktas Istanbul dann sein Pflichtspiel-Comeback, seither stellt ihn Trainer Senöl Günes aber nicht mehr auf. Der Kapitän des Süper-Lig-Tabellenführers brachte es in dieser Saison erst auf einen Kurzeinsatz in der Meisterschaft. „Ich habe keine Schmerzen mehr und versuche im Training immer alles zu geben, alles Weitere bestimmt der Trainer“, sagte Kavlak über seine aktuelle Situation, die er dennoch relativ gelassen hinnimmt. „Ich habe schon viel Schlimmeres erlebt, denn ich war wegen meiner Verletzung schon kurz vor dem Karriereende.“ Wettlauf mit der Zeit. Allerdings schwinden durch die fehlenden Einsatzzeiten die Chancen auf eine EMTeilnahme. Sein 31. und bisher letztes Länderspiel absolvierte Kavlak am 5. März 2014 in Klagenfurt beim 1:1 gegen Uruguay. Für die März-Partien gegen Albanien und die Türkei steht er auf der Abrufliste. „Natürlich habe ich an Boden verloren, aber das hole ich wieder auf. Ich bin in einer schwierigen Lage, doch ich werde sie meistern, denn ich bin ein Kämpfer“, meinte der 27-Jährige. Einen Euro-Startplatz habe er „auf keinen Fall abgehakt“, betonte Kavlak. „Es ist noch Zeit. Ich werde Gas geben und meinen Teil machen.“
Zumindest vorerst kann sich Kavlak nicht für Frankreich empfehlen. Dafür wird er seinen ÖFB-Kollegen gegen die Türkei vor dem TV-Schirm in Istanbul die Daumen drücken. „Die Chancen stehen 50:50. Wir haben in der Qualifikation bewiesen, welche Qualität wir haben, aber die Türkei auch“, erklärte der Ex-Rapidler, der sein einziges Nationalteamtor am 15. August 2012 in Wien ausgerechnet gegen die Türkei erzielte. Dem WM-Dritten von 2002 traut Kavlak in Frankreich einiges zu. „Die Türken tun sich in der Qualifikation oft schwer, aber wenn sie dann bei einem Turnier dabei sind, schneiden sie meist gut ab.“Das EuroTicket sicherten sich die Türken erst im Finish als bester Gruppendritter, in Frankreich warten in der Vorrunde Spanien, Kroatien und Tschechien. „Das ist eine schwere Gruppe. Doch wenn sie die überstehen, kann es weit gehen“, vermutete Kavlak.
Entscheidend werde für die Türken sein, die Rivalitäten zwischen den Spielern der Istanbuler Großklubs Fenerbahce, Galatasaray und Besiktas in den Griff zu bekommen. „Es gibt nicht viele Nationalmannschaften mit so großer Qualität, aber sie hatten oft Probleme, ein Team zu werden. Doch zuletzt haben sie es geschafft.“Dies gelang auch dank Teamchef Fatih Terim, der trotz seiner Galatasaray-Vergangenheit über alle Klubgrenzen hinaus großes Ansehen genießt. Kavlak: „Er ist ein Phänomen, ein Motivationskünstler. Mit der Nationalmannschaft hat er so große Erfolge gefeiert, dass er nirgends ausgepfiffen wird. Die Leute lieben ihn.“ Ronaldos schwarzer Abend. Am Dienstag wartet die Türkei, rund zweieinhalb Monate später bei der EM Portugal auf die ÖFB-Elf. Österreichs Gruppengegner ist mit einer Enttäuschung ins EMJahr gestartet. Die Portugiesen mussten sich in einem Testspiel zu Hause Bulgarien mit 0:1 (0:1) geschlagen geben. Superstar Cristiano Ronaldo vergab bei der Blamage in Leiria einen Elfmeter (67.). Schon am Vortag hatte mit Island ein weiterer ÖFB-Gegner bei der EM in Frankreich in Dänemark 1:2 verloren.
Portugals Teamchef, Fernando Santos, musste mangels geeigneter Personalreserve ohne echten Mittelstürmer auskommen. Die Offensivstars Ronaldo und Nani, sonst eher auf dem Flügel zu Hause, agierten an vorderster Front glücklos. Am Dienstag haben die Portugiesen die Chance, es besser zumachen. Dann testet Österreichs zweiter EM-Gegner nach Ungarn erneut in Leiria, diesmal gegen den Weltranglistenersten Belgien. Das Spiel hätte ursprünglich in Brüssel ausgetragen werden sollen, wurde nach den dortigen Anschlägen aus Sicherheitsgründen aber nach Portugal verlegt.
Auch die Partie gegen Bulgarien hatte im Gedenken an die Terroropfer und deren Angehörige mit einer Schweigeminute begonnen.