Maschinenraum
VOLLE KRAFT VORAUS DURCH DIE TECHNIKWELT
Früher gab es Gerüchte, Analysen und Fingerzeige, Schimpfkanonaden, Gossips, Stammtischdebatten, Mundpropaganda und Leserbriefe. Heute gibt es Social Media. Nicht, dass jene traditionellen Formen menschlicher Interaktion verschwunden wären – ganz im Gegenteil, aber sie stehen heutzutage in Konkurrenz mit den Durchlauferhitzern der digitalen Moderne. Zuvorderst: Facebook und Twitter. Erstere Plattform saugt mittlerweile auch den Ausstoß herkömmlicher Medien in sich auf; Letztere, also Twitter, gilt als Nachrichtendienst und Spielfläche einer Meute von Insidern, Politikberatern, Werbefuzzis und Journalisten. Tatsächlich ist Twitter, das strikt auf 140 Zeichen begrenzt ist, so etwas wie das digitale Kokain der Kommunikationsbranche. Eine gleichwohl aufreizend anziehende, stimulierende wie süchtig ma- chende und destruktive Angelegenheit. Den Dienst – er existiert seit zehn Jahren – jenseits simpler PR-Botschaften sinnbringend zu nutzen, ist ein Balanceakt, der selbst Profis nicht immer gelingt. Die Schlammschlachten, die sich bekannte Namen und Persönlichkeiten auf Twitter in ungenierter Offenheit und Öffentlichkeit liefern, sind Legende. Dass Menschen, die ständig zwitschern, einen Vogel haben oder zumindest zu überbordender Selbstdarstellung neigen, ist aber doch ein zu zynisches Fazit. Auf der positiven Seite stehen die Selbstbeschränkung – ausufernde Debatten und elendslange Threads finden sich anderswo –, das Aktivierungs-, Vernetzungs- und Informationspotenzial eines Echtzeit-Tickers und die übersichtliche, chronologische Gliederung der Welt in Themen (via Hashtags) und Interessenkreise.
Weil aber Twitter mit seinem klaren Konstruktionsprinzip seit zehn Jahren seinen Aktionären keine großen Gewinne beschert, gilt es mittlerweile als Sorgenkind. „Nur“300 Millionen Nutzer wirken für Businessanalysten im Vergleich zum fünfmal größeren Facebook wie eine Nische. Forsche Vordenker haben dann immer wieder Vorschläge parat: die Aufhebung des 140-Zeichen-Limits, die algorithmische Gliederung von Wortmeldungen nach Mainstream-Relevanz oder PR-Budgets, die Verknüpfung mit Ton und Bild (folgerichtig wurde z. B. der Echtzeitvideodienst Periscope gekauft) und so weiter und sofort. Was aber, wenn du und ich schlichtweg drauf pfeifen, pardon: zwitschern? Als Hashtag dafür schlage ich twitterror vor.