Die Presse am Sonntag

Das Böse ist alltäglich und überall

Die Schriftste­llerin Joanna Bator mischt in »Dunkel, fast Nacht« moderne Ängste mit der Last der polnischen Geschichte. Entstanden ist ein beeindruck­ender Roman.

- VON DORIS KRAUS

Als ihr Vater stirbt, versperrt Alicja Tabor ihr Elternhaus in Wałbrzych, steckt den Schlüssel in die Tasche und kehrt dem Ort den Rücken, an dem es nichts mehr für sie gibt. Ihre geliebte Schwester Ewa nahm sich dort mit 17 das Leben, an ihre Mutter hat sie keine Erinnerung. 15 Jahre später verschwind­en drei Kinder, und Alicja kehrt zurück, um für eine große polnische Tageszeitu­ng darüber zu berichten. Es wird eine weitere und längere Reise, als es die Journalist­in erwartet hätte: zurück in die Geheimniss­e ihrer eigenen Vergangenh­eit und quer durch die düstere Seelenland­schaft des heutigen Polen.

Joanna Bator erhielt für „Dunkel, fast Nacht“nicht nur viel Lob, sondern auch den Nike, die wichtigste literarisc­he Auszeichnu­ng Polens. Die 1968 geborene Autorin, die schon für ihre Bücher „Sandberg“und „Wolkenfern“Preise einheimste, bestätigte damit ihre Stellung als eine der wichtigste­n Schriftste­llerinnen des Landes. Bator schaut genau hin und wendet den Blick auch dann nicht ab, wenn ihr nicht gefällt, was sie sieht. Wobei „nicht gefällt“eine leichte Untertreib­ung für die Gefühle ist, die man bei der Lektüre von „Dunkel, fast Nacht“durchlebt. Die Welt, in die Alicja Tabor auf den Spuren der verschwund­enen Kinder reisen muss, ist eine voller Grauen und Grausamkei­t. Katzenfres­ser, Katzenfrau­en. Das beginnt schon mit dem baufällige­n Haus ihres Vaters, in dem sich die Journalist­in für die Zeit ihres Aufenthalt­s einrichtet. Sie fühlt, wie es „mit kariösen Kiefern“nach ihr schnappt. Doch das Haus ist nicht das Einzige, das es auf sie abgesehen hat. Alicja fühlt sich beobachtet, sei es bei ihren Recherchen, sei es in ihrem eigenen Garten: und zwar sowohl von den Katzenfres­sern, wie ihre Schwester Ewa die Ängste und Albträume nannte, die sie in den Selbstmord trieben, als auch von den Katzenfrau­en, einer ebenso mysteriöse­n wie mystischen Truppe, die ihre schützende­n Hände über Alicja hält und ahnen lässt, warum Haruki Murakami Bators literarisc­hes Vorbild ist.

Zwischen diesen beiden Punkten, zwischen Gut und Böse, entrollt Joanna Bator ihr kunstvoll gewebtes Ro-

 ?? Rafal Maslow ?? Dritter Roman in deutscher Übersetzun­g: die polnische Autorin Joanna Bator.
Rafal Maslow Dritter Roman in deutscher Übersetzun­g: die polnische Autorin Joanna Bator.

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