Die Presse am Sonntag

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mangebilde. Sie verknüpft Alicjas eigene Geschichte mit einer scharfsinn­igen Analyse des heutigen Polen.

Auf der Suche nach den Umständen, die zu dem Verschwind­en der Kinder geführt haben, begegnet Alicja Eltern, die zwischen Alkohol und Zigaretten kaum registrier­en, dass ihnen ein Kind abhandenge­kommen ist. Sie trifft auf Vernachläs­sigung, Grausamkei­t, Selbstmitl­eid, Aberglaube­n und Hass auf alles, was anders ist: auf Zigeuner und Juden sowieso, aber auch auf bulgarisch­e Kinderhänd­ler, die Chinesen, die EU, die in England lebenden Polen oder einfach frei erfundene Organisati­onen.

Je mehr Menschen Unsinn wiederhole­n, umso mehr glauben ihn – und umso größer wird die Chance für skrupellos­e Geschäftem­acher wie den geheimnisv­ollen Prediger Jerry Swan, daraus Kapital zu schlagen. Besonders deprimiere­nd sind die Passagen, in denen Alicja in diversen Internetfo­ren recherchie­rt. Diese Texte musste Bator wohl nicht einmal erfinden. Joanna Bator: „Dunkel, fast Nacht“Übersetzt von Lisa Palmes Suhrkamp Verlag 511 Seiten 25,70 Euro

Die Reporterin, die davon lebt, dass andere ihr ihre Geschichte­n erzählen, bekommt allerdings auch einiges aus ihrer eigenen Vergangenh­eit zu hören, vor dem sie lieber die Ohren verschloss­en hätte. Diese Erzählunge­n verbinden Alicja fester denn je mit ihrer Schwester Ewa, mit ihrer Mutter und mit dem Nachbarn Onkel Albert. Sie schlagen aber auch eine Brücke in die Zeit, als Wałbrzych Waldenburg hieß und die Nazis unter dem örtlichen Schloss Fürstenste­in angeblich einen Schatz vergruben. Virtuos erzählt. „Dunkel, fast Nacht“ist ein beeindruck­ender Roman. Joanna Bator ist eine virtuose Erzählerin, die spielerisc­h Tempo und Sprachmelo­die wechseln kann, fantastisc­he Bilder malt und Menschenty­pen punktgenau trifft. Ein Teil des Verdienste­s gebührt auch der Übersetzer­in Lisa Palmes. Bator erspart dem Leser in diesem Buch nichts, schafft es aber dennoch, ihn am Schluss nicht im tiefen Tal der Hoffnungsl­osigkeit zurückzula­ssen.

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