»Wir bevorzugen Moll«
Auf ihrem dritten Album verbinden Moderat Technogezischel mit fragilen Songstrukturen. Sebastian Szary erzählte der »Presse am Sonntag« von der Bedeutung leiser Töne.
War es ein Rückfall in die Biederkeit? Suchten die drei ehemaligen FrickelNerds aus Berlin nach Jahren der rauschhaften Soundorgien in den Clubs finale Sicherheit innerhalb von Songstrukturen? Sebastian Szary, einer der drei Musiker von Moderat, Deutschlands Techno-Supergroup, deren Tourneen schon lang auch in die USA und nach Großbritannien führen, kann sich nicht entsinnen, wann diese Entwicklung begonnen hat. „Früher war alles Underground, dann blies es sich auf Stadiongröße auf. Irgendwann haben wir uns vom Undergroundgedanken gelöst und die nächste Herausforderung, die Liedform, angestrebt. Wir fühlen uns auch außerhalb des Underground sehr wohl.“Erfolg sei, so meint der einstige Technopionier tiefstapelnd, „dass man es schafft, über zwei Generationen Eindruck zu hinterlassen“.
Das gelingt Moderat tatsächlich, obwohl junges Publikum durch neue Hörmöglichkeiten wie Streaming erschreckend bindungslos geworden ist. Gefällt ein Song in einer Playlist, wird in den seltensten Fällen weitergeforscht. Da waren die Burschen von Moderat in ihren frühen Tagen noch von anderem Schlag. „Ich war immer ein Albumhörer“, sagt Szary. Als er sich um 1990 für Techno zu interessieren begann, wurde er zur Beunruhigung seiner Mutter vinylsüchtig. „Mensch, was willste dann später mit den ganzen Schallplatten machen? Dat hält sich doch alles nicht so lange“, erinnert sich Szary an ihre Verzweiflung. „Damals dachte man noch, dass das alles wieder verschwindet. Manch Wegweisendes wie Punk hat sich nicht so lang gehalten. Techno schon.“
Dass die nachgewachsene Generation immer noch von der Dynamik des Techno fasziniert ist, darüber staunt auch Szary. Das sanfte Zischeln von Moderat gefällt Jungen wie Alten. Ihre delikate Mischung aus herb-melancholischen Melodien und kühlen, irrlichternden Sounds hat überdies benennbare Wurzeln. „Unsere musikalisch prägenden Jahre waren keineswegs von einer strikten Technodiät bestimmt. Wir sind alle noch in den Siebzigerjahren geboren worden. Die Achtzigerjahre, dieses große Popjahrzehnt, haben Spuren in uns hinterlassen. In den frühen Neunzigerjahren wechselten wir zur Club Culture. Ab da vermischten sich die Sachen.“
Getroffen haben sich die drei Protagonisten von Moderat erst, nachdem sie mit ihren eigentlichen Projekten großen Erfolg hatten. Sebastian Szary und Gernot Bronsert haben 1996 Modeselektor gegründet, ein experimentierfreudiges Remix- und DJ-Duo, zu dessen frühesten Fans übrigens Radiohead-Sänger Thom Yorke zählt. Und Moderat-Sänger Sascha Ring schaffte es kurz nach der Jahrtausendwende mit seinem Elektroprojekt Apparat sogar in John Peels Kultsendung im britischen Radio. So war es ganz logisch, dass ihnen 2002 bei ihrem Zusammenschluss zu Moderat internationale Aufmerksamkeit zuteil wurde. Das verträumte, aber doch herbe Stück „Rusty Nails“wurde im angelsächsischen Raum besonders geliebt. Paradoxe Intervention. Über die Gründe kann Szary nur spekulieren. „Wahrscheinlich hören sie, dass uns die amerikanische und noch mehr die britische Szene geprägt hat. Techno, Acid House, Hip House, aber auch Depeche Mode, die mir meine ältere Schwester nahegebracht hat.“Anders als das, was die ebenfalls sehr erfolgreichen Kalkbrenner-Brüder Fritz und Paul machen, weist der Sound von Moderat über Berlin hinaus. Damit ihnen bei ihren englischen Songtexten keine Peinlichkeiten passieren, lassen sie diese von Native Speakern überprüfen. Über Sprache an sich wird auch im ätherischen, von Drum’n’Bass-Klappern durchzogenen
2002
wurde die deutsche TechnoSupergroup Moderat von Sascha Ring, Gernot Bronsert und Sebastian Szary zum Zweck gegründet, kühle Technoästhetik und schnittiges Songwriting zusammenzudenken. Eigentlich war die Band als Nebenprojekt von Apparat (Sascha Ring) und Modeselektor (Bronsert und Szary) gedacht, wurde dann aber international höchst erfolgreich.
2003
erschien die erste EP „Auf Kosten der Gesundheit“(B Pitch Control), sechs Jahre später folgte ihr Debütalbum mit dem internationalen Hit „Rusty Nails“.
2013
kam „Album II“heraus (Monkeytown Records).
Termine.
Derzeit touren Moderat mit ihrem „Album III“durch Österreich: Am 12. Mai sind sie bei Springten – Electronic Beats zu Gast (Schlossberg Kasematten, Graz), am 15. Juni beim Arena-Open-Air Wien.
„Album III“
kam 2016 bei Monkeytown Records heraus. „Reminder“spekuliert: „A whisper now speaks what words used to say.“Sozialkritik tarnt sich da als paradoxe Intervention: „I steal from the beggars empty plate and give it to the fat man.“
Wichtig findet Szary, dass die Musik von Moderat bei geringer Lautstärke ebenso Wirkung entfaltet. „Sie muss sich auch im Küchenradio durchsetzen können.“Zu aktuellen Gassenhauern aus der deutschen Szene äußerst er sich nur zögernd. „So was wie Robin Schulz ist halt Zeitgeist. Ich wundere mich, wie einfach man es sich machen kann, will es aber nicht schlechtmachen. Uns ist deeper Sound wichtig, aber als Hörer wehre ich mich auch nicht, wenn es etwas zum Mitgrölen gibt.“ Subtilität. In der eigenen Arbeit steht Subtilität im Vordergrund. Behutsam fügen Moderat Elemente aus Techno, House und IDM (Intelligent Dance Music) zusammen. Am Ende tönt das meiste überraschend melancholisch. „Unser bevorzugtes Terrain ist halt das Moll. Das kickt für uns.“Heute haben die einstigen Pioniere selbst Kinder und wohnen am nördlichen Stadtrand. In die Clubs kommen sie privat nur mehr selten. Wenn doch, genießen sie die Naivität und Frische der jungen Kollegen. „Das erinnert mich dann an die Begeisterung, die ich hatte, als ich meine ersten Geräte beieinanderhatte. Die Lauflichter, das war wie nachts am Flughafen, ein supergutes Feeling.“
Sebastian Szary wurde zur Beunruhigung seiner Mutter vinylsüchtig. Heute haben die einstigen Pioniere selbst Kinder und wohnen am Stadtrand.
Bei ihren heutigen Auftritten reichen simple Lauflichter längst nicht mehr. Das Visuelle ihrer Shows haben sie an das famose Kollektiv Pfandfinderei ausgelagert. Es arbeitet hochkünstlerisch und konzeptionell. Das Bühnenbild besticht durch Minimalismus. Wie die neuen Songs auch. „Wir haben uns nicht neu erfunden, irgendwie aber dann doch.“