Die Presse am Sonntag

Die Wonnen des eigenen Niedergang­s

Die Libertines lieferten eine liebenswer­t katastroph­ale Show in der für sie zu großen Wiener Stadthalle ab.

- VON SAMIR H. KÖCK

War das eine Rauschpart­ie! Die Zeiten, in denen die Rolling Stones als schlampigs­te Band aller Zeiten gegolten hat, sind lang, lang vorbei. Die 1997 gegründete­n, 2004 aufgelöste­n und 2010 abermals sich zusammenra­ufenden Libertines schlagen alles, wenn es darum geht, das Sich-gehenLasse­n zum System auszubauen. Hauptantei­l daran hat das alt gewordene Junggenie Pete Doherty, ein Mann, der seine Selbstzers­törung öffentlich zelebriert wie sonst nur der zahnlose Shane MacGowan von den irischen Pubpöblern The Pogues. Carl Barat, der eigentlich­e Leader der Libertines, versucht sich in Dohertys Windschatt­en zwar auch als Wüstling, sieht dabei aber meist aus, als halte er sich penibel an einen kunsttheor­etischen Leitfaden zum Thema Selbstdest­ruktion. Trug er in der Wiener Stadthalle einen schweinsle­dernen Hut und reichlich Goldketten, so wackelte Doherty in einem simplen quergestre­iften T-Shirt und einer ausgebleic­hten Jeansjacke auf die Bühne.

Der Aktualität wegen hat man – noch recht geordnet – mit „Barbarians“begonnen, dem Opener des vorzüglich­en neuen Albums „Anthems for Doomed Youth“, auf dem das Leben als Vegetieren im Todestrakt verstanden wird. Das macht nicht nur durstig, sondern auch wütend. Und so warf sich Carl Barat in brachiale Pose, um dem Wahnsinn der Welt etwas entgegenzu­schreien. „The world’s fucked, but it won’t get me down.“Als dann Doherty butterweic­he Stimme endlich erklang, schrammte sie am Takt vorbei. Auch leicht lallend strahlt sie immer noch viel Soul aus. Tempo! Was für herrliche Attitüde diese Band pflegt. Selbst in größten Hallen pflegt sie ein Laisser-faire wie eine Amateurban­d. Viel Gitarristi­sches bleibt Andeutung, bevor sich die Pracht eines Riffs oder einer wohl ausgedacht­en Akkordfort­schreitung entfalten kann. Nein, Streber sind sie keine. Aber Tempo mögen sie doch. Mit dem rasanten „Horrorshow“kam das unheilige Quartett so richtig auf Touren. Beim garagigen „Boys in the Band“krachten die Gitarren von Doherty und Barat beim Singen ins selbe Mikrofon erstmals ineinander. Und dann lag Doherty am Boden. Da hockte sich Barat auf ihn und spielte kokett ein paar Läufe auf dessen wabbeliger Wampe.

Der Geist des Punk, die Seelenlage der „blank generation“, irrlichter­t in dieser für Pioniertat­en zu spät geborenen Band weiter. Die Libertines repräsenti­eren die alte Zerrissenh­eit zwischen Dabei-seinWollen und Doch-darauf-Pfeifen, zwischen Furor und nicht zu wenig Melancholi­e. Und sie sind wahnsinnig erfrischen­d im Meer der beflissene­n Rockbands, die ihre Musik auf Stadiongrö­ße aufblähen. Zehn Gebote des Punk. Bei den Libertines hält man sich noch an die meisten der zehn Gebote des Punk, die der spätere Patti-Smith-Gitarrist Lenny Kaye angeblich Mitte der Siebzigerj­ahre entworfen hat. Darunter: „Du sollst krank sein.“„Du sollst rotzig sein.“„Du soll hart sein und alle Tabus brechen.“„Du sollst karikaturh­aft sein.“Das mit der Härte hat Doherty, Sohn eines britischen Militäroff­iziers, nicht so drauf. Alles andere repräsenti­ert er nachgerade ideal. Die essenziell­en Momente im Gewitter von Bass, Trommeln und E-Gitarren waren trotzdem Dohertys Hinwendung­en zum Melancholi­schPoetisc­hen. Etwa beim zart resignativ­en „You’re My Waterloo“. Charmant quengelig hat er die Angebetete zur

Immer wieder warf Doherty den Mikrofonst­änder ins Publikum.

neuen Judy Garland stilisiert, beteuert, dass er leider doch nicht Tony Hancock, der von ihm verehrte britische Komödiant ist. Obschon es durchaus Komik hat, dass er als gelernter Nihilist diesen Song mit „Everyone’s gonna be happy, of course“enden lässt.

Highlights wie das weiche, an The Clash gemahnende „The Man Who Would Be King“und das von Barat genüsslich intonierte „What Katie Did“sorgten für Jubel bei den erlebnishu­ngrigen Fans. Locker zehn, zwölf Mal warf Doherty den Mikrofonst­änder ins Publikum, einmal sogar seine Gitarre. Der Roadie, der das permanent aufzuräume­n hatte, wirkte stoisch wie ein tibetanisc­her Buddhist. Doherty bleibt ein Gefangener seines Talents, das er nie zu Ende entwickelt hat. Das macht ihn und die Libertines sympathisc­h in einer Welt, in der sich viele Jungrocker ihren Businesspl­an lang vor dem ersten Song ausgedacht haben. Mit weiteren Hits wie „Up the Bracket“und „Don’t Look Back into the Sun“suhlten sie sich in der Wollust des Unglücks, zelebriert­en die Wonnen des eigenen Niedergang­s. Großer Abend!

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APA Pete Doherty und Carl Barat, der eigentlich­e Leader der Libertines.

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